Die Geschichte vom rosa Elefanten

Martin Suters „Elefant“ fehlt es an Spannung

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die moderne Wissenschaft bringt in der heutigen Zeit wahre Wunder hervor, zu einem zählt der GloFish. Diese gentechnisch veränderten Fische können im Dunkeln leuchten. Über den Sinn oder Unsinn dieser gentechnischen Veränderung an den Fischen kann man diskutieren, aber es sollte zeigen, zu was die Wissenschaft mittlerweile in der Lage ist: Man kann die Erbanalgen von Organismen mittels Gentechnik gezielt verändern. Nicht nur Fische können zum Leuchten gebracht werden, auch Zwergschweine können hergestellt werden, indem man ein Wachstumshormon inaktiviert. Auch im Bereich der Krankheitsbekämpfung konnten bereits erste Erfolge gefeiert werden, so konnten Hühner mit einer ersten, aber nicht vollständigen Immunität (sie stecken keine ihrer Artgenossen mehr an) gegen die Vogelpest gewappnet werden. Auch für den Menschen werden in der Gentherapie und in Regenrationsmedizin ersten Anwendungen der Genetechnik gefunden. Dennoch soll es keine Lobeshymne der Gentechnik sein, die hier angestimmt wird – viele ethische und moralische Fragen bleiben offen: Kann und darf man einfach in die Erbanalgen eines Lebewesens eingreifen? Wie kann dies nachhaltig die Umwelt beeinträchtigen? Auch die brisante Frage nach der militärischen Anwendung rückt in den Fokus, wenn man bedenkt, dass Waffen, die nur bestimmte Menschen töten würden, mittels der Gentechnik entwickelt werden könnten. Die Gentechnik kann Segen und Fluch zugleich sein.

Ausgangspunkt für Martin Suters neuen Roman Elefant ist ein Experiment von Dr. Roux, der einen leuchtenden Elefanten mittels Gentechnik herstellen will. Antrieb dafür ist aber nicht wissenschaftliche Erkenntnis, sondern verletzter Stolz, da der alte Lehrmeister von Roux dessen Forschungsergebnisse, eine fluoreszierende Ratte, als seine veröffentlichte. Nun ist Roux davon besessen, eine größere wissenschaftliche Entdeckung zu machen, um seinen Lehrmeister in den Schatten zu stellen. Er setzt alles daran und durch einen Zufall gelingt es ihm, einen kleinen, rosa leuchtenden Elefanten zu erschaffen. Dieses Ergebnis würde nicht nur einen wissenschaftlichen, sondern auch einen wirtschaftlichen Erfolg darstellen: kleine domestizierte Minielefanten, die im Dunkeln leuchten, für die gelangweilten Kinder der Supereichen. Auch die geheimen Geldgeber von Roux – die chinesische CGC (Chinese Genetic Company) – sieht darin einen wirtschaftlichen Erfolg. Aber Kaung, ein burmesischer Oozie, der sich um die Versuchstiere kümmert, sieht in dem kleinen Elefanten eine Heiligkeit und versucht ihn mit dem Tierarzt Reber vor den Machenschaften von Roux und den Chinesen zu retten. Durch Täuschungen gelingt es Kaung und Reber, den Elefanten zu retten, jedoch geht er in Zürich verloren. In der Folge findet der Obdachlose Schoch den Minielefanten, der dessen Leben nachhaltig verändert.

Suter hat wohl einen der niedlichsten Helden der Romangeschichte erschaffen: Sabu Barisha, den rosa Zwergelefanten. Es hat schon seinen Reiz, wenn man über dieses kleine tapsige Tierchen liest, das kaum größer als ein A4-Blatt ist und sich dennoch wie ein großer Elefant benimmt. Man liest auch davon, wie Sabu mit einem Wollknäul spielt oder einen Apfelschnitz verspeist. Ohne Frage, wenn man es sich bildlich vorstellen kann und will, ist dies niedlich und süß, aber man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass Sabu das einzige gelungene an dem Roman von Suter ist. Während Sabu der „heimliche Held“ der Geschichte ist und im Prinzip nichts weiter macht, als zu essen, zu schlafen und zu spielen, hat das Tierchen von allen Figuren am meisten Profil. Roux, Schoch, Kaung oder auch Valerie sind einfach zu holzschnittartige Figuren: Roux ist nur von der Aussicht auf Reichtum und Rache an seinen Lehrer beseelt, Kaung ist nur nett und will Sabu helfen und Schoch ist der alkoholisierte Obdachlose mit einem Herzen aus Gold. Am meisten stört wohl die Figur des Tseng. Der Abgesandte der CGC, der den Elefanten tot oder lebendig nach China bringen soll, ist einfach nur böse, und dabei schweigt er die ganze Handlung und hat eigentlich nichts weiter im Roman zu tun, als Auto zu fahren und auf seinem Handy die angebrachten Positionierungsgeräte zu überprüfen. Profil oder Charakter haben Suters Figuren einfach nicht, sie sind eindimensional. Etwas mehr Tiefe hätten ihnen sicherlich nicht geschadet.

