Facebook lacht sich ins Fäustchen

Carolin Wiedemanns Kritik an der Kontrollgesellschaft zieht sich auf Katzenbilder zurück

Von Christophe FrickerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christophe Fricker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei wichtige Fragen leiten die Analysen in Carolin Wiedemanns Buch Kritische Kollektivität im Netz. Anonymus, Facebook und die Kraft der Affizierung in der Kontrollgesellschaft: „Was lässt sich als subversiv beschreiben gegenüber den Logiken der Kontrolle und Kommodifizierung“ im Internet und „Wie konstitutiert sich Kollektivität“, die dort subversiv auftritt, und zwar „jenseits eines Konzepts subjektiver Handlungsfähigkeit“?

Carolin Wiedemann weist zunächst jenen Technikoptimismus zurück, der davon ausging, dass Facebook und soziale Medien automatisch zu gesellschaftlicher Demokratisierung führen würden (was man bei Facebook wohl offenbar immer noch glaubt). Sie seien vielmehr „in historisch gewachsene Machtverhältnisse involviert“, die auf „Sichtbarkeit und Konkurrenz“ abzielten.

„Macht“ liest Wiedemann vor allem mit Michel Foucault und Gilles Deleuze, im Kern also zunächst als Ausweitung kapitalistischer Ideale von Erfassbarkeit, Verfügbarkeit und Planbarkeit, von Nützlichkeit und Produktivität auf „das gesamte Leben und Zusammenleben“, als ‚biopolitisches‘ Programm also.

Indem sie Social-Media-Plattformen als Machthaber kennzeichnet, muss Wiedemann die Trennung zwischen Mensch und Gerät in Frage stellen. Sie tut das sehr pointiert, indem sie Facebook als handlungsleitendes Regierungsprogramm auffasst. „Agency“ sei überhaupt sehr weit zu fassen und nicht auf menschliches Tun zu beschränken; „technische Artefakte und nicht-humane Gegebenheiten“ seien umgekehrt nicht nur als „stabile, unbewegte Randbedingungen oder Mittel zum Zweck humanen Handelns“ zu konzipieren, sondern als Set von ‚Aufrufen‘ zu einer bestimmten Art von Verhalten.

Das alles ist dem Heidegger-Leser wohlvertraut. Der kritische hat dann allerdings Fragen, die das vorliegende Buch nicht beantwortet – und auch gar nicht aufwirft: Wer sind die Menschen, die hinter der Machtmaschine Facebook stehen? Wer hat entschieden, Schaltflächen und Formulare so oder so anzulegen? Wer profitiert von den so in Gang gesetzten Mechanismen und Verhaltensweisen? Die Mächtigen bleiben in diesem Buch gesichtslos. Sie kommen überhaupt nicht vor. Einem dem eigenen Anspruch nach kritischen Werk fehlt es also zumindest an Neugier, wenn nicht sogar an Gerechtigkeitsempfinden – wer Machtheber nicht benennt, kann sie für ihr (Fehl-)Verhalten auch nicht belangen.

Dieses Verhalten wird nur vage in einigen wenigen Auswirkungen umrissen. Facebook wird zwar, wie in einer Unmenge kritischer Literatur zu diesem Netzwerk auch, als Bühne der Selbstvermarktung gekennzeichnet, auf der der Nutzer zum Promi, das Selbst zum Projekt und der Einzelne zum Manager seines Freundeskreises werden soll und wird. Die heimtückische Logik des Fragebogens hat aber Ernst Jünger in Der Waldgang (1951) schon detaillierter aufgedeckt; dass Facebook mehr ist als Profilbild und Like-Button ist vielerlei Analysen wert, wird im vorliegenden Buch aber gar nicht recht deutlich.

Und wer sind nun diese User? Wiedemann beginnt mit einem (freilich nur implizit formulierten) Vorwurf: Die meisten wirkten fröhlich an der eigenen Entmachtung durch die Konzerne und Netzwerke mit. Sie beugten sich der Logik der Kontrolle und ließen sich zum Unternehmer in eigener Sache machen. Warum sie das tun und ob nicht Unternehmergeist mehr ist als Nützlichkeitsstreben, fragt die Autorin nicht. Dabei ist die Art und Weise, wie eine Maschine oder ein Programm oder eine Plattform denjenigen belohnen, der wie sie denkt, tatsächlich bedenklich. Mihai Nadin führt diese Art von Untersuchung mit beachtlichem Nachdruck.

