Im Strudel der Nationalismen

Stefan Vogt untersucht die Beziehungen zwischen Zionismus und Nationalismus in Deutschland zwischen 1890 und 1933

Von Galina HristevaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Galina Hristeva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für die Antisemiten war der Zionismus „ein nützlicher Feind“, wie der Historiker Francis R. Nicosia 1989 in einem Aufsatz über die Situation des Zionismus im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1939 schrieb. Alfred Rosenberg, ein Weggefährte Adolf Hitlers und späterer Chefideologe des Nationalsozialismus, forderte schon 1920: „Der Zionismus muß tatkräftig unterstützt werden, um jährlich eine zu bestimmende Zahl deutscher Juden nach Palästina oder überhaupt über die Grenze zu bringen.“ Gleichzeitig aber taten sich deutsche Antisemiten mit dem Zionismus auch deshalb schwer, weil er ihrer Überzeugung widersprach, die Juden würden nichts Geringeres als die Weltherrschaft erstreben. Letztere Annahme wurde von den Nationalsozialisten trotzdem mit Nachdruck vertreten. In diesem hochexplosiven Spannungsfeld mit all seinen Widersprüchen, Antagonismen und Paradoxien siedelt Stefan Vogt seine hervorragende Habilitationsschrift Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland an, um die Rolle und die Situation des Zionismus in Deutschland in den Jahren von 1890 bis 1933 zu klären.

Vogts zentrale Prämissen und sein grundsätzliches Vorgehen sind bei all der Komplexität des Themas sehr gut nachvollziehbar: Die Arbeit basiert auf der These von der Verschränkung von Zionismus und Nationalismus, von der Nähe des Zionismus zum nationalistischen, völkischen Denken. Vogt selbst bezeichnet die Affinität des deutschen Zionismus zu den „neoromantischen und völkischen Vorstellungen über die Nation“ als „eine der zentralen Paradoxien in der Geschichte des deutschen Zionismus“. Dabei bedeutet „völkisch“ für Vogt „jede Vorstellung, die „das Volk“ als eine primordiale Gemeinschaft“ versteht und die nicht auf eine bestimmte ideologische Gruppe beschränkt ist.

In Anlehnung an Pierre Bourdieus Feldtheorie profiliert Vogt den Nationalismus als ein politisch-ideologisches Feld, welches „keinesfalls glatt und einheitlich, sondern grundsätzlich inhomogen und uneben, konfliktreich und herrschaftsdurchzogen“ ist. Innerhalb dieses Feldes finden Positionierungen statt – ein dynamischer Prozess „heteronomer Zuweisung“ sowie „autonomer Einnahme“ einer Position. Obwohl der Zionismus im Feld des Nationalismus ein „Nachzügler“ war, präsentiert Vogt in seiner Studie eine Reihe äußerst interessanter und aufschlussreicher Entwicklungen. Ihm gelingt es, den Platz des Zionismus im Feld des Nationalismus zu identifizieren, womit er unter anderem das typisch antisemitische Argument entkräften kann, die Juden hätten immer „eine uneindeutige Position“ eingenommen.

Ebenso eindeutig wie Vogt den Platz des Zionismus im Nationalismus bestimmt, definiert er auch dessen besondere Rolle in diesem Feld. Dazu arbeitet er mit der von Antonio Gramsci stammenden Kategorie der Subalternität, weist also dem Zionismus eine „subalterne“ Position zu. Auch wenn dies wieder eine „Zwischenposition“ sei, macht er in seinem Buch deutlich, dass die subalterne Position nicht so widersprüchlich und ambivalent ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Im Gegenteil: Der Zionismus konnte das Feld des Nationalismus sowohl „mitkonstruieren“ als auch „unterminieren“. Er war aufbauend und konstruktiv, nicht zuletzt jedoch auch subversiv – eine, trotz manchem Widerspruch, aktive, lebendige, lebensfähige Ideologie, die ihren ideologischen Konkurrenten im Feld des Nationalismus in vielem überlegen war. Der deutsche Nationalismus wiederum befand sich nach Vogt in einer „hegemonialen“, der subalternen gegenüberstehenden Position.

Mit diesen Entscheidungen wirkt Stefan Vogt einfachen Dichotomien, „falschen Uneindeutigkeiten“ und Vereinfachungen entgegen. Er kann hiermit nicht nur die Rolle des Zionismus im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert überzeugend festmachen, sondern auch ein neues Licht auf den Nationalismus-Diskurs werfen sowie Differenzierungen innerhalb des ideologischen Feldes des Nationalismus vornehmen. Den schlichten und wissenschaftlich sterilen Unterscheidungen zwischen einem „bösartigen“ und einem „gutartigen“ Nationalismus setzt der Autor die Geschichte einer auf Widersprüchen und Interaktionen beruhenden Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Positionen entgegen. Weiterhin konstatiert Vogt: „Bis heute wird die Geschichte des Zionismus oft gerade nicht als die Geschichte eines subalternen Nationalismus innerhalb Europas verstanden, sondern vor allem als Vorgeschichte des Staates Israel und damit sozusagen als Geschichte eines hegemonialen Nationalismus in statu nascendi.“ Er versucht also, die Einschränkung und Einengung der Geschichte des Zionismus auf einen „Weg zum Staat Israel“ (Walter Laqueur) zu verhindern.

Hauptstationen von Vogts Studie über den Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland sind die unterschiedlichen Konstellationen zwischen dem subalternen Zionismus und mehreren, sich im selben Feld, allerdings meist in einer hegemonialen Position befindenden Diskursen und Strömungen. Zu letzteren gehören etwa der Rassediskurs, der Kolonialismus in Deutschland, die Konservative Revolution und nicht zuletzt der Antisemitismus. Diesen Konstellationen sowie den Beziehungen des deutschen Zionismus zum ethischen Sozialismus und zur Jugendbewegung widmet sich der Autor in einzelnen, nach klaren Prinzipien aufgebauten Kapiteln. Das Nebeneinander eines übersichtlichen Aufbaus, einer klaren Sprache, einer einleuchtenden, mit Fakten und Quellen gut unterfütterten Argumentation und einer bis in die Verästelungen des Zionismus (etwa bis zum zionistischen Orientalismus oder zum Pan-Asiatismus) gehenden, von vielen Differenzierungen geprägten Darstellung zeugt von der hohen wissenschaftlichen Qualität der Arbeit von Stefan Vogt.

Die große Fülle an Informationen und Namen, die konsequente Verquickung mehrerer Diskurse und die beeindruckende Menge an Forschungsliteratur mindern an keiner Stelle die Kraft der Argumentation in dieser umfangreichen Studie. Zudem lässt sich jedes Kapitel auch unter Ausklammerung des Zionismus fast wie eine eigenständige Untersuchung über einige zentrale Diskurse und Strömungen der europäischen Geistes- und Ideologiegeschichte lesen. Man wird aus Vogts Studie ebenso viel über die Zivilisationskritik und die Degenerations- und Untergangsdebatten des ausgehenden 19. Jahrhunderts wie auch über den ethischen Sozialismus, die Jugendbewegung und die Konservative Revolution erfahren. Vogt zeigt unmissverständlich, wie fest die Philosophien Johann Gottlieb Fichtes, Georg Wilhelm Friedrich Hegels und das Gedankengut der Lebensphilosophie in den zionistischen Diskurs integriert waren.

Vogts kenntnisreiche Untersuchung räumt darüber hinaus mit diversen Irrtümern und pauschalen Behauptungen auf, beispielsweise mit der von den Nationalsozialisten oft vollzogenen Gleichsetzung von Marxismus/Bolschewismus und Judentum. Vogt weist die relative Entfremdung zwischen Marxismus und Zionismus bei gleichzeitiger Affinität zwischen Zionismus und ethischem Sozialismus nach. Ein Höhepunkt der Untersuchung ist das letzte Kapitel. Hier setzt sich der Autor mit der Haltung des deutschen Zionismus zum Antisemitismus auseinander und skizziert mehrere zionistische, lange vor Hitlers Machtergreifung einsetzende, gegen den erstarkenden Antisemitismus gerichtete Strategien – bisher ein Forschungsdesiderat. So kann er zeigen, dass die zionistische Haltung zum Antisemitismus keineswegs von „Ignoranz und Defätismus“ geprägt war und dass es den deutschen Zionisten gelungen war, eine souveräne Antwort auf den Antisemitismus zu finden, obwohl sie selber an mancher völkischer Annahme festhielten.

Einwenden könnte man, dass durch die Konzentration auf das ideologische Feld „Nationalismus“ andere Aspekte und weitere Akteure ausgeblendet werden – so zum Beispiel der liberal geprägte, im Sinne Theodor Herzls formulierte politische Zionismus beziehungsweise der westeuropäische Zionismus liberaler Prägung. Man denke etwa an Herzls Vorstellung von der alten, neuen Heimat der Juden in seinem Roman Altneuland, wo es für Nationalismen keinen Platz gibt. Da sich der deutsche Zionismus aber nach Herzl und nach den Anfangsjahren des politischen Zionismus umorientierte und der Kulturzionismus die Oberhand gewann, ist Vogts Fokussierung auf den deutschen Kulturzionismus gerechtfertigt. Gerade der Kulturzionismus war es also, der „im völkischen und neoromantischen Denken seiner Zeit verwurzelt“ war.

Stefan Vogt ist es außerdem wichtig, zu betonen, dass „der Nationalismus bis heute eines der mächtigsten und dauerhaftesten Hindernisse für die menschliche Emanzipation darstellt.“ Diese Grundüberzeugung hindert ihn nicht daran, mit seiner Studie – ohne auf eine Kritik des deutschen Zionismus wegen seiner Positionierung zu verzichten – darauf hinzuweisen, dass „der Nationalismus unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten historischen Konstellationen eine notwendige und auch eine emanzipatorische Strategie sein konnte.“

Der Zionismus ist keine „innerjüdische Angelegenheit“ gewesen – das hat Stefan Vogt mit seiner Studie überzeugend gezeigt. Er ist ein wichtiger Teil der Geschichte des deutschen und des europäischen Nationalismus. So gesehen hat Vogt einen bedeutenden Beitrag zur Geschichte der Ideologien im 20. Jahrhundert geleistet. Im Epilog seiner Studie kommt er dann noch auf die „Araberfrage“ zu sprechen, deren Kern er aus der damaligen zionistischen Perspektive folgendermaßen wiedergibt: „Im Zentrum stand die Idee der Verständigung mit der arabischen Bevölkerung Palästinas, man wandte sich gegen die Etablierung eines jüdischen Nationalstaates und plädierte stattdessen für eine wie auch immer geartete Föderation mit den Arabern, und man wollte verhindern, dass sich der Zionismus zu einer Nationalbewegung nach dem Muster des egoistischen und aggressiven europäischen Nationalismus entwickelte.“ Die Zionisten haben Teile ihrer subalternen Denk- und Handlungsweise, ihres unaggressiven, emanzipatorischen und selbstkritischen Habitus auch nach Palästina mitgenommen, woraus „eine bemerkenswert moderate nationale Politik“ entstand.

Titelbild

Stefan Vogt: Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland, 1890-1933.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
496 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783835319516

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch