Ein Faschist, der liebt?

Mit Jérôme Leroys „Der Block“ ins Innenleben einer rechtsradikalen Partei

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Erfolg populistischer Parteien vom rechten Rand des Parteienspektrums beunruhigt mit gutem Grund. Niemand weiß so genau, ob diese Leute tatsächlich glauben, was sie sagen, oder ob es ihnen dabei nicht nur um die eigene Macht geht. Egal wie, die Blaupause dazu ist der Aufstieg der NSDAP, die vor keiner Geschichtsklitterung zurückschreckte und der Albrecht Koschorke jüngst in einem Essay nachsagte, dass ihre Repräsentanten eben durch den Willen zur Macht und nicht durch die Liebe zur Wahrheit aneinander gebunden waren.

Gerade davor wird freilich immer wieder gewarnt: Man müsse davon ausgehen, dass das alles echt ist, auch wenn es kaum zu glauben ist. Und man müsse ebenfalls davon ausgehen, dass ihnen tatsächlich all das Zeug geglaubt wird, das sie von sich geben. Anders könne der Erfolg nicht erklärt – und eben auch verhindert werden. Pizzagate zum Beispiel, ein Schwachsinn übelster Sorte, der aber geglaubt wird.

Gerade da aber besteht das Problem: Angesichts all der Verschwörungstheorien, die nicht nur im rechten politischen Spektrum grassieren, angesichts der Halbwahrheiten und echten Fake-News, die in die Welt gesetzt werden und angesichts auch der aggressiven Meinungsmache, die von populistischen Parteien betrieben wird und die offensichtlich unsinnig ist, fällt es schwer, sich tatsächlich auf diese Welt einzulassen. Dass nationalistische Parteien seit Jahrzehnten auf eine höhere Wahrnehmung und größere Anerkennung in den Bevölkerungen der Industriestaaten drängen, ist kein Geheimnis. Ebenso wenig wie diese Anerkennung damit verbunden ist, dass diese Parteien nicht offen das faschistische Erbe antreten. Sie geben sich allesamt volksnah und ehrlich. Aber wer will das glauben?

Und dennoch, wenn der Schritt zurück noch einmal erlaubt ist: Ernst Bloch hat in seiner Aufsatzsammlung Erbschaft dieser Zeit aus dem Jahr 1935 noch auf den unaufgebrauchten Rest auch in den offensichtlich reaktionären und anachronistischen Phänomenen aufmerksam gemacht, dem man sich widmen müsse, wenn man nicht ihre Gefolgsleute vorab aufgeben wolle. Ein Hinweis, den man sich gerade angesichts des Erfolgs populistischer und nationalistischer Strömungen zu Herzen nehmen sollte, zumal er mit einem massiven antikapitalistischen Impuls verbunden ist.

Der französische Autor Jérôme Leroy hat mit seinem Roman Der Block anders als sein Kollege Michel Houellebecq nicht die „schleichende Islamisierung Europas“ oder eben Frankreichs im Visier, sondern die Machtergreifung durch eine populistische und nationalistische Partei in Frankreich. Statt aber um eine solche Partei einen Fall zu stricken, mit dem sie und ihre Ideologie entlarvt würden (was sollte da auch noch entlarvt werden? Sie sagen doch alles offen), begibt er sich mitten hinein in diese Welt. Indem er sich in die Gedanken zweier Protagonisten einer Partei namens „Patriotischer Block“ hineingräbt und sie die gemeinsame Geschichte erinnern lässt.

In einer Nacht kurz vor der Regierungsbeteiligung des Patriotischen Blocks sitzt der Ehemann der Block-Parteichefin, der Schriftsteller Antoine Maynard in der Pariser Wohnung des Paares und wartet auf den Anruf seiner Frau, die über die Regierungsbeteiligung verhandelt. In derselben Nacht wird der ehemalige Chef der Schlägertruppe des Blocks Stanko von seinen eigenen Leuten verfolgt, die ihn beseitigen wollen. Mit Stanko wird zu viel schmutzige Vergangenheit verbunden, die der neuen Regierungspartei an der Macht schaden würde. Einmal an der Spitze muss sie sauber sein, zumal einer der Steigbügelhalter noch eine Rechnung offen hat mit Stanko.