Um den einzelnen Nutzer geht es der Autorin nicht, sondern um Kollektivität, genauer gesagt um „dezentrale Kollektivität […] jenseits von Repräsentation“. Wiedemann untersucht Anonymous als Beispiel für eine Erscheinungsform einer solchen Kollektivität, als Mischform aus Netzwerk, Schwarm und „Multitude“ (Paolo Virno), und 4chan als „the entanglement of the operative, infrastructural, and symbolic mediators“. Die Wirkungsweise dieser Plattform bringt sie mit dieser Formulierung präzise auf den Punkt.

Nun wird es spannend – wie subversiv sind die Nutzerkollektive hier, beziehungsweise auf welche Art und Weise sind sie subversiv? Wiedemann wischt gleich eingangs eine Form der subversiven Aktion beiseite, die der politisch interessierte Leser vielleicht im Sinn hat, nämlich den „Kampf gegen Diktatoren“. Subversiv sei nicht eine solche Form der Betätigung, sondern schon allein „eine Art von Kollektivität jenseits von Identitätslogiken“.

Die darauf aufbauenden Darlegungen sind problematisch. Denn man mag zwar – deskriptiv – konstatieren, dass nicht alle 4chan-Nutzer am Kampf gegen Diktatoren interessiert sind; viele genießen einfach die rassistischen, homophoben, sexistischen oder gewalttätigen Inhalte, die sie dort finden (und die die Autorin in zwei verschämten Nebenbemerkungen konzediert). Und man mag auch, vielleicht wiederum mit Heidegger, normativ feststellen, dass das in Ordnung ist. Wirklich gefährlich ist aber die von der Autorin vertretene Linie, die eine oder andere Betätigung nicht als Ergebnis einer Entscheidung gelten zu lassen und gleichzeitig zu dekretieren, dass es Menschen, die eine solche Entscheidung treffen könnten, ‚auf‘ 4chan nicht gebe oder geben dürfe oder müsse (konstative und normative Elemente sind in den entsprechenden Passagen nicht klar zu trennen).

Im Einzelnen: Es sei, stellt Wiedemann erleichtert fest, in ihrer Analyse „möglich, auf ein gegebenes, handlungsfähiges Subjekt zu verzichten“, da das Ich ohnehin „ein Phänomen ist, das nur durch bestimmte Apparate hervorgebracht wird“ [Hervorhebung durch CF]. Dass diese radikale Formulierung keine Nachlässigkeit ist, zeigt auch die ebenfalls atemberaubende Gleichsetzung von ‚post-positivistischen‘ und ‚post-anthropozentrischen‘ analytischen Methoden, denen die Autorin das Wort redet.

Im Rahmen einer solchen als entmenschlicht entworfenen Form der Kollektivität ist für Wiedemann – in Anlehnung an, aber ohne expliziten Hinweis auf Heideggers Denken des ‚Anfangs‘ und des ‚Ereignisses‘ – das Subversive zu definieren als „das Unberechenbare, das Ereignishafte“ und etwas konkreter als „Formen von Kooperation, die auf der Möglichkeit des spontanen, anonymen Austauschs im Netz basieren“. Hier erwartet der Leser sicher eine Analyse des Darknets und der verschiedenen Formen und Inhalte des Austauschs, die dort vonstattengehen. Die Autorin beschränkt sich auf „spontaneous, unplanned cat postings“ und ihre Verbreitung, statt den Kampf gegen Diktatoren oder die Versorgung von Diktatoren mit Waffen zu thematisieren. Subversiv sei das auch, weil „the individual is transformed“ – ein großes Wort.

An die Stelle der politischen Aktion treten in dieser Welt „Momente emergenter Solidarität“, die von Wiedemann mit hohem theoretischem Aufwand gefeiert werden. Es geht in diesem Konzept des Subversiven nicht um gesellschaftliche Veränderung, sondern um eine Form des Begehrens, und dieses ist „immanent nomadologisch organisiert“ und steht damit „jedem homogenisierenden und hierarchisierenden Effekt“ entgegen. Heißt: Wenn’s um etwas geht, stiehlt sich das Subjekt aus der Verantwortung.

Die ideologische Agenda vermeintlich offener Plattformen, die den anonymen Austausch ermöglichen, bleibt dabei unhinterfragt. Insofern handelt es sich um ein recht eigenartiges Buch, das den Eindruck hinterlässt, dass es seinen eigenen Untersuchungsgegenstand systematisch ausblendet. Wenn ein Buch „kritisch“ ist oder Kritisches analysiert, ohne Kritiker als handlungsfähig ernst zu nehmen, wird denen, die kritikwürdig sind, das Feld überlassen. Facebook-Manager werden sich ins Fäustchen lachen.

Titelbild

Carolin Wiedemann: Kritische Kollektivität im Netz. Anonymus, Facebook und die Kraft der Affizierung in der Kontrollgesellschaft.
Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
260 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783837634037

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