Unser Mann vom Merkur, unser Mann vom Mars

Über zwei Biografien zu Freddie Mercury und David Bowie

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens David Bowies Tod hat es offenkundig gemacht: Die Ära der Popstars, die in den 1960er- und 70er-Jahren mehr als nur musikalische Genres revolutioniert haben, geht dem Ende zu – schlicht, weil die Protagonisten an ihre biologischen Grenzen kommen. Noch springt Mick Jagger über die Bühnen dieser Welt, während seine Altersgenossen sich langsam mit dem Rollator zur nächsten Trinkhalle bewegen, doch allzu viele Tourneen werden selbst ihm nicht mehr vergönnt sein. Bei Freddie Mercury lag der Fall anders, denn er erreichte dieses Alter gar nicht, sondern starb mit nur 45 Jahren an den Folgen von AIDS. Im November 1991 war das – also auch schon wieder vor mehr als einem Vierteljahrhundert. Dieses Jubiläum nahm der Piper Verlag zum Anlass, Lesley-Ann Jonesʼ 2011 im Original erschienene Biografie erstmals auf Deutsch zu veröffentlichen.

Die langjährige Boulevardjournalistin, TV- und Radio-Moderatorin Jones ist für diese Aufgabe geradezu prädestiniert. Nicht nur, weil sie die 1980er-Jahre ohnehin damit verbrachte, über die damaligen Stars zu schreiben oder sie dem Publikum anzukündigen. Sie verband auch eine private Bekanntschaft mit Mercury, deren Details sie zu seinen Lebzeiten nicht ausnutzte, sondern erst jetzt in ihre Lebensbeschreibung einfließen lässt. Daher kennt sie sehr viel mehr intime Einzelheiten aus dessen Leben, als damals an die Öffentlichkeit drangen; das Übrige hat sie in jahrelangen Recherchen zusammengetragen. Ob das Ergebnis tatsächlich „genau die Würdigung“ ist, „die Mercury sich gewünscht hätte“, wie der Klappentext eine Rezension des britischen „Spectator“ zitiert, muss naturgemäß offen bleiben.

Es ist vor allem ein Buch über den Menschen Freddie Mercury. 1946 als Farrokh Bulsara geboren, Sohn einer parsischen Familie auf Sansibar, größtenteils in Indien aufgewachsen, startete Mercury aus einer denkbar peripheren Ausgangslage, und arbeitete sich an die Spitze des britischen Pop-Business vor. Im Verlauf der Biografie geht es aber immer stärker um das Privatleben Mercurys und die komplexen Beziehungen, die er im Laufe seines Lebens entwickelte. Auf der einen Seite standen Alkohol- und Drogenexzesse und immer ausschweifenderer schwuler Sex, mit dessen Details hier nicht gespart wird, auf der anderen langjährige, tiefgehende Beziehungen zu seiner Jugendliebe Mary Austin, der Münchner Schauspielerin Barbara Valentin und seinem letzten Lebensgefährten Jim Hutton. Die vielen Facetten und inneren Widersprüche dieses Lebens schildert Jones in großer Breite. Passagenweise gerät die Beschreibung dabei zur Hagiografie, und man wünscht sich als Leser ein wenig mehr Distanz.

Seltsam blass bleibt dagegen der Grund für Mercurys Berühmtheit: die Musik. Sicher, die Mitmusiker Brian May, Roger Taylor und John Deacon werden erwähnt, aber der kreative Prozess, die Vielschichtigkeit der gelungeneren Queen-Werke besonders aus der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre spielen eindeutig die Nebenrolle in diesem Buch, ebenso Mercurys  Fähigkeiten als Komponist und Pianist. Dabei gäbe es viele interessante Aspekte – zum  Beispiel das Spiel mit queeren Elementen, das die Band seit ihrer Gründung betrieb, und das schon in frühen Songtiteln wie „Stormtrooper in Stilettos“ und „Killer Queen“ (beide von 1974) zum Ausdruck kam. Ganz abgesehen von Mercurys androgyner Erscheinung in den frühen Jahren der Band, den er später gegen eine abgemilderte Lederschwulenaufmachung inklusive Schnauzbart eintauschte. Welche Rolle spielten diese Elemente für den frühen Erfolg bei einem Publikum, das jede Form alternativer Sexualität für sich selbst wohl weit von sich gewiesen hätte? Wie wichtig war die Chemie zwischen vier herausragenden, stilistisch eigenständigen Instrumentalisten, von denen May und Taylor selbst auch noch hervorragende Sänger waren? Ist die Wahl des „weißen“ Namens Freddie Mercury eine Art von Mimikry, die in der britischen Gesellschaft der Zeit wichtig war, um vom „Farbigen“ zum Popstar zu werden? Wie steht es eigentlich mit der mythologischen Dimension des Namens, mit der Assoziation zum Quecksilber? Und: Warum feierte die Band ihre größten Erfolge, zumindest in Deutschland, gerade mit der routinierten Formatradioware ihrer allerlangweiligsten Alben The Works (1984) und A Kind of Magic (1986)? Aus kulturwissenschaftlicher Sicht enttäuscht Freddie Mercury. Die Biographie; zudem zeichnet sich das Buch durch einen ausgesprochen biederen Stil aus. Aber das heißt Lesley-Ann Jones mit dem falschen Maßstab messen. Wer eine detaillierte, solide Hommage an den Sänger lesen will, ist mit den fast 450 Seiten gut bedient.

Wie man dagegen eine Pop-Ikone mit Gewinn auf ihre kulturelle Signifikanz abtastet, zeigt der Berliner Amerikanist Frank Kelleter mit einem kleinen Band über David Bowie. Beginnend mit einer Exegese des auf den ersten Blick unscheinbaren Albumcovers von Ziggy Stardust and the Spiders from Mars (1972), nutzt Kelleter den knappen Raum der neuen Reclam-Reihe 100 Seiten für eine Tour de Force durch Bowies vielschichtiges Werk und die vielen Phasen, in denen sich der Künstler neu erfand. Mit Queen arbeitete er nicht nur zusammen – auf der Single Under Pressure (1981), mit der Brian May so unglücklich war, dass er sie bis heute remixen will. Mit seinen Selbstinszenierungen schuf Bowie ab 1969 überhaupt erst den Boden, auf dem jemand wie Mercury zum Star avancieren konnte. Kelleters Buch ist für den kulturwissenschaftlich beschlagenen Leser ohne Zweifel eine anregende Lektüre, aber eben auch weitaus voraussetzungsreicher. Als Einführung in Bowies Werk funktioniert es eher nicht, schon deshalb nicht, weil es eher nach thematischen Clustern und ihrer Anschlussfähigkeit an andere kulturelle Diskurse gegliedert ist. Da ist man umgekehrt mit einer konventionellen Bowie-Biografie besser bedient, von denen es mittlerweile sehr viele gibt – eine davon stammt zufällig aus der Feder von Lesley-Ann Jones. Da sich damit ein Kreis schließt und der Rezensent Jonesʼ Bowie-Buch nicht gelesen hat, endet die Kritik an dieser Stelle.

Titelbild

Frank Kelleter: David Bowie. 100 Seiten.
Reclam Verlag, Stuttgart 2016.
100 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783150204238

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Lesley-Ann Jones: Freddie Mercury. Die Biografie.
Übersetzt aus dem Englischen von Stefan Rohmig.
Piper Verlag, München 2016.
448 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783492057608

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