Stanko, ein gewissenloser Schläger, und Maynard, der rücksichtslose Intellektuelle des Blocks, sind enge Freunde seit Jahren. Stanko hat Maynard Gelegenheit gegeben, seinen aggressiv-sadistischen Neigungen nachzugehen, und Maynard hat Stanko an der intellektuellen Welt teilhaben lassen, indem er ihm immer wieder die richtigen Texte zu lesen gab. Ja, diese machistische, gewalttägige und bornierte Welt hat Geist, sie hat Intelligenz und sie hat ein Faible für Literatur. Sie hat zwar ihre eigenen klassischen Texte, aber sie hat eben doch Literatur, und in den großen Klassikern der europäischen Kultur doch die eine oder andere intellektuelle Größe mit dem Rest gemeinsam.

So muss man sich auch für diese Leute den rettenden Gedanken abschminken, dass sie schlichtweg nur dumm und zurückgeblieben sind. Die, die das Kommando haben, haben Grips, wenngleich auch einen massiv fehlgerichteten, mit dem sie zwei Ziele verfolgen – ihren Leidenschaften Genüge zu tun und auf dem Weg zur Macht voranzukommen. Frankreich den Franzosen, Deutschland den Deutschen – was soll das geben? Einen Rollback zurück ins Germanenreich?

Das konzeptionell überwältigende dieses Romans ist freilich, dass er seinen Figuren unerhört nahe kommt, ohne sich mit ihnen gemein zu machen. Er lässt sie abwechselnd in dieser furchtbaren Nacht, in der sie sich gegenseitig verraten müssen, erinnern, an ihre Herkunft, an die Gründe für ihre Hinwendung zum Block, an gemeinsame Aktionen, an Geschichten, Ereignisse, Erfolge und Rückschläge.

Ja, Maynard ist letztlich „wegen einer Möse Faschist“ geworden, wie der Roman bewusst derb beginnt: die Beziehung zu seiner Frau Agnès, die Leroy als tief empfundene Liebe und als dauerhaftes Begehren schildert. Nicht nur intelligent, sie lieben auch noch und haben guten Sex? Und Stanko? Dass er schwul ist, ist vielleicht ein bisschen zu viel, kocht dabei doch das Klischee des schwulen SA-Mannes wieder hoch, das nicht nur in Klaus Theweleits Männerphantasien abgefeiert wurde, sondern auch schon in den 1930er-Jahren. Aber selbst dieser kleine, überaus grausame Schläger hat intellektuelle Tiefe, Reflexions- und Empfindungsvermögen.

Leroy macht es also dem bekennenden politischen Gegner solcher Parteien und ihrer Parteigänger nicht leicht, über sie ein Urteil zu fällen. Denn sie sind keine Aliens, sondern relativ normale, wenn auch ungewöhnliche Leute, deren Gedanken- und Empfindungswelt in vielem mit dem des Rests der Welt übereinstimmt. Jenseits der Politik. Die aber politisch gesehen desaströs sind und ihre politischen Gegner nicht nur überwinden, sondern vernichten wollen. Das macht es nicht leichter, sich gegen sie aufzustellen, aber eben notwendiger. Leroys Der Block mag keine große Literatur sein (wovon hier auch nicht die Rede war), aber es ist eines der Bücher der Stunde, gerade weil es viel Gutes oder auch nur Normales an seinen Feinden lässt.

Titelbild

Jérôme Leroy: Der Block. Kriminalroman.
Mit einem Nachwort des Autors zur deutschen Ausgabe.
Übersetzt aus dem Französischen von Cornelia Wend.
Edition Nautilus, Hamburg 2017.
320 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783960540373

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