Im Kopf des Stumpfsinns

Les Edgertons „Der Vergewaltiger“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sich in die Binnensicht des Ungeheuers zu begeben, hat eine lange Tradition im Krimi. Spätestens seitdem die Serienkillersparte im Krimi so ungeheuer erfolgreich wurde, hat auch die Sicht der Täter selbst das verstärkte Interesse auf sich gezogen, allein schon, damit man ihrer habhaft werden kann. Siehe „Das Schweigen der Lämmer“ – das kennt man. Dabei sind die merkwürdigsten Eigenheiten ans Tageslicht gekommen, ob es sich nun um das Verlangen handelt, in die Haut eines anderen zu schlüpfen, oder darum, der Welt ihren Sinn vorzuschreiben – die kriminellen Extremtäter haben eigentlich keine Lücke gelassen, wenn es um ihre eigene Welt geht. Ob sie dabei jedes Mal die intellektuelle Brillanz eines Hannibal Lecter besaßen, kann bezweifelt werden. Im sogenannten Real Life – also im Normalkosmos des Durchschnittkrimis – werden die Serienkiller auch nur arme Würstchen sein, denen ansonsten lediglich die gewohnten Hemmungen abhandengekommen sind.

Bei Vergewaltigungen mag das insofern noch eine andere Sache sein, weil hier ja neben den gewohnten Motiven noch Themen wie angebliche männliche Suprematie oder Machtansprüche hinzukommen. Und solche pathologischen Phänomene können auch einigermaßen intelligente Normal-Männer betreffen, wenn man sich denn auf sie kaprizieren will. Und nebenbei, sowas kommt deutlich häufiger vor als irgendein Mord, geschweige denn Serienmord.

Wie dem auch sei, grundsätzlich mag das Binnenleben eines Vergewaltigers von Interesse sein, wenn man denn herausbekommen will, wie so jemand tickt – schon um dem ganzen keinen Vorschub zu leisten. Was aber keinen Schluss darauf zulässt, wie ergiebig eine solche Binnensicht ist. Angenehmes wird man dabei allerdings nicht erwarten können, auch nicht so etwas wie Souveränität. Woran man als normaler Krimileser ja auch nicht interessiert ist, sondern eben nur an ein bisschen Aufklärung und vielleicht der Restituierung von Ordnung, oder was auch immer das Anliegen von Krimilesern sein mag.

Les Edgertons kleiner Roman „Der Vergewaltiger“ führt in den Kopf und die Gedankenwelt eines solchen Vergewaltigers, der eine junge Frau nicht nur vergewaltigt, sondern danach auch noch grausam getötet haben soll. Die Vergewaltigung gibt Truman Ferris Pinter zu. Nur dass er sie getötet haben soll, weist er weit von sich. Eben nicht nur im Prozess, in dem er sich selbst verteidigt hat, sondern auch noch in seiner Rechtfertigungserzählung, als die Edgertons Roman ausgewiesen wird.

Die Erzählung schreitet denn auch sämtliche Stationen ab, die nur irgendwie relevant für die Tat sein mögen: Kindheit, Elternhaus, frühe Erfahrungen und die singuläre Stellung des Vergewaltigers am Wohnort (der auch Tatort wird) werden ebenso angerissen wie die Vorgeschichte der Vergewaltigung, der Prozess und die Zeit vor der Hinrichtung, die Pinter bevorsteht. Wir nehmen an den Gesprächen zwischen dem Protagonisten und dem Gefängnisdirektor teil und folgen auch sonst den Überlegungen – etwa zur Henkersmahlzeit –, die sich ein solcher Pinter wohl machen wird, wenn die verbliebene Lebensspanne immer knapper wird.

Dass er kein angenehmer Mensch ist, wird schnell klar, wie auch, dass er kein Opfer sein will. Die Überlegenheitsattitude jedoch, die dem sich intelligenter und anderweitig überlegen fühlenden Pinter, der nun mal einen berühmten Namen trägt, derart demonstrativ zugeschrieben werden, sind auf Dauer vor allem nervig und werden – was viel schwerer wiegt – mehr und mehr unplausibel. Dazu trägt Edgerton zu sehr auf, wozu es eigentlich überhaupt keinen Anlass gibt. Ganz verschwiemelt wird es allerdings in dem Moment, in dem Text und Pinter gleichermaßen abheben und von der Erzählung vom Delinquenten, der sich auf dem letzten Meter noch rechtfertigen will, abweichen.

Dabei fällt es nicht einmal besonders auf, dass Pinter im zweiten Gespräch mit dem Direktor ankündigt, den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen zu wollen. Als er aber beginnt, seine Fertigkeit zu üben, seinen Körper zu verlassen, wird’s dann doch ein wenig blümerant.

Da schwebt dann Pinter ein wenig über den Wassern und seinem Körper, kehrt zu seinen Ursprüngen und zum Vatermord zurück – kleiner ist das Geld nicht, mit dem hier gezahlt wird – und taucht tief in die Ab- und Urgründe dieser Figur hinab. Vater, Mutter, Kind – war da nicht irgendwas? Nur was? Sollte etwa die Überheblichkeit weder Hand noch Fuß haben? Sollte der superintelligente Vergewaltiger, der sich da nun einmal – erektionshalber – nicht im Griff hatte, am Ende doch nur ein armes Würstchen sein, dass früh gequält wurde und das nun alles reproduziert? Wen das interessiert, der möge es nachlesen, nur aber besser nicht daran glauben, irgendeinen Erkenntniswert oder auch nur einen interessanten Text vor sich zu haben. Für Pulp Master, den deutschen Verlag, ist dies der erste Fehlschlag, so scheint’s. Zumindest kann man diesen Text nicht gutheißen.

Titelbild

Les Edgerton: Der Vergewaltiger.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Ango Laina und Angelika Müller.
Pulp Master Verlag, Berlin 2016.
158 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-13: 9783927734722

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