Mehr als Licht, Natur und Idyll

Zum Bildband „Nordische Malerei“ von Katharina Alsen und Annika Landmann

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Natürlichkeit und Idyll, Reinheit und Authentizität, nordisches Licht – im Besonderen die Mitternachtssonne – und eine Spur von Magie: Diese Schlagworte repräsentieren gängige Vorstellungen von der nordischen Malerei, prägen das „region branding“ der „Marke“ Nordische Kunst, wie es die beiden Autorinnen Katharina Alsen und Annika Landmann pointiert ausdrücken. In ihrem voluminösen Bildband Nordische Malerei. Im Licht der Moderne schaffen es Alsen und Landmann auf gut 300 Seiten und anhand über 200 teilweise großformatiger Bildbeispiele, mit diesen Stereotypen und Klischees aufzuräumen.

Zeitlich grenzen die beiden Autorinnen ihren Betrachtungsbereich auf die Malerei vor und nach der vorletzten Jahrhundertwende (im Schwerpunkt 1870 bis 1930) ein. Zwei verblüffende Exkursionen zur zeitgenössischen nördlichen Kunst bilden den Rahmen der kunsthistorischen Untersuchung. So starten die Autorinnen mit der Betrachtung einer Installation des dänisch-norwegischen Künstler-Duos Elmgreen & Dragset: Ein Interieur mit Sofa und Wohnzimmertisch. Auf dem Tisch liegt – neben Fernbedienung, Bierflaschen und einem gefüllten Aschenbecher – ein Bildband: Northern Light. The Skagen Painters. Das nordische Licht als Label, so stereotyp wie der Rest der Zimmereinrichtung.

Die Autorinnen enden, wie sie begonnen haben, mit einem zweiten skandinavischen Stereotyp, das sich in unsere Gegenwart gedrängt hat: Dem Lilla-Hyttnäs-Effekt. Wiederholt bildete Carl Larsson auf seinen populären Gemälden sein Wohnhaus Lilla Hyttnäs (Kleine Hütte) ab. Gemeinsam mit seiner Frau Karin hat er in vielerlei Hinsicht im Haus Hand angelegt und Möbel, Wände und Textilien gestaltet: Ein um 1900 entstandenes Do-it-yourself-Gesamtkunstwerk. Alsen und Landmann zeigen, wie sehr Larssons Wohnstil unser heutiges Bild vom europäischen Norden prägt, angefeuert durch das kommerzielle Verkaufskonzept eines schwedischen Einrichtungskonzerns. Einer Abbildung aus einem IKEA-Katalog der 1990er-Jahre wird Carl Larssons wohl vorbildgebendes Aquarell Das Blumenfenster gegenübergestellt. Es ist frappierend zu sehen, wie sehr unser Bild von nordischer Gemütlichkeit und skandinavischem Interieur durch solche Vorlagen sowie ein konsequentes Marketingkonzept geprägt ist.

Alsen und Landmann nähern sich dem weiten Thema nordischer Malerei aus zwei Richtungen: Zunächst wird der geografische Raum der nordischen Malerei abgesteckt. Hierbei greifen die beiden Autorinnen über den Bereich Skandinaviens – im engeren geografischen Sinn – hinaus. So betrachten sie neben den skandinavischen Kernländern Schweden, Norwegen und Finnland auch Dänemark, Island, die Färöer-Inseln und Grönland. Nationale Beschränkungen werden spätestens da obsolet, wo indigene Völker wie die Sámi betrachtet werden. Das Siedlungsgebiet der Sámi erstreckt sich von der Schweden, Norwegen, Finnland bis zu den Küsten des Weißen Meeres und der Barentssee in Russland. Beim Verzicht auf strenge nationale Festlegungen kommen so auch Maler des deutsch-dänischen Kulturraums zur Sprache wie Emil Nolde, Paula Modersohn-Becker, Hans Peter Feddersen und Agnes Slott-Møller.

Nach der kunstgeografischen Einordnung widmen sich die Autorinnen detailliert den inhaltlichen Themen nordischer Bildproduktion. Hier geht es vor allem darum, darzustellen, wie sehr der Norden an der europäischen Avantgarde partizipierte. Es wird anhand vieler Beispiele nachvollziehbar, wie wenig gerechtfertigt es ist, die nordische Malerei hinsichtlich der Sujets auf Licht, Natur und Idyll zu reduzieren. Jais Nielsen, Sigrid Hjertén, Sven „X-et“ Erixson – um nur wenige zu benennen – bilden mit ihren Großstadtbildern Erfahrungswelten ab, die absolut nicht dem Klischee einer heilen nordischen Beschaulichkeit entsprechen. Anhand zahlreicher Bildbeispiele lässt sich in der schwedischen Großstadtdarstellung ein Sonderweg erkennen; an die Stelle der Fußgängerperspektive des Flaneurs tritt die Vogelperspektive, der distanzierte Blick auf den urbanen Raum.

So wenig wie in der Motivwahl lassen sich die nordischen Malerinnen und Maler stilistisch auf die naturalistische und realistische Wiedergabe ihrer Welt festlegen. Die Künstler, die uns Alsen und Landmann anhand vieler Beispiele vorstellen und näherbringen, nehmen aktiv an den künstlerischen Entwicklungen der europäischen Moderne teil und sind keineswegs als peripher und rückständig zu erleben. Edvard Munch mag der prominenteste Vertreter der nordischen Avantgarde sein, jedoch bei weitem nicht der einzige. Sámal Joensen-Mikines von den Färöer-Inseln war ausgeprägter Expressionist; Tyko Sallinen stammt aus Finnland, studierte in Paris und begeisterte sich für den Fauvismus; der samische Künstler John Savio arbeitete mit Holzschnitten, wie sie auch die Brücke-Künstler und Paul Gauguin für sich entdeckten.

Das Buch Nordische Malerei. Im Licht der Moderne ist eine lesenswerte und vielfältige Einführung in das Thema. Die Thesen der Autorinnen werden anschaulich durch die zahlreichen Abbildungen belegt und der Norden wird in seiner gesamten gestalterischen Fülle ausgebreitet. Im engen Zusammenspiel von Bild und Text verblassen klischeehafte Blickweisen auf die nordische Malerei.

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Annika Landmann / Katharina Alsen: Nordische Malerei. Im Licht der Moderne.
Prestel Verlag, München 2016.
304 Seiten, 69,00 EUR.
ISBN-13: 9783791381305

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