Die neue Härte

In „Big World“ erzählt Mary Miller Storys aus dem verschwendeten Leben junger Amerikanerinnen

Von Johannes GroschupfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Groschupf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nett war gestern. Hier kommt ein neuer, harter Ton des weiblichen Erzählens. Ein Ton, der nichts mehr beschönigt, nichts ausspart, nichts entschuldigt: „Ich trinke mein Bier aus und gehe raus auf den Parkplatz, um zu rauchen. Ich rauche eine Zigarette und noch eine, und dann gehe ich wieder rein, zur Toilette. Und ich rede mir ein, dass keiner mich hier haben will, dass ich eine Schlampe bin und ein Arschloch, dass ich nutzlos und unbegabt bin und keiner mich wirklich jemals lieben wird.“

Die zwölf Geschichten in Big World spielen in öden Ferienorten wie Navarre Beach in Florida, Gatlinburg oder Pigeon Forge in Tennessee, in tristen Motelzimmern, wo der Fernseher ununterbrochen läuft, in Frühstückräumen und labyrinthischen Spielcasinos, in die niemals Tageslicht fällt. Die Schauplätze sind Nicht-Orte wie Parkplätze, Tankstellen, Schnellimbisse, Shopping Malls und Wartezimmer, in denen man sitzt, weil der eigene Hund einem das Gesicht zerbissen hat.

In wenigen Sätzen fängt die Texanerin Mary Miller eine gescheiterte Beziehung, ein verfehltes Leben ein. Sie ist überaus treffsicher darin, den Überdruss und die Ratlosigkeit einer neuen Generation von Frauen zu schildern, die permanent an ihren eigenen Ansprüchen scheitern.

Diese Frauen sind 15 oder 20 Jahre alt, fühlen sich immer noch wie kleine Mädchen, zugleich aber schon alt und verbraucht. „In Spirituosenläden hatte ich noch immer dieses Gefühl, das ich aus Schülerzeiten kenne, als würde ich im Boden versinken: die Haare zu platt, die Nase total daneben, der Ausweis abgelaufen.“ Sie sind früh auf eine ganz banale Weise desillusioniert: „Wenn dich jeder ficken will, ist das nicht so gut, wie es klingt.“

Sie treiben durch Beziehungen, die ihnen nichts bedeuten, laborieren an Verlusten und Trennungen, deren Schmerz zu fühlen sie nicht imstande sind. Stattdessen greifen sie zu den üblichen Betäubungsmitteln: noch eine Zigarette, noch ein Bier, noch eine Whiskey-Cola-Light, noch ein hastiger One-Night-Stand, noch eine fiese kleine Beobachtung der Konkurrentin, der es noch etwas schlechter geht: „Ihre Haut hat die Farbe von Augenringen.“

Diese Frauen sind jung genug, dass die Männer ihnen nachlaufen, aber auch das geht ihnen eher auf die Nerven. Sie sind routiniert darin, sich in einer Bar zielstrebig die Kante zu geben: „Ich bin bei sechs Bier, einem Whiskey und vier geschnorrten Zigaretten, als er hinter mir steht, die Hand auf meiner Schulter. Ich bin in einem Zustand, in dem ich außer ficken wenig tun kann.“ Und wenn sie dann in einer Beziehung sind, mäkeln die Männer an ihnen herum: „Irgendwas stimmt mit dir nicht, sagt er, und so läuft das immer, wenn ich einem, der mich nur flüchtig kennt, zeige, wie ich bin. Du bist anders, heißt es dann immer. Es heißt, dir hat man ins Gehirn gefickt.“

Da sie selbst nichts von sich halten, lassen sie sich von ihren Freunden demütigen und entwerten, bis hin zu einem Schuss aus dem Luftgewehr in den Hintern. Sie rächen sich, indem sie weggehen oder mit dem nächstbesten Mann schlafen, doch eine wirkliche Bedeutung hat das alles nicht. Der Beziehungsabbruch ist ihnen zur Gewohnheit geworden. „Als Ehemann war er nett gewesen, wirklich, ein guter Ehemann, und sie hatte ihn verlassen, genau wie sie ihren Exfreund verlassen hatte und wie sie auch diesen verlassen würde.“

