Grenzüberschreitende Impulse des Artusromans

Cora Dietl und Christoph Schanze präsentieren einen Sammelband zu Formen arthurischen Erzählens

Von Luise BorekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luise Borek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Artusroman wird eine Erzählform eingeführt, die mit ihren Charakteristika den Beginn einer neuen Erzähltradition markiert. Die gattungsprägenden Kriterien wurden dabei anhand weniger Werke festgestellt, die folglich als einzige Vertreter dem skizzierten Prototyp nahekommen: Erec et Enide, Chevalier de la Charrette und Chevalier au Lion. Strukturelle (Stichwort: Doppelweg) und inhaltliche Merkmale prägten in der Folge die Wahrnehmung des Artusromans und hatten einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Forschung, die sich vor diesem Gattungshintergrund mit ihm beschäftigte.

Der von Cora Dietl und Christoph Schanze herausgegebene Sammelband „Formen arthurischen Erzählens vom Mittelalter bis in die Gegenwart” nimmt bewusst Abstand von dieser gattungsscharfen Perspektive. Die im Titel enthaltene Ambiguität erlaubt es, sowohl narratologische Facetten zu fokussieren als auch Spuren arthurischer Themen in verschiedenen Erzählformen zu betrachten. Der erweiterte Fokus umfasst eine epochenübergreifende Rezeption und bezieht medial andere Formen des Erzählens ein.

Während mit der Kategorie Artusroman eine gattungsspezifische Schablone entworfen wird, steht das arthurische Erzählen für das Einbinden literarischer Projektionsflächen. Es erlaubt somit nicht nur ein Beleuchten entsprechender Texte vom Mittelalter bis in die Gegenwart, sondern schließt auch methodisch und disziplinär heterogene Ansätze ein. Diese Konstellation spiegelt die Wandlungsfähigkeit des Artusthemas und liefert einen roten Faden für die in dem Band versammelten Beiträge. Sie würdigt zudem die interdisziplinäre Mediävistik Friedrich Wolfzettels, dem der besprochene Band als Festschrift gewidmet ist.

An dieser Stelle kann nicht auf alle Beiträge des Bandes eingegangen werden. Stattdessen sollen einige darin vorkommende Aspekte exemplarisch aufgegriffen werden, um zu zeigen, in welchen Formen sich arthurisches Erzählen manifestiert.

Der eröffnende Beitrag Fritz Peter Knapps beschäftigt sich mit der Systematik der epischen Gattungen im französischen und deutschen Mittelalter und arbeitet heraus, dass sich die großen deutschen Romanautoren im Vergleich zu den französischen Vorbildern sehr viel stärker stilistisch und in ihrer Erzähltechnik unterscheiden, als dass sie ‘eigene’ Gattungsspezifika hervorbrächten. Er zeigt zugleich, dass Gattungsbegriffe nicht ausschließlich ein ordnendes Instrument moderner Literaturwissenschaft sind, sondern bereits ein mittelalterliches Kriterium bei der Bearbeitung und Rezeption der Texte darstellten. Die Voranstellung von Knapps Überlegungen liefert ein produktives Fundament für die folgenden Beiträge, da nur durch die Reflexion vorhandener Gattungsgrenzen, diese auch überschritten und Spuren arthurischen Erzählens unabhängig von ihnen identifiziert werden können.

Im Rahmen mehrerer Beiträge, die sich mit dem Tristan-Stoff beschäftigen, behandelt Ricarda Bauschke „Die Bedeutung des Meeres in den deutschen und französischen Tristanromanen”. Sie zeigt darin die narratologische Funktion des Meeres, das die Erzählung nicht nur räumlich strukturiert, sondern dessen Überquerung und Überwindung einhergeht mit Transformationsprozessen der handelnden Figuren. Das Meer als Naturgewalt wird so zur narratologisch aufgeladenen Projektionsfläche für die Liebe Tristans und Isoldes, indem es Gemeinschaft und Trennung ebenso symbolisiert wie es zwischen Leben und Tod oszilliert. Es zeugt von einer feinen Ironie, dass die entfesselte und unkontrollierbare Naturgewalt erzähltechnisch als strukturierendes und illustrierendes Element fungiert. Derartige Schablonen, ihre Abwandlungen und Reibungen von und zwischen den verschiedenen Vorlagen und Bearbeitungen sind ein wiederkehrendes Merkmal arthurischen Erzählens. Dass hierbei auch die Entstehungskontexte der jeweiligen Werke eine Rolle spielen, zeigt Silvia Ranawake in ihrem Beitrag, der den kulturellen Transfer im europäischen Mittelalter in Gottfrieds Tristan im Hinblick auf die These untersucht, dass dieser nicht in Straßburg, sondern im als Handelszentrum aktiven Köln entstanden sein könnte. Vor diesem Hintergrund wird das höfische Ideal anhand des kulturellen Austauschs zwischen England und dem französischen Festland – hier schließt der Beitrag im Übrigen sehr passend an das vorhergehende Meeresthema an – herausgearbeitet. Während der höfische Transfer in Tristan sein personifiziertes und ideales Abbild findet, sind es weitere Impulse aus dem Französischen, die die höfische Gesellschaft perfektionieren. Sie schlagen sich nicht zuletzt in der Sprache nieder, wie zum Beispiel der französisch entlehnte hippologische Fachwortschatz demonstriert.

