Vom genialen Original zur kongenialen Übersetzung

Alexander Nitzbergs „unfrisierte“ Übersetzung von Dostojewskis Roman „Der Spieler“

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Knapp fünf Jahre nach der Übersetzung des Spielers durch Svetlana Geier, deren Neuübersetzung der „fünf Elefanten“, wie sie die dicken Romane Dostojewskis nannte, viel Beachtung und großes Lob erfuhr, folgt die „unfrisierte“ Übertragung dieses Romans von Alexander Nitzberg. Bedenkt man, dass dieser relativ schmale Band zwischen 2005 und 2008 in drei anderen Übersetzungen erschien, so erinnert dies an die Dostojewski-Hochkonjunktur der späten Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts mit zahlreichen Übersetzungen und bestätigt die These, dass Klassiker immer wieder neu übersetzt werden müssen.

Waren bisherige Dostojewski-Übersetzungen ins Deutsche von großer philologischer Präzision geprägt, wie Ilma Rakusa dies vor allem der dreizehnbändigen Edition des Aufbau-Verlags bescheinigte, so muss eine Dostojewski-Übersetzung, die nach Svetlana Geier folgt, besondere Qualitäten aufweisen. Alexander Nitzberg gelingt das mit Bravour. Seine Übersetzung wirkt frisch, unbefangen, ja frei von der unnötigen Pietät gegenüber dem großen Autor.

Im Umgang mit dem Text nimmt sich Nitzberg durchaus Freiheiten heraus, wie z.B. den Wechsel ins Präsens, während das Original in der Vergangenheitsform geschrieben ist. Dadurch liest sich das Buch unmittelbarer, schneller, die Figuren und die Handlung sind näher. Das so beschleunigte Erzähltempo der deutschen Übersetzung entspricht dem stellenweise elliptischen Stil des Originals. Flott, forsch, manchmal sogar frech klingt Der Spieler in deutscher Sprache. Der Lesefluss wird getragen von der Leichtigkeit und Unbefangenheit der Sprache. Verstärkt wird dieser Effekt durch den Klang des Romans, denn der Übersetzer Nitzberg trifft auf den Sprachvirtuosen und Dichter Nitzberg. Und so verwandelt sich der geniale russische Text, in dem all das komprimiert ist, was Dostojewski zu einem der bedeutendsten Schriftsteller aller Zeiten machte, in die kongeniale deutsche Übersetzung.

Die Handlung spielt sich im Hotel und Casino von Roulettenburg ab, einem Kurort, dem Wiesbaden und Bad Homburg Pate standen. Im Spieler thematisiert Dostojewski die Dämonie des Geldes, die Spielsucht, die Liebesunfähigkeit und sexuelle Abhängigkeit. Vor dem Hintergrund einer skurrilen Gesellschaft um den hochverschuldeten General, der unsterblich in eine französische Kokotte verliebt ist, tritt zunehmend der Ich-Erzähler, Aleksej Iwanowitsch, in den Vordergrund. Er ist Hauslehrer in der Familie des Generals, jung, intelligent und verloren: Er kann weder mit dem Geld noch mit den Gefühlen umgehen.

Aleksej Iwanowitsch ist ein Draufgänger, der zügellos hier und jetzt lebt, ohne sich Gedanken um morgen zu machen. Da er sich, seine Umgebung und die Mitmenschen durchschaut, fiebert der Leser zunächst mit dem jungen Hauslehrer mit, hofft auf seinen gesunden Menschenverstand, wünscht ihm, aus den Fehlern anderer zu lernen; zum Beispiel des Generals, der auf den Tod seiner Erbtante warten muss, um mit ihrem Geld seine Probleme zu lösen. Doch die Erzähllogik ist unerbittlich. Im Ruin enden nicht nur der General und der Ich-Erzähler, sondern auch die baboulinka, die Erbtante des Generals, die angeblich sterbenskrank aus Moskau nach Roulettenburg reist, um zu verhindern, dass ihr Erbe verschleudert wird.

Diese alte, herrische Matrone, die im ganzen Kurhaus für eine Riesenfurore sorgte, ist im Nu dem Roulettespiel verfallen und verliert am Spieltisch Unmengen. Während sie sich vor der Spielsucht rettet, indem sie nach Moskau abreist, sitzen der General mit seinen Kindern und der Ich-Erzähler in Roulettenburg fest. Mittellos stirbt der General, nervenkrank landet seine Stieftochter Polina in einem Sanatorium, während die jüngeren Kinder in einem Heim unterkommen. Mademoiselle Blanche, die Femme fatale, muss ein neues, am Spieltisch reich gewordenes Verführungsopfer suchen, das sie dann wie ein Schoßhündchen behandeln wird. Und Aleksej Iwanowitsch hofft vergeblich auf Selbstbeherrschung; seinen letzten Gulden wird er an den Spieltisch tragen, wobei er glasklar konstatiert: „Ich habe alles verloren, wirklich alles…“

Dostojewski ist schonungslos zu seinen Figuren: Er beraubt sie jeder Entscheidungsfreiheit, treibt sie wie Jagdtiere in die Enge, sodass sie gefangen und fremdgesteuert sind. Das Geld bestimmt ihr Denken und Handeln. Es ist erspieltes, meist aber verspieltes Geld, das den Menschen verändert und seine Beziehungen gefährdet. Bezeichnend ist dabei, dass die Fremde entkrampft. In noblen Casinos, wo Croupiers Beträge in Fremdsprachen entgegennehmen und man mit Franzosen und Engländern eine dekadente Gesellschaft bildet, verspielt sich das Geld leichter und schneller. Die Erbtante bringt dies auf den Punkt: „Hauptsache, einem was vormachen! Hab schon gehört, große Kutsche und so! Les seigneurs russes von Köpf bis Füß! Tja, wenn man blank ist, dann nix wie ins Ausland!“

Die Casinos und Kurhäuser waren Treffpunkt der Reichen und Glücksuchenden aus verschiedenen Ländern und eine Art Vorläufer des globalisierten Geldsystems. Deshalb wird in diesem Roman auch die Interkulturalität thematisiert. Ob die schonungslose Kritik an verklemmten Russen im Ausland, die am liebsten „eine festgelegte, ein für allemal etablierte Norm, an die sie sich dann sklavisch halten“ hätten, das Lob an „die nationale Form der Franzosen“ oder die Bemängelung der steifen und unästhetischen Art der Engländer – dies alles bringt Dostojewski in Zusammenhang mit dem Verhalten im Spielcasino und dem Umgang mit Frauen.

Nicht nur als Chronist der Abgründe und Klüfte der menschlichen Seelenlandschaft, sondern auch als Spielsüchtiger, der nach Deutschland vor russischen Gläubigern fliehen musste, ist Dostojewski im Spieler aufrichtig und glaubwürdig. Ein mitreißender, packender Roman, der dank dem rasanten Erzähltempo, den kurzen Spannungsbögen und der phänomenalen Übersetzung zu einem Leseerlebnis in deutscher Sprache wird.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Fjodor Dostojewski: Der Spieler oder Roulettenburg. Roman.
Neuübersetzung; herausgegeben von Alexander Nitzberg.
Übersetzt aus dem Russischen vom Alexander Nitzberg.
dtv Verlag, München 2016.
234 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783423280976

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