Rastlose Existenzen

Unterwegs mit Jochen Rausch: „Im Taxi“ auf einer „Deutschlandreise“

Von Bernhard JudexRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Judex

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit Martin Scorseses Taxi Driver (1976) mit Robert de Niro als frustriert-wanhsinnigem Travis, der sein Yellow Cab durch den New Yorker Straßendschungel lenkt, hat das Taxi einen wenn auch nicht prominenten, so doch festen Platz in Kino und Literatur. Jim Jarmuschs genial witzige Nahaufnahme Night on Earth inszenierte 1991 einprägsame Begegnungen zwischen Fahrgästen und ihren skurrilen Chauffeuren. In Deutschland hat die Hamburger Ex-Taxilenkerin und Schriftstellerin Karen Duve 2008 ihren Roman Taxi veröffentlicht und gibt mit ihm Einblicke in das alles andere als langweilige Beförderungsgewerbe. Auf einem bereits 1958 im französischen Original erschienenen Text von Louise de Vilmorin basiert die deutsche Übersetzung Der Brief im Taxi von 2016.

Aktuell erschienen ist nun unter dem Titel Im Taxi die literarisch-journalistische Reportage des WDR-Redakteurs und Autors Jochen Rausch. Nicht wenigen der von ihm in insgesamt 120 kurzen Sequenzen auf je einer Seite porträtierten Taxilenkern und – weit weniger häufig vertretenen – Taxilenkerinnen merkt man an, dass die goldenen Zeiten der Branche längst vorbei sind. Eine ungehemmt freie Marktwirtschaft und der Konkurrenzdruck – Stichwort Uber –, vereint mit immer strengeren behördlichen Vorschriften bei gleichzeitig zunehmendem Verkehrsaufkommen trüben nicht nur die Freude am Fahren, sondern auch die Verdienstmöglichkeiten. Rund 50.000 elfenbeinfarbene Autos mit dem „Dachziegel“ sind im Bundesgebiet registriert. Ihre 250.000 Fahrer und Fahrerinnen sind im Schichtdienst Tag und Nacht bei jedem Wetter unterwegs und warten mal mehr, mal weniger gelassen auf Kundschaft.

Jochen Rausch, selbst leidenschaftlicher Taxifahrgast, ließ sich auf seiner „Deutschlandreise“, so der Untertitel seines Porträts, durch verschiedene Städte – von Aachen bis Wuppertal, von Rosenheim bis Berlin, von Saarbrücken bis Cottbus – chauffieren. Neben den notorischen Nörglern und Schwarzsehern, den „Adipösen“ und von ihrer Arbeit Frustrierten gibt es zahlreiche fröhliche Freigeister, intellektuelle Lebenskünstler und erfahrene Routiniers. Der Studienabbrecher der Politologie ist ebenso anzutreffen wie der ausgebildete Akademiker aus dem Iran oder der türkischstämmige Berliner, wütende Lenker aus dem Ruhrgebiet, die über Radfahrer schimpfen, genauso wie der kultivierte und zuvorkommende Chauffeur alter Schule, der anstrengende Possenreißer oder manch reifere Dame, die ihre Pension aufbessert und der Tochter das Studium finanziert. So mancher beklagt sich zu Recht über die Primitivität einzelner Fahrgäste, unter denen sich neben unangenehmen und handgreiflichen Nachtschwärmern – so in Düsseldorf – durchaus auch mal ein harmloses Hündchen befindet, das zum doppelten Fahrpreis zu seinem Herrchen gefahren werden will. Nur für wenige ist die Arbeit als Taxilenker ihr „Traumberuf“.

Im Taxi bietet einen äußerst lesenswerten Einblick in den beruflichen Alltag sowie das höchst unterschiedliche soziale Milieu des Berufskraftfahrers hinter dem Volant der modernen Droschke, die schon längst nicht mehr ausschließlich einen Stern auf der Kühlerhaube trägt. Die 120 Momentaufnahmen, aus dem Leben gegriffene Szenen einer im Durchschnitt an die 15 Minuten dauernden Fahrt, sind rasch verschlungen. Vielleicht mag die eine oder andere Episode in der Kürze etwas zu überzeichnet oder literarisch nachbearbeitet wirken. Doch insgesamt bietet das Buch eine spannende und amüsante Perspektive auf die Welt, wie sie der Taxler eben nur aus seiner Sicht kennt.

Als „Seismographen unserer Gesellschaft“, so Rausch, haben Taxilenker mit allen Bevölkerungsschichten Kontakt und immer etwas zu erzählen. Das liegt am Unerwarteten dieses Jobs, an der vielschichtigen Klientel, die vom renommierten Opernsänger bis zum arbeitslosen Alkoholiker, vom hochbetagten Rentner bis zum partygestylten Teenager reicht. Im Grunde genommen wissen weder Fahrer noch Kunde im Vorhinein, wer neben ihnen sitzt. Freilich kann man es auch nüchterner sehen wie jener im Vorwort zitierte Chauffeur: „Fahrer und Fahrgast haben eines gemeinsam […], beide fahren Taxi, weil sie müssen.“ Doch dabei wird der Wagen zu einer Art Mikrokosmos des oft banalen, aber auch aufregenden und überraschenden Alltags und hat eine dem Beichtstuhl vergleichbare Atmosphäre des vertraulich geschützten Raumes. Hernach steigt man nicht nur seelisch geläutert, sondern um einige Euro erleichtert, wenn schon nicht im Paradies, so doch am Ort seiner vorübergehenden Wahl aus. Die Taxifahrer und -fahrerinnen hingegen sind berufsbedingt rastlose Existenzen. Sie kennen die Höhen und Tiefen der menschlichen Psyche und haben zwischen den Fahrten, während manch unerträglich langer Stunde des Wartens Zeit, über den Sinn des Lebens zu reflektieren. In welch anderem Beruf außer dem des Schriftstellers oder Philosophen hat man schon dieses Privileg?

Titelbild

Jochen Rausch: Im Taxi. Eine Deutschlandreise.
Berlin Verlag, Berlin 2017.
128 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783833310812

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