Geschlechterkampf der MalerInnen

Ein Ausstellungskatalog des Frankfurter Städel Museums widmet sich dem Sujet von Franz von Stuck bis Frieda Kahlo

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Gibt es eine weibliche Ästhetik“, fragte Silvia Bovenschen Mitte der 1970er-Jahre in einem Essay für die Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation. Nicht zuletzt aufgrund dieses Artikels beschäftigten sich zahlreiche feministische Wissenschaftlerinnen in den folgenden Jahren mit einer ganz ähnlichen Frage, ob es nämlich eine weibliche Art zu schreiben gebe. Diese Zuspitzung oder, wenn man so will, Verkürzung mag darauf zurückzuführen sein, dass Bovenschen selbst Literaturwissenschaftlerin ist. Jedenfalls trat gegenüber der literaturwissenschaftlichen eine andere Frage in den Hintergrund: Ob es einen spezifischen Unterschied zwischen der Malerei von Frauen und Männern gibt.

Nun mag es zwar wohl kaum geschlechtsspezifische Arten der Pinselführung geben, möglicherweise aber eine der Darstellungsweise bestimmter Sujets. Und die betreffen, wenig verwunderlich, auch und vielleicht gerade Darstellungen des Geschlechterkampfs, wie eine ihm gewidmete Ausstellung des renommierten Frankfurter Städel Museums zeigt, in der nicht nur Werke der Malerei, sondern auch der Fotografie und des Films aus der Zeit „vom ersten Auflodern der Frauenbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Geschlechterdebatten und Sexualkontroversen der Weimarer Republik bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs“ zu sehen waren. Auf personaler Ebene bilden Werke Franz von Stucks und Frieda Kahlos die zeitlichen Anfangs- und Endpunkte der Ausstellung. Nun hat sie am 19. März 2017 zwar ihre Pforten geschlossen, der dazugehörige Katalog ist hingegen noch immer erhältlich.

Der Direktor des Städel Museums Philipp Demandt hat das Vorwort geschrieben und spricht nicht umsonst vom „ungebrochenen Schockpotential“ etlicher Exponate. Statt einer Einführung erwartet die Lesenden des optisch ansprechend aufgemachten Bandes zunächst ein Gespräch der Journalistin Rose-Marie Gropp mit Felix Krämer und Felicity Korn, die für Ausstellung und Katalog verantwortlich zeichnen. Anders als dies in einem der sonst üblichen Vorworte möglich wäre, hat diese Form das Potenzial, verschiedene Sichtweisen auf die Ausstellung und ihre Exponate zur Geltung zu bringen. Auch wenn die DiskutantInnen nur selten auf einzelne Bilder eingehen, bietet das Gespräch nicht nur eine Reihe wertvoller Hinweise zur Wandlung bestimmter Sujets und Motive vom ausgehenden 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, sondern auch zur Lektüre einzelner Bilder. Allerdings wird man nicht allen geäußerten Behauptungen zustimmen mögen. So ließe sich etwa Krämers Feststellung bezweifeln, dass „die Möglichkeit“ sich in Bildern „emotional wiederzufinden viel höher ist als in der Literatur“. Doch soll hier keineswegs die gegenteilige These vertreten werden. Vielmehr dürfte Krämers Annahme für ein Teil des Museums- und Lektürepublikums zutreffen, für einen anderen hingegen nicht.

Dem Gespräch folgt ein ausführlicher Überblicksartikel von Ute Frevert, in dem die Leiterin des Berliner Max Planck-Instituts für Bildungsforschung die Geschlechterkämpfe in Gesellschaft und Kunst zwischen 1850 und 1950 miteinander verbindet. Dabei skizziert sie einerseits die Entwicklungskulturen des künstlerischen Sujets anhand knapper Bemerkungen zu einzelnen Werken des Bandes, bietet andererseits aber auch kurze Einblicke in verschiedene Stationen der Frauenemanzipationsbewegung und ihrer männlichen Antagonisten: so etwa zwischen Verfechterinnen der freien Liebe auf der einen und misogynen Herren wie Otto Weininger auf der anderen Seite. Im Zuge dessen stellt sie Helene Stöcker und Franziska zu Reventlow nebeneinander, die, wenn auch an sehr unterschiedlichen Abschnitten, so doch beide an der gleichen Front für ein selbstbestimmtes Sexualleben der Frauen kämpften: die eine eher privat, die andere zudem politisch. Oder sie berichtet über die auch juristisch ausgetragene Auseinandersetzung zwischen der Kriegsberichterstatterin Alice Schalek und dem „Fackel-Monopolisten“ Karl Kraus, der in Schaleks mutigen Frontberichten die einem „Frauenzimmer“ geziemenden Grenzen weit überschritten sah. Mag Schalek selbst keine Frauenrechtlerin gewesen sein, so führte die Kriegsberichterstatterin doch ein für die Zeit des Ersten Weltkriegs sehr emanzipiertes Dasein, zumindest, was ihr Berufsleben betrifft.

Aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen dem weitgefassten Thema und der notwendigen Kürze eines Textbeitrags für einen Ausstellungsband geht bei Freverts Aufsatz verständlicherweise auch schon mal eine Differenzierung verloren. So zeigten sich durchaus nicht alle Angehörigen der deutschen Frauenbewegung angesichts des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs darüber, „den ‚Zwang ihrer Sonderbestrebungen‘ abschütteln zu können und in dieses große, ernste Zusammenwachsen aller nationalen Kräfte zu einem großen gemeinsamen Willen‘ aufgenommen zu werden“, so „begeistert“, wie Frevert meint. Die Radikalen um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann stellten die Frauenemanzipation zwar mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs ebenfalls hinten an, dies aber keineswegs aus Kriegsbegeisterung, sondern vielmehr um ihre Friedensbestrebungen gemeinsam mit PazifistInnen anderer Länder an erste Stelle zu setzen.

Der Bildteil des Bandes wird durch einen thematischen Abschnitt mit Darstellungen des Sündenfall-Motivs eröffnet. Ihm folgt eine nunmehr chronologisch/thematische Anordnung der weiteren Abbildungen, die um vier einzelnen KünstlerInnen gewidmete Texte ergänzt wird: Franz von Stuck, Jeanne Mammen, Félicien Rops und Lee Miller.

Dem Bildteil zwischengeschaltet sind zudem einige kürzere Beiträge, die beispielhaft auf bestimmte Werke des Katalogs eingehen. Wichtiger aber ist es ihnen zumeist, kunstgeschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen sowie  Entwicklungen und Tendenzen zu benennen. Daniel Zamani etwa stellt mit den „Schwestern“ Salome, Pythia und Sphinx drei „Frauengestalten, die sich patriarchalischen Herrschaftsstrukturen entgegenstellen“ zusammen und verortet deren künstlerische Darstellungen um 1900 im Kontext der zeitgenössischen Frauenbewegung. Melanie Ulz wiederum erkennt in Salome die „Femme fatale schlechthin“ und analysiert die biblische Figur und ihre zeitgenössische Darstellung vor dem Hintergrund der Kontroversen zwischen Feministinnen wie Hedwig Dohm und Antifeministen wie Paul Julius Möbius, während Katharina Ferus den „schwungvollen Strich“ von Jeanne Mammen würdigt. Anne Vieth schließlich verbindet im Titel ihres Beitrags Lustmord und Prostitution, sind es doch gerade oft Prostituierte, die sowohl in der Realität wie auch in den Darstellungen der meist männlichen KünstlerInnen zum Lustgewinn des Täters ermordet werden. Wie Vieth zeigt, blühte das Sujet des Lustmordes nicht zufällig nach dem Ersten Weltkrieg auf, nämlich als Versinnbildlichung der in seiner Folge stärker werdenden „Krise der Geschlechter“. Vieth macht in der dem Motiv eigenen „radikalen Darstellung“ des von ihr hier offensichtlich nur männlich gedachten Geschlechtstriebs eine „Absage an die engen bürgerlichen Geschlechterideale“ aus und schreibt dem Sujet deshalb ein „kritisches Potential“ zu.

Mag nun auch fraglich sein, ob dem tatsächlich so ist, jedenfalls eignet sich das reichliche Anschauungsmaterial des vorliegenden Bandes vorzüglich dazu, sich selbst ein Urteil darüber zu bilden, inwiefern Frauen anders malen respektive das Sujet des Geschlechterkampfes auf andere Weise umsetzen als ihre männlichen Kollegen. Wer also bedauert, den Besuch der Ausstellung versäumt zu haben, kann und sollte wenigstens zum Katalog greifen.

Titelbild

Felix Krämer (Hg.): Geschlechterkampf. Franz von Stuck bis Frida Kahlo.
Prestel Verlag, München 2016.
336 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783791355726

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