Keine Zeit mehr für Appeasement

Götz Aly und Jan Weyand legen Studien zur Genese des modernen Antisemitismus vor

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Keine nachvollziehbare These: Götz Alys „Europa gegen die Juden 1880-1945“

Seit Auschwitz stellen sich im Wesentlichen zwei Fragen. Erstens: Wie war es überhaupt möglich, binnen weniger Jahre Großteile des europäischen Judentums auszulöschen? Und zweitens: Wie lässt sich eine zukünftige Wiederholung der Shoah verhindern? Der Historiker Götz Aly hat zur ersten Frage bereits eine Reihe von Büchern vorgelegt. Das Hauptproblem an Alys Ansätzen ist es jedoch, dass der Autor keine befriedigende Antwort auf die zweite Frage gegeben hat. Letztlich hat er dies auch gar nicht erst versucht. Das hängt mit seiner irrigen Annahme zusammen, der Antisemitismus habe stets auf realen Auslösern beruht, also auf einer statistisch nachweisbaren Rolle der Juden in ihrer jeweiligen Gesellschaft, die eine Provokation für Judenhasser dargestellt habe. Wäre dem so, müsste man einfach nur diese faktischen Empörungsanlässe beseitigen oder gesellschaftliche Kompromisse finden, und alles wäre wieder gut. Das gesamte Problem des Antisemitismus wäre dann so banal, dass man in der Tat nicht viel mehr Worte darüber verlieren müsste.

Wie schon in seinem 2011 erschienenen Buch Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933 geht Aly jedoch auch im zweiten Teil seiner großangelegten Analyse zu den Ursprüngen des Holocaust, Europa gegen die Juden 1880-1945, davon aus, dass die Juden ihren Zeitgenossen immer zu weit voraus gewesen seien. Überall erzielten sie an den Schulen und an den Universitäten überdurchschnittliche Resultate und machten damit die meist eher tumbe, bäuerliche Mehrheitsgesellschaft neidisch. Daraus resultierten Alys Darstellung nach immer wieder extreme Gewaltausbrüche sowie der utopische Wunsch, eine ethnisch homogene Gesellschaft herzustellen, in der die eigene Bevölkerung nicht mehr weiter durch jüdische Genies übervorteilt und ausgebootet werden konnte.

Hinzu kommen laut Aly weitere Faktoren: Im frühen 20. Jahrhundert hielt man die ethnische Vertreibung und Deportation großer (nicht nur jüdischer) Bevölkerungsanteile generell für eine wunderbare Maßnahme, um völkische Homogenität herzustellen. Mitleid mit den davon betroffenen Individuen hielt man unter Verweis auf die angebliche historische Chance künftiger Konfliktvermeidung durch solche Umsiedlungen schlicht für kontraproduktive Sentimentalität. Aus dieser Sicht musste man bloß dafür sorgen, dass jedes Volk auf dem ihm zugewiesenen Territorium unter sich bliebe, um dauerhaft Frieden und Zufriedenheit in Europa zu erreichen.

Götz Aly erblickt darin den Keim kommender Genozide und der Shoah. Letztere sei nur möglich gewesen, weil Großteile Europas die talentierten Juden loswerden wollten und die radikalen deutschen Maßnahmen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs insgeheim begrüßten. Ein Trick der deutschen Besatzer zur Zeit des „Dritten Reiches“ sei es zudem gewesen, die Bevölkerung der eroberten Gebiete in den Genuss geraubter jüdischer Immobilien und Gelder kommen zu lassen und damit zu Komplizen des Massenmords zu machen.

Doch was folgt daraus für die zweite Grundsatzfrage? Kann man einen neuerlichen Massenmord an den Juden in Zukunft etwa nur dann verhindern, wenn man tunlichst vermeidet, dass die früheren Opfer nicht schon wieder überall als die Klügsten und Besten auftreten? Sind jüdische Minderheiten mit einem hohen Anteil an den Eliten ihrer ‚Gastländer‘ wirklich ein Risiko, das es zu vermeiden gilt? Die Annahme würde zudem implizieren, dass es bis zu einem gewissen Grade berechtigt wäre, ‚die Juden‘ unabhängig von ihrer jeweiligen Staatsbürgerschaft als ‚Fremde‘ in ihren Ländern wahrzunehmen. Wieso aber soll es denn nicht möglich sein, sich einfach darüber zu freuen, dass solche Staatsbürger mit dabei helfen, die bestehende Gesellschaft durch ihre besonderen Fähigkeiten voranzubringen und zu verbessern?

Sollten z. B. statistisch mehr evangelische Staatsbürger als Katholiken zu den gesellschaftlichen Eliten zählen, so würde das heute in Deutschland wohl keinen mehr ernsthaft interessieren – zumal die offiziell eingetragene Religion bekanntlich noch lange nichts über die tatsächliche religiöse Überzeugung eines Menschen aussagt. Nur bei ‚den Juden‘ gilt dieser Grundsatz einer säkularen demokratischen Gesellschaft offenbar plötzlich nichts mehr, und dies ist nach wie vor für viele Menschen in der ganzen Welt eine Selbstverständlichkeit: Auf der Grundlage uralter antisemitischer Annahmen geht man nach wie vor davon aus, dass ‚die Juden‘ irgendwie anders seien und zu viel Einfluss in Gesellschaften hätten, in denen man sie tatsächlich nur als Gäste toleriere.

Worauf also will Aly hinaus? Was bringt uns seine These? Was wäre, wenn selbst ein autonomer jüdischer Staat, wie er in Israel seit 1948 besteht und offensichtlich besser funktioniert als die Staaten in alle umliegenden Ländern, die Nachbarn ‚neidisch‘ machte? Wenn ein solcher Konflikt tatsächlich ernstzunehmen sein sollte, wie könnte man seiner ewigen Perpetuierung jemals entkommen, ohne dass sich ‚die Juden‘ endgültig in Luft auflösen? Würde es ‚den Juden‘ in der gesamten Welt und auch im Nahen Osten etwa sofort besser gehen, wenn sie ganz einfach einmal etwas bescheidener aufträten und nicht immer nur die besten Noten in der Schule anstrebten? Gehen ‚die Deutschen‘ etwa mit gutem Beispiel voran und achten stets darauf, die europäischen Nachbarn nicht auf seine Machposition und seine Wirtschaft neidisch zu machen?

