Der Wegbereiter

Erik O. Wright überführt Alternativen zum Kapitalismus aus dem Bereich des Utopischen in die überprüfbare Realität – und öffnet damit Horizonte

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An der großen K-Frage haben sich schon viele Denker den Kopf gestoßen. Und auch, wenn die für Mensch und Umwelt zerstörerische Kraft des Kapitalismus heute mehr denn je offenbar wird, scheint das Streben nach Alternativen aus der Mode gekommen zu sein. Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen werden schon für tot erklärt, bevor die Erfahrungen und Ergebnisse ihrer Erforschung vorliegen. Wie groß die allgemeine Ohnmacht in dieser Hinsicht ist, zeigte sich auch 2008, in der Phase nach der Lehmann Brothers-Pleite. Alle Energie und Aufmerksamkeit von Politik und Medien flossen in die Rettung der herrschenden Systeme, kaum je wurden B-Pläne erdacht. Erik Olin Wright, Professor für Soziologie an der Universität von Wisconsin (USA), wagt nun mit Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus einen Versuch, die Dominanz des Kapitalismus zu durchbrechen. In seinem Buch vereint er nicht einfach nur verschiedene Konzepte, sondern zeigt – wie der Titel es verspricht – viele kleine Schritte auf, die gemeinsam zu einer anderen, neuen und vor allem gerechteren Form des menschlichen Miteinanders führen sollen.

Anders als viele Autoren vor ihm propagiert Wright nicht den Systemwechsel durch Reformen „von oben“, sondern zeigt emanzipatorische Maßnahmen „in den Räumen und Rissen innerhalb kapitalistischer Wirtschaften“ auf, die die Welt, so wie sie auch sein könnte, vorwegnimmt. Aus genau diesem Grund hält Wright auch nicht viel von der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Denn das sei abhängig von politischen und ideologischen Bedingungen. Wrights Interesse liegt auf emanzipatorische Alternativen beziehungsweise reale Utopien, die die Diskussion in die Überprüfbarkeit führen. Und er tut dies mit einem „Optimismus des Intellekts“, wie er es selbst nennt.

Es ist diese Grundhaltung, die die Lektüre des Buches so angenehm macht. Wright blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. Sein Ton ist aufklärerisch und dringlich, aber nie anklagend. Er sucht nicht die Schuldigen für das Hier und Heute, sondern die Macher für das Morgen. Nach einer ausführlichen Einführung in die Aufgaben emanzipatorischer Sozialwissenschaft und einer ebenso reichen Diagnose und Kritik des Kapitalismus widmet sich Wright in den Kernkapiteln II und III den Alternativen (wesentlich hier: „Gesellschaftliche Ermächtigung und der Staat“ sowie „Gesellschaftliche Ermächtigung und die Wirtschaft“) sowie der Transformation (durch Bruch und durch Freiräume). Dabei wird offenbar, wie tief Wright im Thema ist, wie oft er seine Ansätze diskutiert und feingeschliffen hat. Seit 1992 verfolgt er gemeinsam mit Kollegen das Real Utopias Project, aus dem sich die Erkenntnisse dieses Buches im Wesentlichen speisen. Sechs Bücher sind aus diesem Projekt heraus bereits erschienen, aber keines von ihnen hat einen vergleichbaren, systematischen Ansatz und ist derart nachvollziehbar aufgebaut.

Wright gelingt eine anregende und inspirierende Darstellung eines bevorstehenden Wandels. Ihm gelingt ein appellativer Ausblick auf das gesellschaftliche Zusammenleben abseits des ausbeuterischen und wachstumsfokussierten Kapitalismus. Seine Analyse verwendet Instrumente der klassischen und modernen Sozialwissenschaften und ist angereichert mit zahlreichen Modellen. Dass es nicht bei der Utopie bleibt, sondern diese auch umgesetzt wird, das sei Aufgabe des mündigen Bürgers. Wrights Buch wird dazu beitragen, dass die Diskussion um Alternativen zum Kapitalismus künftig wieder verstärkt aufgenommen wird.

Titelbild

Erik Olin Wright: Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus.
Mit einem Nachwort von Michael Brie.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Max Henninger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
530 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783518297926

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch