Probleme eines Pensionierten

Im 21. John-Rebus-Roman des Schotten Ian Rankin erlebt nicht nur dessen berühmter Edinburgher Detective Inspector einen höchst unruhigen Ruhestand

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich ist er ja schon pensioniert, dieser John Rebus. Aber immer wieder wird er gebraucht und um Hilfe gebeten. Etwa von den Ex-Kollegen: Siobhan Clarke, die das Polizeigeschäft unter seiner Führung erlernte, und Malcolm Fox, der es inzwischen vom verhassten internen Ermittler nach Gartcosh, in ein überregionales Polizeizentrum zur koordinierten Bekämpfung von organisiertem Verbrechen und Terrorismus in Schottland, geschafft hat. Oder – wie diesmal – von einem Kleinkriminellen, der endlich einmal im Lichte der Öffentlichkeit stehen möchte und sich deshalb seit Jahren immer dann bei der Polizei meldet, wenn für ein Verbrechen noch der Täter fehlt. Diesmal will der Mann, den Rebus nur zu gut kennt, sogar einen von Edinburghs mächtigsten Unterweltbossen, Darryl Christie, vor dessen Haus überfallen und ins Krankenhaus geprügelt haben. Dass er bei seiner Selbstanzeige mit dem Feuer spielt, scheint er freilich nicht zu ahnen.

Aber natürlich nimmt sich John Rebus des harmlosen Verrückten an. Obwohl den geschworenen Stones-Fan, Single-Malt-Liebhaber und gewesenen Raucher – er versucht, das Teufelszeug zu meiden, seitdem die Ärzte bei ihm einen Schatten auf der Lunge gefunden und damit nicht nur Rebus selbst, sondern auch die Pathologin Deborah Quant, mit der er seit einiger Zeit zusammen ist, auf’s Äußerste beunruhigt haben – zur Zeit ganz andere Dinge umtreiben. Seit er pensioniert wurde, interessieren ihn, der das Ermitteln nicht sein lassen kann, nämlich die so genannten „cold cases“, Kriminalfälle also, die zu ihrer Zeit die Öffentlichkeit bewegten, aber nie gelöst werden konnten. Wie der Mord an der glamourösen Maria Turquand, Bankiersgattin und männerverschlingender Vamp in der guten Edinburgher Gesellschaft der 1970er-Jahre.

Just da, wo sie immer ihre schnell wechselnden Liebhaber zu empfangen pflegte, in einem Zimmer des Caledonian Hotels nämlich, wurde die Frau am 17. Oktober 1978 erwürgt aufgefunden. Verdächtige gab es einige. Aber weder ihrem damaligen aktuellen Liebhaber, einem Freund ihres Mannes, noch dem Rockmusiker Bruce Collier, der sich mit großer Entourage gerade in der Stadt aufhielt und eine Suite auf dem gleichen Hotelflur bewohnte, konnte die Tat nachgewiesen werden. Auch eine spätere Wiederaufnahme des Falles führte nicht zu seiner Aufklärung.

Genau das Richtige für den unruhigen Ruheständler. Und weil John Rebus es mit Glück, Geschick, seinem rauen Charme und gelegentlich einer gehörigen Portion Dreistigkeit immer wieder schafft, seine alte Abteilung beim Edinburgher CID für seine Zwecke einzuspannen, sitzt er schon bald über den Akten von damals und schafft es, jenen Polizisten zu finden, der bei der Wiederaufnahme des Frauenmordes federführend war. Der arbeitet inzwischen als Türsteher vor Glasgower Bars und vermag Rebus kaum zu neuen Erkenntnisssen oder Spuren zu verhelfen. Kurz nach ihrem Treffen allerdings wird der Mann tot aus dem Wasser gezogen, schwer alkoholisiert und mit gefesselten Händen. Und plötzlich beginnen sich der alte Fall und die aktuellen Entwicklungen, die mit dem Überfall auf Darryl Christie begannen und inzwischen immer höhere Wellen schlagen, miteinander zu verzahnen.

Ian Rankin ist ein Großmeister im Verknüpfen von Handlungssträngen. Auch in Ein kalter Ort zum Sterben hat er es bald geschafft, dass ein Jahrzehnte zurückliegendes Gewaltverbrechen, der scheinbar unmotivierte Angriff auf einen stadtbekannten Gangster, die finanziellen Machenschaften eines ukrainischen Mafiosos, halbseidene Geschäfte Edinburgher Bankiers über dubiose Briefkastenfirmen, zwei Entführungen sowie der schwelende Machtkampf zwischen den örtlichen Szenegrößen Darryl Christie und Big Ger Cafferty, der schon in den letzten Rebus-Romanen keine unwichtige Rolle spielte, mehr miteinander zu tun haben, als das zu Beginn des Romans erahnbar ist.

Dazu kommen die schon aus den Vorgängerbüchern bekannten Konflikte zwischen Edinburgher und Glasgower Verbrecherclans, die nicht immer friedvolle Atmosphäre zwischen Rebus’ Hauptakteuren auf Polizeiseite und Jude, die spielsüchtige Schwester von Malcolm Fox, die für ihren überkorrekten Bruder diesmal zur Belastung wird, weil sie ihn angreifbarer macht, als ihm lieb sein kann.

Dass uns Rankin am Ende des Romans Lösungen für gleich mehrere Fälle präsentiert, die  wahrlich überraschend sind, und die – gelegentlich ein bisschen zu weit – auseiandergedröselten Handlungsfäden wieder zu einem festen Erzählgarn verspinnt, war bei einem Könner wie dem Schotten nicht anders zu erwarten. Besonders wohltuend  und große Erwartungen weckend aber ist die leise Ironie, mit der im allerletzten Satz des Buches – John Rebus’ Intimfeind Cafferty darf ihn sagen – angedeutet wird, dass es noch lange nicht zu Ende ist mit dieser wundervollen Romanserie. Die rankinerfahrene Conny Lösch hat die knapp 500 Seiten des Romans übrigens wieder in ein sehr gut lesbares Deutsch übertragen. Nur mit dem Titel, der im Original Rather bet the Devil lautet, kann man, auf der letzten Buchseite angekommen, wieder einmal wenig anfangen. Aber an Uninspiriertheiten dieser Art sind wir inzwischen ja schon fast gewöhnt. 

Titelbild

Ian Rankin: Ein kalter Ort zum Sterben. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Conny Lösch.
Goldmann Verlag, München 2017.
480 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783442314614

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