Die Kunst der Fälschung

Über Dominic Smiths „Das letzte Bild der Sara de Vos“

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahre 1636 malt die holländische Künstlerin Sara de Vos nach dem Tod ihrer kleinen Tochter Kathrijn trauernd das Ölgemälde Am Saum eines Waldes. Jahrhunderte später, in der Upper East Side im New York der 1950er-Jahre, ist das Gemälde im Besitz der Familie de Groot und hängt im Schlafzimmer des Anwalts Marty. Bis es da auf einmal nicht mehr hängt, sondern eine täuschend echte Kopie, gemalt von der dritten Protagonistin Ellie Shipley. Ellie ist Australierin, Studentin der Kunstgeschichte und restauriert normalerweise alte Gemälde. Warum diese sonst so rechtschaffene Frau sich dazu verleiten lässt, ein solches Verbrechen zu begehen, löst sich erst im Laufe des Romans Das letzte Bild der Sara de Vos von Dominic Smith auf. Es hat viel mit dem Ego einer jungen Frau zu tun, die versucht, sich vom Rand der Gesellschaft zu lösen.

Das hat sie mit Sara gemein, die nach einem tiefen Fall darum kämpft, ihren Platz in der Gesellschaft wiederzufinden. Fünf Jahre vor Kathrijns Tod war sie sogar die erste Frau, die in die Amsterdamer Malergilde aufgenommen wurde. Da es sich zur damaligen Zeit für Frauen nicht schickte, sich alleine im Freien aufzuhalten, malte sie ausschließlich Stillleben. Der frühe Pesttod ihrer Tochter stürzt sie und ihren Mann in eine Sinnkrise und eine künstlerische Blockade, weshalb die beiden sich verschulden und aus der Gilde ausgeschlossen werden – ihre Bilder infolgedessen auch nicht mehr offiziell signiert verkaufen dürfen. Umso schwerer wird es folglich für sie, die Schulden loszuwerden. Schließlich malt Sara aus ihrer Trauer heraus ihr einziges Landschaftsgemälde. Ein Mädchen beobachtet darauf Schlittschuhläufer auf einem Teich: „Es ist, als wäre sie von außerhalb ins Bild gewandert, hätte sich aus unserer Welt auf die Leinwand verirrt, nicht ihrer eigenen.“ Um an dieser Stelle nicht zu viel zu verraten, sei nur angemerkt, dass das Bild nicht nur die Verarbeitung des Todes ihrer Tochter visualisiert, sondern auch eine dunkle Vorahnung enthält, die ihr eigenes Leben betrifft.

Mehr als 300 Jahre später kopiert Ellie genau dieses Bild mit Präzision in einer vermüllten Wohnung, aus der der Geruch nach geschmolzenen Hasenhäuten, die sie zum Restaurieren benötigt, nicht mehr herausgeht. Smiths Beschreibungen zeugen von viel Fachwissen über die Kunst der Fälschung: Sorgsam analysiert seine Figur Ellie, wie das Bild entstand, doch ist sie dem Wissen ihrer Zeit ausgeliefert. „Die hellgelben Eissprengsel in den Schals der Eisläufer waren von merkwürdiger Beschaffenheit, und schließlich entschied sie sich dazu, Chromgelb mit ein paar Sandkörnern anzureichern.“ Das bis 1740 für hellgelb meist verwendete Bleizinngelb war zu der Zeit noch nicht wiederentdeckt worden. Doch um die Jahrtausendwende bringt dieses Detail die inzwischen an der Universität von Sydney lehrende Ellie in Bedrängnis.

Ein scharfer Kontrast zu diesen beiden unter Existenznöten leidenden Frauen sind in den 1950er-Jahren die wohlhabenden Marty de Groot und seine Frau Rachel. Diese langweilt sich so sehr auf ihren eigenen Dinnerparties, dass sie Miet-Beatniks aus einer Zeitungsanzeige bestellt, um den Abend aufzulockern. „Sämtl. Zubehör incl.: Bart, Sonnenbrille, alte Armeejacke, Jeans, löchriges Hemd, Turnschuhe oder Sandalen (wahlw.).“ Vermutlich passiert es auf genau dieser Party, dass jemand ein Foto von dem Gemälde macht und es Ellie zuspielt. Als Marty entdeckt, dass sein Bild durch eine Kopie ersetzt wurde, ist er im ersten Moment erleichtert, denn auf dem Werk liegt angeblich ein Fluch und keiner der Vorbesitzer wurde älter als 60 Jahre. Dennoch erlaubt es ihm allein sein Ego nicht, die Sache auf sich beruhen zu lassen; mithilfe eines Privatdetektivs kommt er Ellie schließlich auf die Schliche – und ihr mit einem Vorwand näher.

Die Zeitsprünge im Roman erzeugen eine enorme Spannung. Die Details aus den später spielenden Kapiteln werfen viele Fragen auf, insbesondere über die Beziehung zwischen Marty und Ellie und darüber, ob das zweite Landschaftsbild von Sara, das plötzlich auftaucht, echt sein kann. Wäre es das, würde es die gesamte Sara de Vos-Forschung verändern. Und wenn es doch eine Fälschung ist – wer hat sie gemalt?

Die drei Protagonisten sind durch das Kunstwerk Am Saum eines Waldes eng miteinander verbunden. Die mythische Andeutung des verfluchten Bildes wird glücklicherweise nicht über eine leichte Andeutung hinweg ausgearbeitet. Smiths Idee, die Perspektiven der Malerin, der fälschenden Kunstwissenschaftlerin und des Sammlers miteinander zu verflechten, überzeugt und zeigt spannende Facetten des künstlerischen Prozesses und des Kunstbetriebs sowohl in der jüngeren Vergangenheit als auch im 17. Jahrhundert in Holland. Der verdeutlicht ebenfalls, wie sich die Arbeit der Fälscherin, die mit streberhafter Präzision ans Werk geht, und der Künstlerin unterscheidet, die mit ihrer „Seele“ malt und auch Ideen wieder verwirft und übermalt. Dies kommt bei der Röntgenanalyse buchstäblich ans Licht.

Dennoch ist es nur oberflächlich gesehen ein Roman über Kunst. Mehr noch geht es gerade bei Marty und Ellie um das universelle Thema der Schuld und darum, wie mit Schuld zu leben ist. Der Roman wirft Fragen darüber auf, welche Schuld zumindest subjektiv schwerer wiegt, die juristisch definierte oder die eines psychischen Missbrauchs. Darüber zu urteilen, bleibt dem Leser überlassen. Smith entwirft lebendige und interessante Charaktere, denen man jedoch unterschiedlich nah kommt. Besonders Ellie und Sara überzeugen als starke Frauen, die sich in einer Welt die gegen sie zu sein scheint, durchsetzen müssen.

Das letzte Bild der Sara de Vos vermag durch seinen Plot und den Stil zu überzeugen, bewegt sich aber gerade am Ende leider manchmal ein wenig in Richtung Kitsch – worüber sich aber hinweglesen lässt. Das Kunstwerk als Bindeglied zwischen Sara, Marty und Ellie, denen es allen aus vollkommen unterschiedlichen Gründen wichtig ist, trägt den Roman. Das Buch ist im Übrigen auch sehr hochwertig und thematisch passend gestaltet, mit einem Einband, dessen Abbildung und Textur an eine Leinwand erinnern.

Titelbild

Dominic Smith: Das letzte Bild der Sara de Vos. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Roth.
Ullstein Verlag, Berlin 2017.
350 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783550081873

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