Geisträume und Geistfiguren

Stefan Moster übersetzt nicht nur „Gedankenstriche eines Augenblicks“, sondern liefert in 50 Gedichten einen Querschnitt durch das Werk des finnischen Lyrikers Jouni Inkala

Von Kai SammetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Sammet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ich in der Liste der noch nicht rezensierten Bücher von literaturkritik.de vom Autor Jouni Inkala und dessen Provenienz (Finnland) las, war ich angefixt (neue finnische Lyrik) und doch zugleich gewarnt: Der Gedankenstrich eines Augenblicks (das ist kein Gedichttitel von Inkala selbst, sondern die letzten drei Wörter aus dem Gedicht Kardinalzahlen), vom Übersetzer und Romancier Stefan Moster zum Titel dieser Auswahlsammlung erkoren, was er in seinem leider zu knappen Nachwort begründet, das klingt sehr nach Lürikk, denn: Genitive sind gefährlich. Man kann alles und nichts mit ihnen anstellen, man klemmt ein „des“ oder „der“ zwischen zwei Nomina und heraus kommt oft Kitsch, allzu forcierte Modernität, unverständliches Geschwurbel. Es sei schon jetzt gesagt, dass Inkala selten gedrechselte Genitive benutzt und seine Gedichte interessanter sind als der Titel des Bandes vermuten lässt.

Verständlich wird seine Lyrik im Kontrast. Wie ist sein Weltzugang? Nehmen wir zum Vergleich Derek Walcott. Ein Kern der Walcottʼschen Lyrik/Epik besteht in der Verwobenheit des anschauenden Ich in die sinnliche Anschauung, es ist, als badete Walcott in der Welt wie in warmer Luft. Inkalas Gedichte, sein Zugang, funktionieren anders: Er ist ebenso wie Walcott in der Welt, springt aber aus ihr heraus. Ein Grundzug seiner Lyrik wird im Gedicht Parzelle (aus dem Band Chemosynthese, 2011) deutlich: „Unlängst rechten wir die Beete in der Hoffnung auf/ vereinzelt Fingerdickes,/ auch wenn fast alles, was wir aus der Erde holten,/ munter fadendünn war.“ In der nächsten Strophe springt Inkala nicht nur in eine andere Szene („Jetzt höre ich einen russischen Sender“), sondern hinein in seinen eigenen Kopf; die konkrete Situation – wenn sie denn überhaupt das Absprungbrett eines Gedichts ist – löst etwas aus, das nicht immer als Perlschnur einer Assoziation erkennbar ist, etwas, das den Faden vom Konkreten weiterspinnt, um im Geistigen zu landen. Oft gibt es dabei Lücken, Sprünge, die das Verständnis erschweren, aber genuin zur Vorgehensweise Inkalas gehören. Er wechselt plötzlich in ein Bild, das man als Leser nicht erwartet wie zum Beispiel im Gedicht Seekarte: „Bei der Geburt des Kindes, bei der Geburt des Kindes – /falls dein Vater zuvor gestorben ist –/ nimmst du neue Fühlung auf// zu ihm, scheint es// Etwas regt sich in dir,/ Nacht und Tag suchen nach der Richtung, der kühnsten,/ und deine Hände halten das Ruder anders als zuvor.“ In diesem Gedicht wird ein anderer Grundzug der Lyrik Inkalas deutlich. Was hier als Metapher erscheinen könnte – die Änderung der Lebensrichtung durch die Geburt eines Kindes, das veränderte Halten des Ruders – kann auch konkret verstanden werden. Inkala ist dabei aber nicht konkretistisch, vielmehr hat er ein quasi religiöses Sprachverständnis. Er nähert Wort und Gegenstand aneinander an – das wird deutlich im Gedicht Vorstellung: „Angesichts der wesentlichen Dinge hüte dich vor Heuchelei// […] Angesichts der wesentlichen Dinge sind Eigennamen einzigartig/ die Wörter nicht beziehungsreich,// Orte und Daten unersetzlich.“

Das erinnert an die Sprachauffassung Walter Benjamins, in der Wörter ebenfalls keine konventionellen Benennungszeichen sind, sondern als Namen ontologisch-religiös aufgeladen. Worte sind nicht bloß Signifikanten, sondern anderes und mehr. Das kommt nicht von ungefähr. Inkala wurde 1966 als Sohn eines Pfarrers geboren. Das müsste ihn nicht dazu führen, zu glauben, dass Gott/Dichter die Dinge aus dem Wort erschafft, dennoch scheint er von der christlichen Tradition beeinflusst. Das zeigt sich zum einen an den Themen mancher Gedichte wie zum Beispiel Der dreizehnte Jünger. Oder am Gehalt einiger Gedichte, etwa wenn er in Im Wirbel eine religiös und mystisch konnotierte Lichtmetaphysik bemüht: „Wie spricht man das Licht richtig aus,/ da es so viel mehr ist/ als Licht?“ Diese beiden Komponenten: Ein- und Rückgang des Ichs in sich selbst und schwebend-mystische Aufladung mancher Inhalte machen Inkalas Lyrik zu Konstruktionen von Geistfiguren im geistigen Raum. Das macht seine Lyrik intim (dabei jedoch kaum psychologisierend), aber oft schwer nachvollziehbar. Insofern verkörpert Inkalas Lyrik eine spezifische, etwas spröde aber spannende Variante der Modernität.

Titelbild

Jouni Inkala: Der Gedankenstrich eines Augenblicks. Gedichte.
Übersetzt aus dem Finnischen übersetzt von Stefan Moster.
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2014.
80 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783884234730

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