Vom Versuch, als Tier zu leben

Über Charles Fosters Buch „Der Geschmack von Laub und Erde“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Charles Fosters Buch Der Geschmack von Laub und Erde ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Buch, geschrieben von einem ungewöhnlichen Autor (er ist Tierarzt und Rechtsanwalt, Marathonläufer und Dozent für Ethik): Von Kindheit an mit einem großen Interesse an Tieren ausgestattet, sammelt er schon früh Tierpräparate – überfahrene Tiere, die sein Vater ihm mit nach Hause bringt. Diesem widmet Foster sein Buch: in Dankbarkeit für die mitgebrachten Tiere, das Formalin und die Glasaugen.

Das mag verstörend wirken, erklärt aber Fosters pragmatischen und von tiefer Neugierde geprägten Zugang zu Tieren. Um das Wesen der Fauna unseres mitteleuropäischen Lebensraums wirklich erfassen zu können, versucht Foster immer wieder – über längere und kürzere Zeiträume – wie ein Tier in freier Wildbahn zu leben. Er erprobt in der Haut eines Tieres zu stecken, seine Nahrung zu essen, in seiner natürlichen Umgebung zu leben. Foster will, das Sein der Tiere so umfassend wie möglich ergründen. Für seine Versuchsanordnung greift er auf die griechisch-antike Tradition der Vier-Elemente-Lehre zurück und wählt in Analogie die Tiere Dachs und Rothirsch für die Erde, den Otter für das Wasser, den Fuchs für das Feuer und schließlich den Mauersegler für das Element Luft.

Das Buch ist aber auch ungewöhnlich in seinem Changieren über die gebräuchlichen Genregrenzen hinweg: Teils faktenreiches Sachbuch, teils individueller Erfahrungsbericht finden sich an manchen Stellen fiktionale Elemente. Dies macht das Buch zu einer schillernden Zwittergestalt, der man sich als Leser mit Geduld und großer Neugierde nähern sollte.

Foster stellt ihm ein Zitat aus dem Buch Tiere essen des amerikanischen Autors Jonathan Safran Foer voran. Programmatische Worte, die von Beginn an signalisieren, dass es Foster um weit mehr geht, als um das Protokoll eines skurrilen Urwaldabenteuers. Der Geschmack von Laub und Erde ist so auch ein tief moralisches – jedoch kein missionarisches – Buch. Von der Durchlässigkeit der Artengrenzen überzeugt, lotet Foster die Intimität zwischen Mensch und Tier (wie wir es bei unseren Haustieren täglich nachvollziehen können) aus, indem er sie an diesen fünf so unterschiedlichen Wildtieren erprobt.

Seine Selbstversuche beschreibt er drastisch, mit Selbstironie und Humor. Er vertilgt Würmer, wenn er als Dachs zu leben versucht, und beschreibt die Empfindungen, die sich in der Mundhöhle ergeben genauso akribisch, wie die unterschiedlichen Terroirs, die er bei den Würmern – je nach geografischer Herkunft – unterscheiden zu können behauptet. Er schenkt sich nichts, schneidet sich monatelang nicht die Fußnägel, „um das Gefühl überlanger Hufe kennenzulernen“, friert und legt sich zum Schlafen in Morast und Dreck nieder.

Der Geschmack von Laub und Erde bleibt jedoch nicht bei verstörenden kulinarischen Details, sondern handelt – entlang der Nahtstelle Tier-Mensch – auch von Ästhetik und Musik. So stellt der Autor die Frage, ob ein Dachs, der Geräusche in den hochsensiblen Pfoten erfühlt, beispielsweise die h-Moll-Messe als h-Moll-Messe hören kann. Foster glaubt: Ja! Umso roher wirkt im Kontext die Vorstellung des „brutalen Tsunami eines vorbeifahrenden Kraftfahrzeugs“, den wir einem solch feinhörigen Tier zumuten.