Offensichtlich ist dies alles kompletter Unsinn. Und doch ist es das, was in letzter Konsequenz aus Alys Schlussthese folgt. Demnach sei im 20. Jahrhundert das Böse aus dem Guten entstanden, und zwar aus dem massenhaften sozialen Aufstieg der Bürger in ganz Europa, der zu Neid und Missgunst gegenüber den Erfolgreichsten unter ihnen geführt habe, den Juden. Damit erscheint bei Aly als ein ,reales Problem‘, was im Grunde nur Antisemiten als solches zu sehen im Stande sind: Dass ‚die Juden‘ trotz härtester Diskriminierungen und Ausgrenzungen, trotz antijüdischem Numerus Clausus an Universitäten in Ländern wie Russland, Rumänien und Polen stets die erstaunliche Kraft und das unbeugsame Durchhaltevermögen an den Tag legten, ein hohes Maß an Bildung zu erlangen. Aly hält es offenbar für ein nachvollziehbares Konfliktpotenzial, dass jüdische Minderheiten immer die meisten Anwälte, Ärzte und Geschäftsleute hervorbrachten und damit seit dem 19. Jahrhundert ein wichtiger internationaler Faktor gesellschaftlicher Innovationen waren. Andere Faktoren hält er dagegen für bloße rhetorische Abwehrformeln, wie etwa „die Nationalsozialisten, die völkischen Ideologen, die Rassenantisemiten, der Faschismus, der Totalitarismus, die Diktatur, das Regime oder der Diktator“:

Solche Worthülsen bedienen das sehr verständliche menschliche Bedürfnis nach möglichst großer Distanz zu einer unerträglichen Mordtat. Sie ummanteln das Bedrohliche mit einer begrifflichen Panzerung und erklären nichts. Auch fruchtet es wenig, den modernen Antisemitismus auf den jahrhundertealten christlichen Antijudaismus zurückzuführen. Nicht einmal die antisemitisch gestimmten katholischen Kleriker Polens bezogen sich darauf. Auch sie machten wirtschaftliche und soziale Argumente der Gegenwart geltend.

Tatsächlich ist es jedoch Aly, der gar nichts erklärt, wenn er „wirtschaftliche und soziale Argumente“ wie die polnischer Kleriker für ihren Judenhass ernst nimmt, ohne weiter nach deren weltanschaulichen Wurzeln zu fahnden. Der Erkenntnisgewinn der Lektüre bleibt daher insgesamt mager. Erst in den letzten Absätzen von Alys über 400-seitigem Buch finden sich einige dürre Thesen zu der altbekannten Neid-Theorie des Autors, während der Leser davor über weite Strecken rätseln muss, welchem genauen Konzept die Ausführungen eigentlich folgen. Abgesehen von einer groben Orientierung an der Chronologie der Judenverfolgungen in West- und Osteuropa seit 1880, die allerdings durch vielerlei kaum motivierte Zeitsprünge vor und zurück durchbrochen wird, scheint das Buch über keinerlei klare Systematik zu verfügen. Es liest sich daher eher wie eine wirre Aneinanderreihung von Pogrom- und Gräuelgeschichten aus besonders negativen Beispielländern wie Russland und Griechenland, während Nationen wie Frankreich und Belgien rein statistisch gesehen etwas besser wegkommen.

Gewiss kann man bei Aly dabei einiges über die grausame und lange Geschichte der Judenverfolgung in diesen Gegenden Europas lernen. Doch Ähnliches konnte man für das „Dritte Reich“ auch schon in Raul Hilbergs Standardwerk The Destruction of the European Jews (1961) nachlesen, in dem die Shoah erstmals als ein gigantisches Projekt ins Auge gefasst wurde, das von Norwegen bis Nordafrika und von Frankreich bis an die Krim mit unterschiedlichem Tempo durchgeführt wurde und in jedem einzelnen Land eine besondere Geschichte der Kollaboration oder auch der (partiellen) Verweigerung aufwies. Abgesehen von der Erkenntnis, wie weit verbreitet der Antisemitismus in Europa schon lange vor dem Auftritt eines Adolf Hitler war, und wie gnadenlos man die Juden insbesondere in der Ukraine seit Jahrhunderten abschlachtete, handelt Alys Buch keineswegs, wie eingangs vom Autor versprochen, vom „Aufstieg des modernen europäischen Antisemitismus“. Es hat noch nicht einmal eine nachvollziehbare Erklärung dazu anzubieten. Es erzählt ganz einfach die furchtbaren Resultate des Judenhasses auf, ohne viel mehr dazu sagen zu können, als dass purer Neid der Grund für all dieses Unglück gewesen sei. Und wer nicht weiß, dass dies seit Langem Alys These ist, kann sie bis zum Ende des Buches sogar nur durch die vielen Aussagen historischer Persönlichkeiten von Ludwig Börne über Theodor Herzl bis hin zu Werner Sombart oder Georg Simmel hindurch erahnen, die der Autor immer wieder mit genau dieser Beobachtung zitiert, ohne zu äußern, dass auch er selbst sie für richtig hält.

Alys Buch hält sich stattdessen zu lange bei der Nachzeichnung der Geschichte des Zionismus auf, obwohl doch eigentlich der Antisemitismus als Auslöser solcher jüdischer Abwehrmaßnahmen das Thema des Buches sein sollte. Gewiss: Laut Hannah Arendt in ihrer Studie The Origins of Totalitarianism (1951) war der Zionismus die einzige politische Antwort, welche die Juden jemals auf den Antisemitismus fanden und mit der sie seine Bedrohung endlich ernst nahmen. Doch droht sich Aly zu verzetteln, wenn er über diese jüdische Bewegung schreibt, anstatt wie angekündigt über ihren Anlass. Zudem enthält seine Studie erstaunlich ausführliche Exkurse über die Vertreibung deutscher Bürger aus dem Elsass nach 1918 bzw. die Deportation größerer Bevölkerungsanteile in Griechenland und der Türkei zu Beginn der 1920er Jahre. Man versteht zwar schnell, dass Aly diese langatmigen Erläuterungen für nötig hält, weil er Vorstufen der Shoah wie den sogenannten Madagaskar-Plan, nach dem die europäischen Juden geschlossen auf die Insel im Osten Afrikas transportiert werden sollten, im Zusammenhang mit dieser generellen europäischen Ideologie ethnischer ‚Flurbereinigungen‘ nach dem Ersten Weltkrieg sieht. Dennoch kommt es dabei zu irritierenden Ungleichgewichten im Argumentationsverlauf, so dass man sich zumindest kurzzeitig fragen kann, warum das Buch nun plötzlich über viele Seiten von Themen wie ‚Frankreich gegen die Deutschen 1918‘ handelt, anstatt wie geplant vom Antisemitismus in Europa.

Kurz: Götz Alys Buch ist in seinen Einzelkapiteln stets gut geschrieben, aber es offenbart gravierende Mängel in seinem argumentativem Aufbau und seiner Gliederung. Als wissenschaftliche Qualifikationsarbeit würde die Studie an einer deutschen Universität wohl kaum angenommen werden können. Der Autor analysiert zudem seine Quellen kaum, um daraus generelle Lehren zu ziehen, die uns dabei helfen können, ein komplexes Phänomen wie den Antisemitismus in seiner Geschichte zu verstehen und in Zukunft konkret etwas dagegen tun zu können. Dabei verweist Alys Buch letztlich auf genau das – die erschreckende Aktualität des Antisemitismus in Europa, seine mangelhafte Aufarbeitung und die offensichtliche Gefahr, dass der anhaltende Judenhass aufgrund dieser bleibenden Ignoranz in Zukunft zu neuen Pogromen führen könnte. 

Unsere Aussichten

Eines ist klar: Die Weltlage könnte düsterer kaum sein. Wir sehen überall Spannungen und Konflikte. Es gibt Terror, Kriegsdrohungen und akute militärische Entgleisungen, wo man nur hinschaut. Seit fast zehn Jahren erleben wir zudem eine nicht enden wollende Wirtschaftskrise. Deren irreführende Benennung ist Teil des Problems: Das Wort „Krise“ verdeckt den wahren Charakter eines auf Dauer gestellten, selbstzerstörerischen Wirtschaftssystems, dessen neoliberale Deregulierung die aktuelle Situation maßgeblich mit herbeigeführt hat. Wir haben es also keineswegs mit einer kurzzeitigen Panne zu tun, zumal die neue US-Administration offensichtlich vorhat, die Armut und die Not von Millionen ihrer Bürger in den kommenden Jahren erneut zu verschärfen und weltweite Handelskriege anzuzetteln. In Europa sieht die Situation kaum besser aus, wie unter anderem der Brexit zeigt, dessen ökonomische und außenpolitische Folgen nicht nur für Großbritannien, sondern auch für Europa und die Welt desaströs sein dürften.

Doch den meisten Menschen fällt es schwer, derartigen Tatsachen ins Auge zu sehen. Sie scheuen sich, nach Aufklärung zu suchen, um die genaueren, multiplen Gründe für die sogenannten Krisensymptome genauer analysieren zu können und im eigenen Interesse sinnvolle persönliche Konsequenzen daraus zu ziehen. Viele Menschen in den westlichen Ländern haben den letzten Jahren ihren Status und ihre Jobs verloren – nicht nur in Europa, sondern auch in den USA oder in Kanada. Flüchtlinge aus weit ärmeren Weltgegenden wiederum, in denen akuter Hunger, Terror und Krieg herrschen, setzen auf der Suche nach einem sicheren Hafen ihre Existenz aufs Spiel, um den unhaltbaren Zuständen in ihren Ländern zu entkommen. Die meisten von ihnen hatten in ihrem bisherigen Leben nicht einmal die Chance, nennenswerte Bildung zu erlangen und den friedlichen Alltag einer demokratischen Gesellschaft überhaupt kennenzulernen. 

Der Antisemitismus als Illusion endgültiger Befreiung

Wo Menschen solche Deklassierungen und Bedrohungen erleben, denen sie nicht ohne Weiteres aus dem Weg gehen können, tendieren sie dazu, nach konkreten Feindbildern und nach Schuldigen zu suchen, die es ihnen erlauben, an griffige Erklärungen für das Unglück in der Welt zu glauben und sich dadurch psychische Erleichterung zu verschaffen: „Israel bedroht den Weltfrieden“, „China hat sich den Klimawandel ausgedacht“, „Die Presse lügt“, oder auch: „Ein neuer Nationalismus wäre die Lösung“. Hinter allen Problemen stecken aus dieser Sicht lediglich einige wenige Personen oder externe dunkle Mächte, die dingfest gemacht werden können und müssen, damit ,wir‘ alle endlich wieder glücklich werden und frei leben können.

In diesen Kontext gehören z.B. auch die raunenden Hinweise der derzeitigen US-Regierung, deren Team seit Donald Trumps Wahlkampf immer wieder insinuiert, ungenannte Finanzorganisationen, Banken oder „Globalisierer“ hätten die Arbeiterklasse in Amerika enteignet. Stephen Bannon, Trumps Berater im Weißen Haus, der sich übrigens sicher ist, dass die USA in „fünf bis zehn Jahren“ einen offenen Krieg gegen China führen werden, äußerte bereits 2016: „the globalists gutted the American working-class and created a middle-class in Asia“.

Schon Hannah Arendt warnte in dem Kapitel „The Jews and Society“ aus ihrer Studie The Origins of Totalitarianism: „In the United States, social antisemitism may one day become the very dangerous nucleus for a political movement.“ Die Gründe für solche Entwicklungen sind allerdings meist komplexer als Götz Aly annimmt. Der moderne Antisemitismus war zwar seit jeher eine der gefährlichsten Konsequenzen ideologischer Kurzschlüsse wie sie Bannon äußert, aber er war keineswegs nur ein Phänomen unter neidischen Ungebildeten, die es nicht an die Universität schafften. Im Gegenteil: Der Judenhass ist eine Denkform, die vor allem auch die Mitte der Gesellschaft anzieht und die stets die Intellektuellen faszinierte. Nehmen wir nur ein historisches Beispiel, und zwar ausnahmsweise einmal nicht Martin Heidegger, sondern Otto Böckel (1859-1923). Das Handbuch des Antisemitismus stellt ihn als Vertreter eines „radikalen Weltanschauungsantisemitismus“ vor. Böckel forderte u.a. die „Rücknahme der Gleichberechtigung der Juden“, um sie fortan unter „Fremdenrecht“ zu stellen:

Von 1878 bis 1882 studierte Böckel Jura, Volkswirtschaft und neuere Sprachen in Gießen, Heidelberg und Marburg und promovierte 1882. Von 1883 bis 1887 war er Bibliothekar an der Universitätsbibliothek Marburg und widmete sich parallel volkskundlichen Studien, insbesondere der Volksliedforschung und der bäuerlichen Alltagskultur. Diese Welt sah er zunehmend bedroht durch eine Agrarkrise, deren strukturelle Ursachen er nicht erkannte und die er jüdischen Viehhändlern und „Wucherern“ anlastete, die angeblich zum Schaden der Bauern arbeiteten.

Die Grundkonstellation kommt uns bekannt vor, weil sie ungut an aktuelle populistische Entwicklungen erinnert: Selbst als ausgebildeter Volkswirtschaftler vermochte Böckel nicht, eine seinerzeit virulente ökonomische Krise der Landwirtschaft zu analysieren, schwang sich dann aber unter dem geschickten Einsatz simpler Rhetorik und in hoher Auflage erscheinender Zeitungspublikationen und Broschüren zu einem wahren Volkstribun und Demagogen auf. Es ist eine dieser weithin vergessenen Lehren der Geschichte, die man nicht oft genug wiederholen kann, um ähnliche Konstellationen in unserer Zeit kritischer deuten zu können: Böckel war einer der führenden Köpfe der deutschen antisemitischen Bewegung nach 1885. Er avancierte zu einem überaus erfolgreichen Populisten, der für etwa ein Jahrzehnt als „hessischer Bauernkönig“ erstaunliche politische Erfolge feierte und für den Wahlkreis Marburg-Frankenberg-Kirchhain als erster unabhängiger Antisemit in den Reichstag gewählt wurde.

Der Antisemitismus funktioniert bis heute, weil er stets als umfassende Welterklärung, als progressive Kritik der Verhältnisse oder gar als Wissenschaft daherkam. David Nirenberg hat in seinem instruktiven Buch Anti-Judaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens dargelegt, dass der Mensch generell Werkzeuge des Wahrnehmens und Verstehens wie „Sprache, kausale Logik, Religion und Mathematik“ benötigt, die ihm dabei helfen, Komplexität auf Verständlichkeit zu reduzieren, indem er die Grundsätze solcher Deutungsinstrumente auf die Welt um ihn herum projiziert. Das Erkennen von Bedeutung sei daher immer „theoriebeladen“, so Nirenberg. Es bedarf also eines kognitiven Rahmens, der unseren Beobachtungen einen Sinn zu geben vermag. Antijudaismus, so die zentrale These von Nirenbergs Buch, ist jedoch genau das – „ein machtvoller theoretischer Rahmen, um die Welt zu deuten“. Die Dialektik der Aufklärung besteht in dem Fall nach Theodor W. Adornos und Max Horkheimers berühmter Studie lediglich darin, dass der Judenhass ohne jede kritische Überprüfung von Realitäten auskommen zu können meint: „Das Pathische am Antisemitismus ist nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der Ausfall von Reflexion darin.“

Was Antisemiten für ihr Denken halten, kommt also ohne Faktenchecks aus: Es fällt auf, dass diese Definition zugleich ziemlich genau das Phänomen beschreibt, an dem derzeit Journalisten aus aller Welt herumrätseln, wenn sie über das „postfaktische Zeitalter“, über „Fake-News“ und die genauen Gründe für den Sieg Donald Trumps nachsinnen. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Weder Trumps Regierung noch die Brexit-Administration Theresa Mays sind per se antisemitisch. Aber die Grundstruktur ihres Populismus vermag der Weltsicht von Judenhassern gefährliche Spielräume zu geben.