Mit arthurischen Pferden befasst sich auch Brigitte Burrichter, die unter andrem an Vorarbeiten Ingrid Bennewitz’ anknüpft und „die Damen und ihre Pferde” untersucht. Als Textgrundlage dienen ihr Chrétiens Erec et Enide und sein Hartmann’sches Pendant. Das Pferd ist ein allgegenwärtiger und unabdingbarer Bestandteil arthurischen Personals und dabei sowohl ein Mittel zu Schauplatzwechseln als auch ein ritterlicher Identifikator. Es erfüllt vermittelnde Funktionen auf diegetischer wie narratologischer Ebene. Dabei sind es hier vor allem äußere Merkmale des Pferdes, wie seine Farbe, die eine Übertragung auf die Figuren zulassen und vor allem dazu dienen, das Paar miteinander zu assoziieren und den Stand der jeweiligen Beziehung zu illustrieren. Während Chrétien hier einen Schwerpunkt auf die Entwicklung Enides legt, schärft Hartmann den Aspekt der Pferdepflege und demonstriert daran Enites Duldsamkeit. Auch im Beitrag Monika Unzeitigs zu „Status, Ritual und Affekt” klingt an, dass die Pferde im Artusroman Katalysatoren sind, die sich produktiv auf die âventiure-Struktur auswirken.

Der Essay von Christoph Schanze knüpft an die Überlegungen Friedrich Wolfzettels zu „Brunnen und Unterwelt” an und betrachtet vor allem anhand der Quelle im Yvain die ‚Überwindung der mythischen Wurzeln’ im Artusroman. Der locus amoenus suggeriert dabei ein utopisches Idyll, das erst aus dem erzählerischen Rahmen heraus handlungsaktivierendes Potential erhält. Die Handlungsanweisung erfolgt in einer mehrfach geschachtelten Erzählung am Artushof und hat sowohl für den arthurischen Adressatenkreis als auch für den Rezipienten informativen Wert. Bereits diese Information genügt jedoch, um die ‚Handlung zum Handeln’ zu initiieren.

Während hier ein literarischer Ort das erzählte Objekt ist, das erzählerisch aktiviert wird, widmet sich Cora Dietl in ihrem Beitrag dem narrativen Gehalt arthurischer Dinge. Eine Gemeinsamkeit der exemplarisch untersuchten Gegenstände – namentlich des Gralsschwerts, des Golds der Saelde und des Brackenseils in Albrechts Titurel – sieht sie in der ihnen inhärenten Materialität und hier besonders in der Kraft der Edelsteine. Ein weiterer Faktor, der die Objekte eint und sie nahezu aktiv an der Handlung teilnehmen lässt, ergibt sich aus dem Zusammenspiel von narrativem Zweck und einer begleitenden diegetisch verbalen Aktivierung.

Die obigen Beispiele zeigen Formen arthurischen Erzählens in der höfischen Dichtung des Hochmittelalters, der Band beschränkt sich jedoch nicht auf diese Texte, sondern verfolgt entsprechende Formen bis in die Gegenwart. Hier zeugen Spuren arthurischen Erzählens im Musikdrama und dem zeitgenössischen Roman von seiner disziplin- und epochenübergreifenden Wirkung.

Als Resultat ständiger rezipierender und reflexiver Aushandlungsprozesse lassen sich die Besonderheiten des arthurischen Erzählens erst in der Retrospektive sinnvoll erfassen. Diesem Umstand wird die Zusammenstellung der Beiträge gerecht. Sie präsentiert ein Bild, das einige Merkmale des arthurischen Erzählens aufzeigt, die illustrieren, dass es sich um eine Erzählform handelt, die mit narrativen, sozialen, politischen und disziplinären Grenzen spielt und diese überwindet. Die Formen, die es dabei annimmt, lassen sich zwar auf den Artusroman zurückführen, sind jedoch keineswegs auf diesen beschränkt.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Cora Dietl / Christoph Schanze (Hg.): Formen arthurischen Erzählens. Vom Mittelalter bis in die Gegenwart.
De Gruyter, Berlin 2016.
383 Seiten, 89,95 EUR.
ISBN-13: 9783110486629

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