Das Leben der Otter liest sich als ein außerordentlich brutales und hartes, woran – so Foster – vor allem das menschliche Streben nach Aktionärsgewinnen schuld ist: Die Lebensräume werden knapp, die Individuen werden im Kampf um ihre Habitate aggressiv gegeneinander, die eigentlich nachtaktiven Tiere müssen zusätzlich tagsüber jagen, weil das Nahrungsangebot mager ist. Foster wird plakativ: die „Anzug tragenden Buchhalter in Frankfurter Vorstandsetagen […] rauben den Ottern den Schlaf und zwingen sie zu immer ausgedehnteren Nahrungsstreifzügen.“

Dem Fuchs, den er vor allem in seinem Londoner Großstadt-Biotop begleitete, attestiert Foster eine ausgeklügelte Anpassungsfähigkeit und Scharfsinnigkeit. Währenddessen befinden wir Menschen uns auf dem Weg zum „sklerotischen Superfachidioten“ und können uns kaum noch „vom Sofa hochhieven“.

Foster ist ein einsichtsvoller und selbstreflektierender Autor. Selbst ehemaliger Jäger, erlebt er in seinem Selbstversuch den Rothirsch als wunderbares „Werk der Schöpfung“. Jagd wird zum „gottlosen Akt“, zu einem „ungehörigen“ Eingriff. Foster fühlt sich „besudelt“, wirkt wie bekehrt; wie einst Hubertus von Lüttich, der seiner Jagdleidenschaft entsagt, als er einen prächtigen Hirschen mit einem Kruzifix zwischen den Sprossen des Geweihs erblickte, und paradoxer Weise zum Schutzpatron der Jägerschaft avancierte.

Im Fall des Mauerseglers – in seinem rastlosen Flug das „ultimativ Andere“ – bleibt es bei Annäherungen; Foster benutzt einen Gleitschirm, reist den Vögeln hinterher. „Aber ein Mauersegler werden? Ebenso gut könnte ich versuchen, Gott zu sein.“ Das wäre anmaßend, und Anmaßung ist das allerletzte, was Foster in seinen Versuchen betreibt. Stets bleibt er dem Wunder auf der Spur, verwirft mechanistische Vereinfachungen, stellt sich – bei aller Pragmatik – der Mystik des Vogelzugs und all der anderen unerklärten Phänomene um uns herum.

Nicht nur von seinen Erlebnissen beim Versuch, wie ein Tier zu leben, ist die Rede, sondern auch von allgemein menschlichen (und vielleicht auch tierischen) Gefühlen und Einsichten. So stellt Foster Reflexionen an zu Einsamkeit und Vertrautheit an. Vertrautheit bedeutet für ihn das schwierige Unterfangen, jemanden in sein persönliches, einzigartiges Universum einzuladen. Er plädiert dafür, diesen Versuch niemals aufzugeben. Weder den Menschen gegenüber noch den Tieren und der Natur. „Wenn wir bei der Natur aufgeben, werden wir elende Umgehungsstraßenbauer oder Dachsjäger oder selbstbezogene Stadtmenschen.“ Dieser Ansatz ist eine der Motivationen, die Foster dazu bringen, sich der Mühsal und den Unbequemlichkeiten zu unterziehen, die das Leben als wildes Tier mit sich bringen, und sich auf den anstrengenden Weg zu machen, in Austausch mit dem Tier zu treten.

Fosters Buch macht immer wieder nachdenklich, beispielsweise, wenn er einen direkten Weg von der biblischen Schöpfungsgeschichte in die Vorstandsetagen von Monsanto als Ausweis eines gnadenlosen Kolonialismus formuliert. Die Sprache des Buches in der Übersetzung aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß ist literarischer, als man sie bei einem Sachbuch erwartet. Foster nähert sich den ungewöhnlichen und neuartigen Empfindungen mit großer Poesie; schafft verblüffende Analogien und versucht sich in überraschenden Metaphern. Beim Schreiben schaut er sich selbst über die Schulter: „Hier geht es um Leben und Tod, und wenn man da keine Metaphern durcheinanderwürfelt, schreibt man verkehrt darüber.“ Wenn Erlebnisse so weit weg von alldem stattfinden, was wir Menschen gewohnt sind, versagt unsere menschliche Sprache. Charles Foster ringt mit den Worten. Meistens gewinnt er.

Titelbild

Charles Foster: Der Geschmack von Laub und Erde. Wie ich versuchte, als Tier zu leben.
Übersetzt aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert Weiß.
Malik Verlag, München 2017.
288 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783890292625

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