Das Denken und die Gefühle sind in solchen populistischen Prozessen zudem keinesfalls getrennt, wie fälschlicherweise oft angenommen wird: Es ist keineswegs so, dass Donald Trump oder die Brexit-Kampagne Erfolg hatten, weil sie es schafften, den Emotionen den Vorrang vor dem Denken zu geben. Vielmehr adressierten sie seit langem existierende Überzeugungen und Denkformen in der Bevölkerung, die trotz ihrer Irrationalität von Großteilen der Wähler als logische Werkzeuge der Welterklärung anerkannt bleiben, weil sie es zugleich erlauben, ihnen widersprechende Informationen schlicht als ‚Lügen‘ zu ignorieren bzw. gemeinsam zu attackieren. An der Stelle kommt es zu jener emotionalen Bindung, die solche politischen Setzungen so attraktiv erscheinen lassen kann: Beide Kampagnen, also sowohl Trumps Wahlkampf als auch der Brexit, gaben sich den Charakter einer aufklärerischen ‚Bewegung‘ bzw. einer ‚Revolution des Volkes‘ gegen mächtige Unterdrücker.

Im Fall des britischen Ressentiments war die Europäische Union mit ihrer sinnlos erscheinenden Bürokratie der Gegner, einem undurchschaubaren Regelwirrwarr, der den Briten krumme Bananen verbieten wolle. Der Brexit wurde mithin als Aufstand gegen eine angeblich grotesk aufgeblasene und vollkommen disfunktionale Organisation entworfen, welche die eigene Nation enteigne und die britische Wirtschaft wie in Klotz am Bein lähme. Trump wiederum versprach kurzen Prozess mit dem „Establishment“ in Washington, personalisiert durch „crooked Hillary“ und einen angeblich außer Landes geborenen Barack Obama als verschwörerischen Politikern, die gemeinsam den IS erfunden und mit den internationalen Banken das amerikanische Volk bestohlen hätten.

Die Strategien solcher populistischer Kampagnen sind keineswegs neu. Schon Hannah Arendt wusste in ihrem zitierten Buch über die Origins of Totalitarianism, dass solche Bewegungen den Mob addressieren, um ihn als ‚das Volk‘ auszugeben, dessen Wünsche endlich einmal ernst zu nehmen seien: 

The mob is primarily a group in which the residue of all classes are represented. This makes it so easy to mistake the mob for the people, which also comprises all strata of society. While the people in all great revolutions fight for true representation, the mob will always shout for the „strong man,“ „the great leader.“ For the mob hates society from which it is excluded, as well as Parliament where it is not represented. Plebiscites, therefore, with which modern mob leaders have obtained such excellent results, are an old concept of politicians who rely on the mob.

Die Macht gefestigter Weltanschauungen und der „Figur des Dritten“

So irrsinnig solche Behauptungen wie die Trumps oder der Brexit-Populisten auch klingen mögen, sie können bei vielen Menschen an bereits existierende Wertvorstellungen, Denkstrukturen und weltanschauliche Hierarchisierungen anknüpfen. Die neurowissenschaftliche Erklärung, die George Lakoff dafür anbietet, ein emeritierter Kognitionswissenschaftler und Linguist an der University of California in Berkeley, lässt sich sowohl mit Nirenbergs als auch mit Adornos und Horkheimers zitierten Beobachtungen korrelieren. Unser Bewusstsein beruht nach Lakoff auf einer von Kindheitsprägungen ab gefestigten Weltsicht, die zu hinterfragen vielen Menschen kaum möglich sei. Was außerhalb ihres erworbenen und mit vielen Menschen um sie herum geteilten Denkrahmens liege, werde von ihnen entweder nicht wahrgenommen, ignoriert, abgelehnt oder aber offen attackiert:

Here is the crucial fact about worldview differences: We can only understand what our brain circuitry allows us to understand. If facts don’t fit the worldviews in our brains, the facts may not even be noticed — or they may be puzzling, or ignored, or rejected outright, or if threatening, attacked. All of these happen in politics. A global warming denier does not say, “I am denying science.” The facts just don’t fit his worldview and don’t make sense to him or her.

Einer der zusätzlichen Gründe für dieses Verhalten sind die angenehmen Gefühle, die eine solche Komplexitätsreduktion der Realitäten dem Individuum garantiert. Auch der Antisemitismus bietet seinen Anhängern laut Nirenberg einen „kognitiven Trost“ in Form der „Fantasie, dass die Kluft zwischen unserem Verständnis des Kosmos und seiner beängstigenden Komplexität nicht existiert“. Um diesem regressiven Verhalten und den von Lakoff beschriebenen basalen Hirnfunktionen etwas entgegensetzen zu können, benötigt man laut Nirenberg die Kenntnis alternativer Denkrahmen, einen „Punkt, von dem aus wir unsere Denkgewohnheiten reflektieren können“, wobei es mitunter schwierig sei, eine „solche Plattform zu finden“. Dagegen vermittelt der Antisemitismus die wohlige Gewissheit, sich in diesem Sinne gar nicht erst weiter anstrengen zu müssen.

Man muss sich mit dieser Weltanschauung auch nicht alleine fühlen. Der Judenhass vermochte seit jeher das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer bedrohten Gemeinschaft zu vermitteln, die zu ihrer eigenen Sicherheit fest zusammenhält, um sich zur Not mit explosiver Gewalt aus der Unterdrückung international agierender dunkler Mächte zu befreien. Der Antisemitismus verspricht rauschhafte Adrenalinschübe. In der Regel beruht er sogar auf dem Szenario, die eigene Gemeinschaft sei bereits lebensbedrohlich vom parasitären Judentum befallen, um endlich gemeinsam dagegen loszuschlagen und eine rücksichtslose Rosskur in Angriff zu nehmen. Auch Antisemiten sehen sich selbst also durchaus als Aufklärer und als Gesellschaftskritiker, und die skizzierten wirtschaftlichen Probleme in der Welt, die keineswegs neu sind, treiben sie rastlos um. Antisemiten unterscheiden dabei allerdings willkürlich zwischen ‚schaffendem‘ und ‚raffendem‘ Kapital, und die letztere, aus ihrer Sicht allein ‚gemeinschaftszerstörende‘ Form der ökonomischen Akkumulation von Geld weisen sie exklusiv ‚den Juden‘ zu. Schon der deutsche Philosoph Jakob Friedrich Fries war sich 1816 sicher: „Judenschaft ist eine Völkerkrankheit, welche sich in Menge erzeugt und an Macht gewinnt durch Geld.“

Der Begriff der „Krankheit“ des „Volkes“ verweist erneut auf die Idee einer notwenigen „Selbstreinigung“, die in antisemitischen Schriften immer wieder auftaucht – einer Rekonvaleszenz von den schwer fassbaren Effekten der Moderne. Antisemiten verstehen sich als organischen Teil einer natürlich gewachsenen Gemeinschaft, während sie ‚die Juden‘ als personalisiertes Ursachen-Phantasma dieser abzuwehrenden Moderne entwerfen. Sie müssen wie eine Krankheit abgestoßen werden, um den ‚Volkskörper‘ wieder genesen zu lassen. Mehr muss aus antisemitischer Sicht nicht passieren, um die Ordnung der ‚guten, alten Zeit‘ wiederherzustellen.

Kaum beleuchtet wurde bislang, was Emotionen mit diesem Bedürfnis der Antisemiten zu tun haben. Abgesehen von einer interdisziplinären Tagung, die sich Anfang Juli in Greifswald gezielt mit dem Thema auseinandersetzen wird, haben zumindest einige ForscherInnen bereits auf dieses Desiderat hingewiesen und erste Publikationen zum Thema vorgelegt. Zu nennen wären hier vor allem die empirischen Analysen der Linguistin Monika-Schwarz Friesel, zwei einführende Aufsätze von Stefanie Schüler-Springorum und Uffa Jensen, sowie neuerdings, in ersten zaghaften Ansätzen, auch des Göttinger Soziologen Samuel Salzborn. In einem neueren Artikel greift Salzborn auf erste Überlegungen Jean-Paul Sartres in seinem Portrait de l’antisémite (1945) zurück. Sartre war einer der wenigen, die bereits erkannten, dass die Wut und der Hass des Antisemiten eine für ihn befriedigende Funktion haben müsse. „Der Antisemitismus entspringt der freien Wahl der Antisemiten, sich auf diese Weise die Welt zu erklären und der Leidenschaft, den eigenen Emotionen freien Lauf lassen zu wollen“, schreibt Salzborn, und er zitiert Sartre: „Da der Antisemit den Hass gewählt hat, müssen wir schliessen [sic], dass er den leidenschaftlichen Zustand liebt.“

Eine solche Annahme widerspräche der Alys z. B. diametral: Jemand, der neidisch ist, möchte dieses Gefühl in der Regel möglichst loswerden, indem er nach Gerechtigkeit strebt. Glaubt man jedoch Sartre, so liebt es der Antisemit ganz im Gegenteil, so zu fühlen wie er fühlt, und wenn es keinen Grund für so etwas Neid gäbe, so müsste er ihn eben einfach erfinden, um sich die Genüsse des Judenhasses zu ermöglichen. Mit einem neueren kulturwissenschaftlichen Terminus kann man zudem analysieren, dass dabei gegen eine „Figur des Dritten“ gekämpft wird. Bezeichnet wird damit die Konstruktion einer ungreifbar erscheinenden und zersetzenden Alterität, die außerhalb jeder binär organisierten Vorstellung unterschiedlicher Völker und Nationen steht. Aufgrund ihrer behaupteten Ubiquität wird die „Figur des Dritten“ als eine totale Bedrohung wahrgenommen, die nur durch ihre vollkommene Auslöschung überwunden werden könne.

Ein bereits vor einigen Jahren bei Suhrkamp erschienener Sammelband fasst diese „Figur des Dritten“ allerdings noch weiter, also nicht nur als antisemitisches Phänomen. Er versteht sie als ein „kulturwissenschaftliches Paradigma“, das genauso gut in den Gender Studies oder der postkolonialen Theorie Anwendung finden könne. Dennoch: Klaus Holz, einer der meistzitierten Antisemitismusforscher der letzten Jahre, hat in diesem Band einen Aufsatz mit dem Titel „Der Jude. Dritter der Nationen“ veröffentlicht, der auf Hauptthesen aus seiner Habilitation Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung (2001) beruht. Nach Holz’ These thematisiert der nationale Antisemitismus in der ambivalenten „Figur des Dritten“ stets die bange Ahnung mit, dass ‚unsere‘ Identität und die Ordnung der Welt gerade nicht national fassbar sein könne, und versucht diese Befürchtung damit gleichzeitig radikal abzuwehren:

Die ‚Juden‘ werden nicht als die andere Nation, sondern als Negation der Unterscheidung zwischen Nationen vorgestellt. Sie werden durchgängig im nationalen Antisemitismus als ambivalent, paradox, nichtidentisch charakterisiert. Sie sind innen nicht zugehörig und haben außen keinen Ort im Sinne von Volk, Staat und Nation. Die ‚Juden‘ personifizieren mit anderen Worten im nationalen Antisemitismus das tertium non datur der Zwei-Seiten-Form: die nichtidentische, antinationale Nation.

Daraus folgt laut Holz jenes radikale Diktum der Antisemiten, das in ihrem Denken immer auf den Fluchtpunkt der Vernichtung zuläuft: „Wenn die Ordnung der Welt in der Form der Nation bestimmt ist, hat der Dritte keinen legitimen Ort in der Welt.“ Dieses in sich zutiefst widersprüchliche Konstrukt konstituiert nach Holz nicht nur die Vorstellung ‚des Juden‘ als „Figur des Dritten“, sondern sie wird als absolute Gegenfigur von den Antisemiten geradezu dazu benötigt, um die Vorstellung von so etwas wie einer eigenen, ‚stolzen‘ Nation überhaupt profilieren zu können. Mit anderen Worten: Ohne die beunruhigende und alles Eigene in Frage stellende Vorstellung ‚des Juden‘ kommen nationale Selbstentwürfe moderner Gesellschaften selten aus.

Jan Weyands „Wissensoziologie des modernen Antisemitismus“

Holz’ Thesen werden inzwischen in einer neuen Studie aufgegriffen, um sie zur genaueren Untersuchung der Genese des modernen Antisemitismus im 19. Jahrhundert fruchtbar zu machen. Das Buch ist im Vergleich zu den undurchdachten und lückenhaften populärwissenschaftlichen Ausführungen Götzy Alys definitiv die bessere Wahl. Jan Weyands an der Universität Erlangen-Nürnberg angenommene Habilitation versucht Grundlagen einer historischen „Wissenssoziologie des modernen Antisemitismus“ zu erarbeiten. In einem der letzten Absätze dieses Buches findet sich die ernüchternde Feststellung, dass man den Judenhass nicht nur als historische Entgleisung begreifen dürfe, sondern ihn generell als „Radikalisierung einer modernen Wissensformation“ verstehen lernen müsse. Ähnlich wie sein Kollege Holz konstatiert auch Weyand messerscharf, dass der Antisemitismus als Grundlage neuerer Gesellschaftsentwürfe entschlüsselbar bleibt, die mit der Erfahrung von Zeitenwenden oder herausfordernden Umwälzungen umzugehen versuchen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Judenhass damit auf realen Konflikten beruht, wie etwa Aly immer noch meint. Weyand schreibt lediglich: „Weil der moderne Antisemitismus eine Spielart der antimodernen Kultur- und Gesellschaftskritik ist, er der gleichen Logik der Weltdeutung folgt, d.h. den Doppelcharakter der Moderne in einem feindlichen Konflikt zwischen Gruppen personalisiert, müssen wir annehmen, dass Antisemitismus Teil der Selbstbeschreibung moderner Kollektive bleiben wird.“

