So einfach ist das eben nicht

Andreas Stichmanns Roman „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ berichtet vom Scheitern eines ungewöhnlichen Weltverbesserungsplans

Von Christina LangeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Lange

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sind nicht unbedingt die Geschichten, die Andreas Stichmanns Texte einmalig machen. Auch seine Figuren, oftmals Antihelden, finden sich in bester Gesellschaft mit all den anderen Unperfekten, die die zeitgenössischen Romane zahlreich bevölkern. Was seine Texte jedoch auszeichnet, das ist der Erzählton, der bei schmerzhafter Ironie und einem teils schwarzen Humor stets intensive Bilder vor dem geistigen Auge des Lesers erzeugt. Und egal, wie düster die Ausgangslage der Geschichte auch sein mag, diese Bilder stecken mitunter voller Wärme und Schönheit.

Einst war der Sonnenhof ein Ort der Utopie. Ingrid Meisner und eine Schar anderer Menschen, die an eine bessere Welt glaubten oder zumindest darauf hofften, hatten ihn gegründet als Zuflucht für Aussteiger und Sonderlinge. Inzwischen ist das Ladencafé längst geschlossen, ein Großteil der Mitbegründer ist abgehauen und im Hühnerstall haust nur noch ein einziger Hahn, der ausschließlich von den Resten veganer Pizza lebt. Die noch verbliebenen Hofbewohner sind neben Ingrid und ihrem Sohn – dem Sozialarbeiter Ramafelene – eine Gruppe mehr oder weniger gehandicapter Menschen. In diese Szenerie stolpert Bibi, eine minderjährige Tankstellenräuberin, die ihre Sozialstunden abarbeitet. Dank ihr scheinen Dinge in Bewegung zu geraten: Ramafelene, der den Hof mehr schlecht als recht über Wasser hält, verliebt sich in sie und auch der einfältige Schrottsammler Küwi scheint sie recht gern zu haben. Richtig durcheinander gerät dann aber alles, als plötzlich ein Fremder mit dem sonderbaren Namen Sydney Seapunk auftaucht und verspricht, den Sonnenhof finanziell wieder auf Vordermann zu bringen – falls die Bewohner ihm helfen, seine eigene Entführung zu inszenieren und von seinem Bruder vier Millionen Euro Lösegeld zu erpressen.

Die Figur des „autodidaktischen“ Optimisten Sydney Seapunk (alias Millionenerbe David van Geelen) erweist sich als vielschichtig: einerseits ist er für Bibi, Küwi und die meisten anderen Menschen im Sonnenhof eine Art Heilsbringer und die Schnittstelle zur Außenwelt, denn neben der Wiederentfachung der alten Vision von einer gerechteren Welt hat er auch jede Menge technisches Equipment und Bargeld im Gepäck, das er großzügig unter den Anwesenden verteilt. Andererseits behalten die zynische Ingrid und ihr Sohn Ramafelene zuletzt recht, wenn sie auf Sydney Seapunks Versuch, die Welt zu verbessern, reserviert bis verärgert reagieren. So einfach ist das eben nicht und gut gemeint ist auch hier einmal mehr das Gegenteil von gut.

Die dritte interessante Facette der Seapunk-Figur erschließt sich aus dem Verhältnis der Brüder Van Geelen. Da Stichmann die Erzählperspektive immer wieder wechselt und dem Leser so die Ansichten der wichtigsten handelnden Figuren näherbringt, werden diese ebenfalls aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet – und plötzlich kommen dem Leser Zweifel daran, wie „gut“ der Charakter eines Mannes wohl sein kann, wenn er seinen eigenen Bruder einer solchen Situation aussetzt, wie David es hier mit Sebastian van Geelen macht.

Insgesamt nimmt sich der Roman Zeit für die Einführung seiner Protagonisten, bevor er zu der eigentlichen Story, der fingierten Entführung, kommt. Im Mittelpunkt steht bald die alte Frage: Muss man das potenzielle Glück des Einzelnen opfern für das Wohl der Gemeinschaft? Und ist es gut, einen wahnwitzigen Plan ohne Rücksicht auf Verluste zu verfolgen, wenn man damit vielleicht die Welt verbessern kann? Führen alle anderen aufrichtigen, aber weniger wahnwitzigen Versuche immer zu Isolation und Dauerkopfschmerz wie bei Ramafelenes Mutter Ingrid?

Lesenswert ist das Ganze, wie anfangs erwähnt, hauptsächlich durch Andreas Stichmanns Erzählstil. Wie er das Projekt des Optimisten Sydney Seapunk langsam aber sicher in aller Unvermeidlichkeit scheitern lässt und die zunächst eher gemächlich wirkende Handlung zu einem furiosen Höhepunkt bringt, das gefällt vielleicht nicht jedem. Aber nichtsdestotrotz ist es großartig erzählt.

Titelbild

Andreas Stichmann: Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
240 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498058500

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