Ihre Lebensziele reduzieren sich darauf, sich noch zwei Kilo runterzuhungern, um draußen im Sport-BH trainieren zu können, aber natürlich finden sie sich dann immer noch zu fett. Kinder und Familie kennen sie nur aus Serien, die sie vor dem Einschlafen schauen. Ihr Leben hat einfach keinen Sinn, und darauf beharren sie mit einer patzigen Renitenz: „Gott und ich nehmen gerade eine Auszeit voneinander.“

Manchmal gerät der Erzählerin die Metapher für das verfehlte Leben ihrer Protagonistinnen allzu banal: „Es ist, als drücke mich ein Felsblock hinunter, und mir fällt ein, als ich zum ersten Mal eine Handtasche trug, war sie leer, also stopfte ich sie mit Dingen voll, die ich nicht brauchte, um die Leere zu füllen.“

So präzise und gnadenlos Miller die seelische Leere seziert und entblößt, ihre Storys leiden selbst unter diesem low life. Eine Handlung gibt es nur noch in Spurenelementen. Eine Wandlung, einen Moment der Erkenntnis gibt es allenfalls auf Sparflamme, die auch bald wieder erlischt.

Millers Protagonistinnen ähneln sich zum Verwechseln, sie alle hängen frustriert herum, leiden an einer Trennung oder unter dem Tod der Mutter, sie alle sind sie außerstande, eine Beziehung zu führen, weder mit sich selbst noch mit anderen. Sie stehen neben sich und starren passiv-aggressiv auf „all die verschwendeten Tage“, die ihr Leben ausmachen.

In ihrer Langeweile und seelischen Ödnis suchen sie Momente der Selbsterniedrigung, um sich zumindest darin noch zu spüren:

„Ich kotze, wenn ich hier drin schlafen muss“, sagte sie, doch der Gedanke gefiel ihr irgendwie. Sie stellte sich vor, sie würden einen hoffnungslos deprimierenden Film anschauen […]. Und dann würde sie sich vor ihn hinknien und ihm einen ablutschen, und eventuell würde er ihr ein paar Dollar dalassen, das tat er manchmal, damit sie sich selbst zum Mittagessen einladen konnte.

Bereits 2013 wies Martin Brinkmann in der Zeitschrift Krachkultur 15 auf die „neue Härte in der weiblichen US-Literatur“ hin und resümierte dabei auch Mary Millers Geschichten: „Tatsächlich sind die Frauen in diesen Geschichten absolut liebesunfähig und emotional gehemmt. […] Sie absolvieren die nach pornografischen Vorbildern einstudierten Sexual-Leistungen eher freudlos. Manchmal sehnen sie sich nach ihrem Ex-Freund, wissen aber gar nicht, welcher genau jetzt gemeint ist. Dass sie den aktuellen Freund verlassen werden, steht bereits fest.“ Neben Mary Miller nennt er noch deren Freundin Elizabeth Ellen und ihre Texte-Sammlung Fast Machine (2012) und Maggie Nelson mit ihren Prosa-Stücken Bluets (2009) als Vertreterinnen einer neuen literarischen Subkultur, die sich von der „Pipi-Mädchen-Prosa“, die der Autor Matthias Altenburg hierzulande beklagte, wohltuend unterscheide.

Als Vorläuferin dieser hard boild american girls ließe sich Lucia Berlin nennen, deren Erzählungen Was ich sonst noch verpasst habe kürzlich sowohl in den USA als auch hierzulande zu einem überraschenden postumen Erfolg wurden. Auch Berlins Tonfall ist ruppig und selbstmitleidlos, wenn sie aus ihrem Leben als Alkoholikerin, Krankenschwester oder Putzfrau erzählt, aber sie hat zudem einen metallischen Humor, der Mary Miller abgeht.

Zu den Risiken und Nebenwirkungen der Lektüre dieser Storys gehören Desillusionierung und anhaltende Phasen von Zynismus. Man lese sie sorgfältig dosiert, nicht mehr als eine pro Tag. Sie sind nicht leicht verdaulich. Aber wirklich gut geschrieben.

Titelbild

Mary Miller: Big World. Storys.
Übersetzt aus dem Englischen von Alissa Walser.
dtv Verlag, München 2017.
190 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783423280938

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