Die von Weyand in seiner Studie analysierten Typen des nationalen, des nationalreligiösen und des nationalrassistischen Antisemitismus laufen dabei stets auf ein gemeinsames Set von ‚Lösungsperspektiven‘ der „Judenfrage“ zu. Ziel ist dabei, eine „innere Reinigung“ des Volkes, wie sie auch von Aly beobachtet wird, also eine Trennung der konstruierten Gruppen von Juden und Nicht-Juden und „notfalls“ die Tötung der Juden. Auch wenn Weyand in seinem Buch die komplexe deutsche Entwicklung des modernen Antisemitismus seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als Grundlage seiner Beobachtungen nimmt, betont er doch immer, dass die von ihm dort beobachteten Entwicklungen international funktionierten, also nicht etwa einem deutschen Sonderweg entsprachen. Sie sind heute auch anderswo wieder ähnlich zu beobachten, so etwa im Nahen Osten.

Nur die internationale Ächtung des Antisemitismus wird helfen

Welche Auswege aus dieser bedrohlichen Situation sind denkbar? Ist dem hartnäckigen Übel des Antisemitismus, das schon einmal in der beinahe vollkommenen Vernichtung des europäischen Judentums gipfelte, überhaupt irgendwie beizukommen? Soll es nicht zu einer Wiederholung des in Auschwitz Geschehenen kommen, so ist die Suche nach Wegen der Bekämpfung des Antisemitismus alternativlos. Es lohnt sich daher, eine von Weyands Schlussfolgerungen ausführlicher zu zitieren. Er fragt sich am Ende seines Buchs, wie dem Judenhass in unserer Zeit am besten entgegenzutreten sei. Die Deutlichkeit der folgenden Formulierungen unterstreicht, was für ein gefährlicher Gegner diese Ideologie für eine jede Demokratie war und ist. Ein Appeasement des Antisemitismus ist demnach schwer möglich. Es handelt sich um eine Zeitbombe, die in der Geschichte noch nie mit wohlmeinenden Richtigstellungen zu entschärfen war, sondern stets härtere Maßnahmen erforderte. Oft fängt das Problem klein an und kann sich dann schnell zu einem Riesenproblem ausweiten: Engagierten Israel-Boykotteuren etwa, erregten Drohbriefschreibern und Shit-Storm-Strategen, suggestiven öffentlichen Rednern, Populisten und Diktatoren, die mit antisemitischen Weltdeutungen hantieren, ist, wenn man Weyands Statement ernst nimmt, lediglich mit gleichen Mitteln zu begegnen. Man könne den Antisemitismus nicht beseitigen, indem man ihn einfach nur widerlege: 

Das Beste, was man tun kann, ist, ihn zu delegitimieren, d.h. sozial zu ächten und rechtlich unter Strafe zu stellen. Soziale Ächtung heißt nicht: Aufklärung von Antisemiten über den verzerrten Charakter ihrer Weltdeutung. Aufklärung über antisemitische Stereotype kann auf einer kognitiven Ebene zeigen, dass antisemitisches Wissen falsch ist. Da aber Antisemitismus nicht nur ein kognitives Muster der Weltdeutung ist, sondern für Antisemiten identitätsrelevant ist, d.h. dieser sich im Selbstbild normativ und emotional in einer Wir-Gruppe verortet, bleiben Argumente fruchtlos. Soziale Ächtung heißt deshalb: Öffentliche [sic] Widerrede, Ausgrenzung und staatliche Repression, also Antisemiten mit den gleichen Mitteln zu begegnen, mit denen diese Juden begegnen. Nicht Wahrheit, sondern Macht entscheidet über die Stellung und Bedeutung des Antisemitismus im Selbstverständigungsdiskurs moderner Sozialordnungen.

Realistische und konstruktivistische Theorien des Antisemitismus

Die letzten beiden Sätze sind gewiss kritisierbar: Wäre es demnach etwa richtig, Antisemiten in Gaskammern zu vernichten, da man ihnen doch mit den „gleichen Mitteln begegnen“ soll, mit denen diese Juden bekämpft haben oder die sie in vielen Fällen nach wie vor für richtig halten? Diese letzte Konsequenz seiner Formulierung war dem Autor wohl nicht bewusst. Für Weyand ist der moderne Antisemitismus jedenfalls kein Phänomen, dass auf realen Konflikten beruht, sondern etwas, das in langwierigen historischen Prozessen konstruiert wurde. Sogenannte realistische Theorien des Antisemitismus, wie sie sich etwa bei Norbert Elias, Hannah Arendt und, wie gesehen, auch bei Götz Aly finden, würden den oben zitierten Schlussfolgerungen Weyands widersprechen: Ihnen zufolge gab es immer eine konkrete Ursache für den Hass auf die Juden, wie etwa deren herausgehobene Positionen in der Wirtschaft und den Neid der Mehrheitsbevölkerung auf ihre sozialen Vorteile. Dies würde allerdings heißen, dass die Beseitigung solcher tatsächlich beobachtbarer Ungerechtigkeiten und ‚echter politischer Konflikte‘ zwischen Juden und Nicht-Juden in einer Gesellschaft auch den Antisemitismus automatisch zum Verschwinden bringen würde. Das ist bekanntlich nicht der Fall.

Wie Weyand in seinen Kapiteln zum Forschungsstand erläutert, fragen dagegen konstruktivistische Antisemitismustheorien danach, warum die Antisemiten ein Feindbild entwerfen, das offensichtlich überhaupt nichts mit ‚den Juden‘, ihrem tatsächlichen Verhalten oder wie auch immer gearteten Modellierungen ihres Selbstbildes als Gruppe zu tun hat. Konstruktivistische Ansätze gehen davon aus, dass „moderner Antisemitismus nichts mit einem Konflikt zwischen Angehörigen von Gruppen um knappe Güter zu tun hat, sondern aus der sozialen und psychischen Lage der Antisemiten erklärt werden muss“.

In diesem Sinne wählt Weyand den Ansatz einer primär an den soziologischen Erkenntnissen von Holz oder auch den kulturwissenschaftlichen Einsichten der Historikerin Shulamit Volkov orientierten historischen Wissensoziologie des modernen Antisemitismus, die anstrebt, den geschichtlichen Prozess der Entstehung des untersuchten Phänomens nachzuzeichnen und so analytisch zu erhellen. Weyand beleuchtet in seinem Buch den Prozess der „Sattelung antisemitischen Wissens“: Er fragt nach „der Genese des modernen Antisemitismus auf der Grundlage von antisemitischen Texten, die hauptsächlich zwei Zeiträumen entstammen“, und zwar „zwischen 1780 und 1815“ und „etwa 1870 und etwa 1900“.

