„Die Schaukel“ und „Wolken“: Über die Herausgabe zweier Werke Hans Jürgen von der Wenses

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Schaukel

Hans Jürgen von der Wenses kleine Abhandlung über Die Schaukel ist eine der äußerst raren Publikationen, die der Fragmentariker, Wanderer, Komponist und Fotograf zu Lebzeiten zum Druck brachte. Entstanden 1941 parallel zu seinem erstaunlichen Essay Über das Stehen und zu dem in umfangreichen Vorarbeiten steckengebliebenen Traktat über den Stab, huldigt der Privatgelehrte, wie er sich selbst titulierte, dem schwingenden Gerät als dem ersten der „eigentlich poetischen Gegenstände“. Ein Hin und Her der Bewegungen und Bedeutungen ist das luftige Spielwerk für Wense Sinnbild und Mysterium menschlicher Verausgabungsfreuden. So pendelt der Essay zwischen Volkskunde, Physik und spiritueller Kosmologie, zwischen Dingpoetik und Renaissance-Wunderkammer, zwischen Poesie und Wissenschaft, zwischen Schwingen und Messen mit einer Prise Dada; eine Hymne an einen kleinen schwungvollen Gegenstand, getragen von der großen Poesie der kleinen Dinge. Denn: „Schaukeln heißt: Im Sitzen tanzen.“

Die Edition bietet den Text in der 1946 publizierten Fassung aus der Göttinger Sammlung, erweitert um unpublizierte Nachlass-Notate zur Schaukel und zum Jahrmarkt aus Wenses Notizheften und seinem enzyklopädisch angelegten Mappen-Werk. Ein Vorwort zur Textentstehung samt literarhistorischem Abriss zur Schaukelei und ein Nachwort zur metaphysischen Mechanik des Pendelns rundet das zusätzlich mit Bildmaterial und einer kleinen Bibliografie ausgestattete Heft ab.

Wolken

Hans Jürgen von der Wense hinterließ nach seinem Tod 1966 neben Diversestem auch 25.000 lose Blätter mit Notizen, Fragmenten und Funden, in über 300 Mappen poetisch-enzyklopädisch abgelegt – ein programmatisch auf Offenheit und Fortsetzungsfähigkeit angelegtes Werk in der Nachfolge des Novalis. Schreiben bedeutete für Wense nicht, geschlossene Werke zu produzieren, sondern freie Text-Felder  zu eröffnen. Nicht zum Lesen gedacht, sondern zum Abgrasen.

Die erste nun aus dem Nachlass publizierte Mappe ist den Wolken gewidmet: selbst luftige Behälter, flüchtige Transporter, schwebende Verwandlung. Nicht anders die Aufzeichnungen zum Wolkendienst: Eigenes und Fremdes, Hingetuschtes und Aufgegriffenes steht neben Ausgefeiltem und Kristallisiertem. Die Dinge sich ausdehnen, sich bilden lassen, ist das Programm. Und ihnen folgen. Denn alles hat seinen eigenen Umraum, seine Landschaften.

Um diese Atmosphären des Denkens spürbar zu machen, bietet die Ausgabe die faksimilierten Mappenblätter in Originalgröße mit textgenetischer Umschrift. Zwei Landschaftsaufnahmen aus Wenses fotografischem Nachlass und weitere Wolken-Aphorismen aus der Fragmentesammlung Epidot dokumentieren die Fortschreibungen der Wolken-Mappe mit anderen Mitteln.

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Titelbild

Hans Jürgen von der Wense: Das Lose Werk. Mappe 01. Wolken. Verschollene Seiten aus dem Nachlass.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Valeska Bertoncini und Reiner Niehoff.
Blauwerke Verlag, Berlin 2016.
43 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783945002025

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Titelbild

Hans Jürgen von der Wense: Die Schaukel.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Reiner Niehoff. Mit einer Lektüre von Valeska Bertoncini.
Blauwerke Verlag, Berlin 2016.
54 Seiten, 1,00 EUR.
ISBN-13: 9783945002087

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