Mit den belanglosen Figuren geht auch die belanglose Handlung einher: Diejenigen, die sich um Sabu sammeln, hangeln sich von einer langweiligen Begebenheit zur nächsten. Der Leser darf sich an langen Autofahrten von Roux und Tseng erfreuen, die einfach den anderen hinterher fahren und dabei schweigen – zwischenzeitlich malt sich Roux seine Rache aus, und das immer und immer wieder. Dann darf man darüber lesen, wie Sabu spielt und frisst. Auch wenn dies niedlich geschildert ist, reicht das einfach nicht aus, um damit einen ganzen Roman zu füllen.

Haarsträubend sind auch die klischeehaften Handlungen einiger Figuren, allen voran Schochs Wandlung vom obdachlosen Alkoholiker zum geläuterten Mann, der seinen Platz in der Gesellschaft wieder einnehmen will. Hier romantisiert Suter zu sehr: Schoch ist deshalb auf der Gasse gelandet, weil seine Ex-Frau den einstigen erfolgreichen und reichen Banker Schoch finanziell ruinieren wollte, daher hat er sich vorher abgesetzt und hat eine neue Familie in den Straßen von Zürich gefunden. Obwohl alle dort ständig alkoholisiert sind, ist man doch füreinander da – ein Ehrenkodex sorgt dafür, dass man sich nicht beklaut oder sich den Schlafplatz gegenseitig streitig macht. Die Gasse ist halt ein besserer Ort als die Gesellschaft, dort ist die Welt noch in Ordnung. Dieses Bild will uns Suter vermitteln – so stellt man es sich eher als gesättigter Spießbürger in den kalten vier Wänden vor, wo man vom Leben gelangweilt ist. Übrigens schafft es Schoch als harter Alkoholiker, einfach abstinent zu werden und dies nicht nur, damit er sich um Sabu kümmern kann, auch die Liebe einer Frau verhilft ihm, zu einem geordneten Leben zurückzufinden. Die hier geschilderte Liebesgeschichte ist dermaßen einfallslos, dass man sich fragen muss, was sich Suter dabei gedacht hat. Sie wirkt fehl am Platz, hat keinerlei Mehrwert für die Geschichte und lässt sich letztendlich auf den einfallslosen Kernsatz „Liebe heilt alle Wunden“ eindampfen. Auch die erhoffte Konfrontation der klar aufgeteilten Fronten von Gut und Böse bleibt leider aus: Man fährt sich mit dem Auto nur hinterher. Wenn die Verfolgungsjagden wenigstens spannend wären, aber sie sind es einfach nicht – Tseng und Roux sind zwar klar die Bösen in der Handlung, das aber auch nur auf müder Sparflamme. Immer, wenn sie Sabu nicht erwischen, sagen sie „Shit“ und fahren nach Hause. Keine Handlung, die man von eiskalten Profithaien erwarten würde.

Die Grundidee eines gentechnisch veränderten Elefanten ist eine recht gute und spannende, da das Thema doch genug Brisanz besitzt. Leider formt Suter das Ganze nicht genug aus – die Fragen nach Vor- und Nachteilen, nach dem Segen und Fluch der Gentechnik bleiben so gut wie aus, obwohl es sich hier so sehr angeboten hätte – der Plot schreit förmlich danach! Lediglich auf knappen drei Seiten wird über diese neue Wissenschaft nachgedacht, das aber nicht mal gründlich, sondern nur oberflächlich. Das Hauptargument, dass man nicht Gott spielen und sich anmaßen darf, die Schöpfung eigenmächtig zu optimieren, zieht sich als roter Faden durch die Handlung. Wobei einmal kurz zur Sprache kommt, ob es so etwas wie Wunder in einer technisierten Welt überhaupt geben kann – oder anders ausgedrückt, ob Gott und Wissenschaft vereinbar sind. Ein interessanter Ansatz, der aber so schnell, wie er angesprochen wird, auch gleich wieder vergessen wird. Letztendlich bleibt auch diese Komponente von Suters Romans sehr unbefriedigend.

Ein knuffiger Held zum Verlieben reicht leider nicht aus, damit ein Roman gut wird. Man sollte auch nicht von Sabu darüber hinwegtäuschen lassen, dass der Roman oberflächlich ist und Suter reichlich Potenzial verschenkt hat.

Titelbild

Martin Suter: Elefant.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
352 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257069709

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