Hieraus folgen für den Autor methodische Prämissen, die auch LiteraturwissenschaftlerInnen aufhorchen lassen dürften, da in ihrem Fach oft damit gehadert wird, wie man antisemitischen Texten in ihrem historischen Umfeld gerecht werden könne, ohne ihr Verständnis aus der gegenwärtige Perspektive nach Auschwitz zu verzerren und dadurch eine objektive Interpretation zu verstellen. Weyand betont dagegen ganz offensiv, dass seine Untersuchungen selbstverständlich nur aus diesem Blickwinkel nach Auschwitz erfolgen könnten, da die „Andeutungen und Fragmente in den früheren antisemitischen Texten“ dadurch eine „andere Bedeutung und auch ein anderes Gewicht“ erhielten. Was viele Germanisten für ein methodologisches Problem halten, wendet Weyand also in einen alternativlosen methodischen Vorteil: Ambivalenzen und Spuren antisemitischen Denkens in historischen Texten deuten ihm zufolge heute „auf etwas hin, was sich vollständig erst später entwickelt hat und erst aus dieser Perspektive als solche An- und Hindeutung verstanden werden“ könne. „Dies heißt gerade nicht, die Geschichte des modernen Antisemitismus als Vorgeschichte des nationalsozialistischen Antisemitismus in dem Sinne zu interpretieren, dass jene diesen schon im Keim enthalte. Es bedeutet vielmehr, nach Linien der Kontinuität wie nach Linien der Diskontinuität aus einer Perspektive zu fragen, die vom Resultat her einen historischen Prozess begreift, ohne zu unterstellen, dass dieses in seinen Anfängen implizit oder explizit angelegt ist.“

100 Jahre früher als gedacht

Weyand arbeitet heraus, dass die von der Forschung lange vertretene Periodisierung der Geschichte des modernen Antisemitismus, die dessen Konsolidierung an seine Verknüpfung mit politischen und rassistischen Programmen knüpfte und daher erst nach 1871 terminierte, nicht mehr haltbar ist. Der moderne Judenhass begann demnach bereits etwa 100 Jahre früher, in den Debatten rund um Christian Wilhelm Dohms Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781), die Weyand in seiner Studie ausführlich und kenntnisreich kommentiert. Im Unterschied zu Alys altbackener Datierung des modernen Antisemitismus ab 1880 wirkt Weyands Argumentation also wesentlich progressiver: Da Dohm die religiöse Judenfeindschaft als Relikt überkommener Zeiten kritisierte und die Gleichberechtigung der Juden als Mittel prosperierender Staatsführung propagierte, rief seine Schrift Antisemiten auf den Plan, die in ihren Publikationen bereits ebenso moderne Antworten auf diese Argumentation suchten, um zu begründen, warum die Juden auch ohne religiöse Begründungen gefährlich blieben und als Staat im Staate verschwinden müssten.

Der Antisemitismus beginnt hier, also bereits lange vor der Errichtung eines einheitlichen deutschen Staates, sich national bzw. an der ethnisierenden Idee eines organischen, natürlichen und homogenen Volkes auszurichten: „Erst in einer modernen Gesellschaft gibt es Mehrheit und Minderheit, weil erst in ihr das Gleichheitspostulat verallgemeinert wird“, erklärt Weyand diese Denkbewegung der Zeit nach 1781. Ob Juden sich taufen ließen oder nicht, spielte aus dieser Sicht plötzlich keine Rolle mehr, da nunmehr angenommen wurde, qua Abstammung bildeten sie eine parasitäre Gemeinschaft, deren vollkommene Verschmelzung mit den Deutschen zwecks vollkommener Auflösung ihrer störenden Fremdheit zwar gefordert, andererseits aber bereits zu dieser Zeit von vielen Autoren als Unmöglichkeit eingestuft wurde. Mangels klarer rassistischer Kategorien blieb allerdings zunächst noch unklar, wie mit dieser paradoxen Situation genau umzugehen sei. Die grundsätzliche Opposition von Judentum und dem ‚deutschen Volk‘ hatte jedoch bereits begonnen, das Denken der Intellektuellen und der Staatstheoretiker zu bestimmen.

Kenntnisreiche Analyse des Schrifttums des 18. und 19. Jahrhunderts

Weyands Sichtung dieser Frühphase des modernen Antisemitismus um 1800 ist von großer Belesenheit. Der Autor hat seinen Kant, seinen Herder und seinen Fichte ebenso gelesen wie die zeitgenössischen Judenhasser Friedrich Rühs, Jakob Fries und Carl Friedrich Wilhelm Grattenauer, die allesamt als Akademiker beanspruchten, ihren Judenhass wissenschaftlich begründen zu können: „Mit der abnehmenden Bindekraft religiöser Deutungen und vor allem der schwindenden Macht der Kirche, diese auch durchzusetzen, tritt die wissenschaftliche, d.h. historisch erklärende Legitimation von Wissen neben und an die Stelle einer religiösen“, erläutert Weyand.

Parallel seziert der Forscher auch eine Reihe obskurer Denkschriften von Antisemiten aus dem Preußischen Innenministerium wie etwa dem Oberregierungsrat Karl Streckfuß, der 1833 schrieb, Juden, die nicht sesshaft würden, ihre Kinder nicht an christlichen Schulen erziehen ließen und nicht in bürgerlichen Berufen „mit uns zu einem Volk verschmelzen“, die sich also nicht auf diesem Wege als Juden „vernichten“ ließen, blieben „Glieder der jüdischen Nation, inmitten des Landes“. Diese widersprüchliche Idee findet sich in den von Weyand interpretierten Pamphleten tatsächlich immer wieder. Sie markiert einen folgenreichen Wandel antijüdischer Konstrukte, der die „Figur des Dritten“ bereits erkennbar werden lässt: Antisemiten um 1800 konnten sich bis zu einem gewissen Grad durchaus noch vorstellen, dass Völker zusammenwachsen, allerdings sollte dies im Falle der Juden letztlich doch nicht möglich sein, da man argwöhnte, sie seien anders als andere Völker und daher niemals bis zu ihrem tatsächlichen Verschwinden integrierbar.

Das Grundmuster dieser Zuschreibung war laut Weyand „strukturell ambivalent, weil Juden nicht als ein anderes ‚Volk‘, sondern als ein Gegenvolk dargestellt“ wurden. Damit bildete sich eine neue Semantik des Antisemitismus heraus, die bereits den Mechanismen heutiger populistischer Modelle entsprach: Sie band ihre Anhänger als Teile einer vorgestellten Gemeinschaft bzw. einer erfundenen Wir-Gruppe emotional aneinander. Hinzu kommt die kognitive Internalisierung von ‚wahrhaftigen‘ Gemeinschaftsnormen, Gemeinschaftsmythen bzw. eines einigenden Gemeinschaftsglaubens. Plötzlich gibt es etwa ‚deutsche Tugenden‘, wie es in der Fußball-Länderspielberichterstattung heute oft noch heißt, es entstehen Hirngespinste wie ein „Volkscharakter“, ein „Volksgeist“ und ergo Vorstufen von Gemeinschaftsvorstellungen, wie sie Dresdner Pegida-Gröhler auch heute wieder verbreiten und sogar mit den nationalsozialistischen Begriffen der „Volksgemeinschaft“ oder von „Volksverrätern“ verbinden. Als solche beschimpften Dresdner Demonstranten am 3. Oktober 2016 jedenfalls führende deutsche Politiker, um deren Einwanderungspolitik zu diffamieren.

Kurz: Viele Ostdeutsche leben heute geistig in einer Welt, deren Überzeugungen an den modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts erinnert. Weyands rhetorisches Beispiel für die emotional wirksamen Bindungen solcher völkischer Vorstellungen lässt zudem an Gustav Freytags Erfolgsroman Soll und Haben (1855) denken, der wie kaum ein anderer Text des 19. Jahrunderts die positive Ideologisierung ‚deutscher Arbeit‘ vorantrieb: „Verstehen ‚wir‘ uns als strebsam und fleißig, wird Faulheit zu einer Eigenschaft, die im Außenbereich von ‚uns‘ liegt und die, tritt sie im Binnenbereich auf, als ‚undeutsch‘ verstanden und moralisiert werden kann.“

Die Sattelung des postemanzipatorischen Antisemitismus

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts, das trotz antisemitischer Exzesse wie den Hep-Hep-Pogromen von 1819 in seinen mittleren Jahren eine fast friedliche Phase jüdischen Lebens in Preußen kannte, begannen die Antisemiten schließlich das, was sie seit 1800 in Schriften und vereinzelten Pogromen erprobt hatten, politisch zu organisieren. Auch diese historische Periode beschreibt Weyand eingehend und macht dabei deutlich, welche Modifizierungen der Judenhass in dieser Zeit erfuhr. Die weitgehend gelungene Emanzipation und Assimilation des deutschen Judentums zu dieser Zeit wurde von den Antisemiten nunmehr als große Gefahr empfunden. Auch Weyand zitiert den oben bereits erwähnten Marburger Bibliothekar und Volksliedforscher Otto Böckel, der seinerzeit behauptete: „Mit der Vollendung der Emancipaton im Jahre 1869 fing der Prozeß der Unterwerfung der nichtjüdischen Wirtsvölker, getreu der hebräischen heiligen Schriften, an.“ In einer 1887 erschienenen Schrift bezeichnete Böckel die Juden konsequenterweise als „Die Könige unserer Zeit“.

Solche bedeutsamen Hinweise auf eine angeblich bereits existierende Herrschaft der Juden über ihre „Wirtsvölker“ waren für den postemanzipatorischen Antisemitismus typisch, wie etwa schon früher bei Richard Wagner oder auch bei Wilhelm Marr, den man lange für den Erfinder des Begriffs Antisemitismus hielt. Publikationen wie Marrs Pamphlet Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum, das im Februar 1879 erschien und im folgenden Herbst bereits in der 12. Auflage verkauft wurde, waren zudem große publizistische Erfolge.

Weyand stellt allerdings fest, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts an den modernen antisemitischen Zuschreibungen tatsächlich gar nicht so viel änderte. Einerseits wurde die Vorstellung jüdischer Abstammung oder gar einer „Race“, die es bereits Ende des 17. Jahrhunderts gegeben hatte, wenn sie dort auch noch nicht biologisch im Sinne des Sozialdarwinismus begründet wurde, durch eine völkische Züchtungsidee ergänzt: „Die Verweltlichung von Geschichte zur Geschichte von ‚Völkern‘“ sei damit modernisiert und durch eine „Perfektionsidee“ ergänzt worden, in der die „Reinzüchtung“ positiv angesehener Eigenschaften durch politische Maßnahmen realisiert werden sollte. Andererseits weist Weyand aber auch darauf hin, dass die Einbindung des Rassismus in die politische Organisation des Antisemitismus diesen am Ende des 19. Jahrhunderts nicht komplett modifizierte. Die Grundmuster und Zuschreibungen des Judenhasses blieben vielmehr dieselben. Deswegen ist laut Weyand die „in der Antisemitismusforschung weit verbreitete Auszeichnung eines ‚rassischen Antisemitismus‘ und seine strikte Unterscheidung von einem nationalen Antisemitismus nicht länger haltbar“. Stattdessen handele es sich bloß um eine neue „Variante“ des Judenhasses, der sich stets wie ein Chamäleon der jeweiligen Zeit und ihrer Weltsicht anzupassen vermag: „Lediglich die Konsequenzen, die sich aus der feindlichen Gegenüberstellung von ‚Völkern‘ und ‚Juden‘ ergeben, unterscheiden sich in einem Punkt: ‚Vermischung‘ kann dieser Typ antisemitischen Wissens nicht mehr fordern.“

Ab diesem Zeitpunkt, schreibt Weyand, kann das antisemitische Wissen endgültig als ‚gesattelt‘ bezeichnet werden: Die Weltanschauung der „Figur des Dritten“, wie sie Holz definiert hat, ist seither gefestigt – und blieb es über 1945 hinaus. Selbst der Nationalsozialismus und der Holocaust vermochten es nicht, eine nachhaltige Ächtung des Antisemitismus auszulösen. In der Charta der Hamas beispielsweise sieht Weyand die von ihm analysierten antijüdischen Zuschreibungen des modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts nach wie vor intakt. Aus diesem Grund sind und bleiben solche Untersuchungen wie die seine so wichtig: Sie können helfen, aus einem genaueren historischen Verständnis heraus Gegenstandpunkte zu einer nach wie vor gegenwärtigen Ideologie zu definieren, die ohne engagierte Opposition das Zeug dazu hat, durch ihre Phantasmen weiter wahre Weltuntergänge heraufzubeschwören.

Weyands Buch ist, vor allem aufgrund seiner stupenden Quellenkenntnis, ein gewichtiger Beitrag zur Debatte. Anders als bei Aly gibt es hier kaum etwas zu kritisieren. Zwar ist Weyands Untersuchung klar und verständlich formuliert, doch erschweren ständige voluminöse Fußnoten, wie sie Aly aus Rücksicht auf sein Publikum strikt vermeidet, bei dem Erlanger Wissenschaftler eine flüssige Lektüre – was man jedoch einer soziologischen Habilitation kaum ernsthaft als Mangel vorwerfen kann. Als einziger Einwand mag gelten, dass das dringend zu bearbeitende Thema der Emotionen des Antisemitismus auch bei Weyand einmal mehr keine nennenswerte Rolle spielt. Doch selbst für einen solchen Ansatz bietet seine Publikation viel Material und wichtige geistesgeschichtliche Hinweise.

Literatur

Hannah Arendt: The Origins of Totalitarianism. New Edition with Added Prefaces. San Diego / New York / London: Harvest/HBJ 1973.

Eva Eßlinger / Tobias Schlechtriemen / Doris Schweitzer / Alexander Zons (Hrsg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2010.

Elke Kimmel: Otto Böckel. In: Wolfgang Benz et al. (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 2/, Personen A-K. Berlin: Walter de Gruyter 2009, S. 92f.

David Nirenberg: Anti-Judaismus. Eine andere Geschichte westlichen Denkens. Aus dem Englischen von Martin Richter. München: Verlag C.H. Beck 2015.

Titelbild

Jan Weyand: Historische Wissenssoziologie des modernen Antisemitismus. Genese und Typologie einer Wissensformation am Beispiel des deutschsprachigen Diskurses.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015.
448 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783835318441

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Götz Aly: Europa gegen die Juden. 1880-1945.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
431 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783100004284

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