Lutherstadt Wittenberg

Ein historischer Schauplatz der Reformation und seine Rezeption im Preußen des 19. Jahrhunderts. Insa Christiane Hennen nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch die Stadt

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pünktlich zum Reformationsjahr ist auch ein Kunstführer durch die Stadt Wittenberg erschienen, dessen Autorin für das Forschungsprojekt „Das ernestinische Wittenberg 1486–1547“ der Stiftung Leucorea Wittenberg tätig, und somit eine ausgewiesene Kennerin ist.

Sie erzählt die Geschichte der Stadt Wittenberg anhand der Lebens- und Gedächtnisorte wichtiger Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts. Diese Zeitschicht wird im Weiteren überlagert von Bauten und Innenausstattungen, die in Preußen im 19. Jahrhundert mit dem Ziel einer Interpretation und Inszenierung dieser Orte als Mittel nationaler Selbstvergewisserung entstanden. Die in Wittenberg. Schauplatz der Reformation vorgenommene Unterscheidung dieser beiden Sinnschichten bildet die Grundlage zum Verständnis der historischen Topografie Wittenbergs.

Nach einem Überblick über die Wittenbergische Stadtgeschichte erläutert Hennen den Stadtgrundriss. Es handelt sich um eine ganz regelmäßig angelegte Siedlung aus vier Stadtvierteln mit Marktplatz und Stadtkirche im Zentrum sowie Schloss und Schlosskirche an der Peripherie, die wegen ihrer Bedeutung als Handelsplatz und Residenz von Befestigungsanlagen umgeben wurde und an einem Nebenarm der Elbe liegt.

Danach schließt sich ein Rundgang durch die historische Altstadt an, deren wichtigste Baudenkmäler in ihrer historischen Entwicklung vorgestellt werden. Dazu zählen unter anderem neben dem Schloss und der Schlosskirche als bekannten Baudenkmälern Luthers Wohnhaus (dessen Ausstattungen im 19. Jahrhundert in besonderer Weise durch den nationalen Lutherkult überformt wurden), das Melanchthonhaus sowie die Stadthöfe der Renaissance, namentlich der Beyerhof und die Cranachhöfe.

Interessant ist besonders die ab cirka 1530 vorgenommene Verlegung des Hauptfriedhofs der Stadt von der Pfarrkirche St. Marien zum Friedhof des Heiligkreuzspitals, weil sie unter anderem eine Änderung der städtischen  Gedächtniskultur zur Folge hatte und es im Zuge der Reformation zu einer Blüte der Memorialkultur durch bedeutende gemalte und steinerne Epitaphien an den Kirchenwänden kam. Auch das ebenfalls künstlerisch herausragende bronzene Taufbecken der Stadtpfarrkirche, ein Werk der Vischer-Werkstatt, wird ausführlich in seinem Sinngehalt erläutert.

Selbstverständlich wird auch die Geschichte der Wittenberger Universität vorgestellt, deren Ruhm sich lutherischen Theologen und Humanisten verdankte, aber durch die Ausprägung der lutherischen Orthodoxie in späterer Zeit zur Abwanderung reformorientierter Akademiker an andere Universitätsstandorte führte. Ihrer Traditionspflege hat sich in heutiger Zeit die Stiftung Leucorea verschrieben.

Auch von der einstmals bedeutenden Buchdruckertradition der Stadt hat sich bis auf das in Privatbesitz befindliche ehemalige Haus des Verlegers Samuel Selfisch, Am Markt 3, und Reste des Kellers des Hauses von Hans Luft in einer Tiefgarage am Arsenalplatz leider nichts erhalten.

Die weniger leuchtenden Kapitel der Stadtgeschichte werden in diesem kleinen Stadtführer ebenfalls nicht übergangen: die Zerstörungen im Schmalkaldischen Krieg, während des Siebenjährigen Krieges und der Befreiungskriege sowie der Ausbau Wittenbergs zu DDR-Zeiten als Chemiestandort und der seinerzeit beabsichtigte Flächenabriss des nördlich gelegenen Stadtviertels.

Ausflugstipps zu nahegelegenen Schlössern und Kirchen mit interessanter Architektur und Ausstattung runden die sehr lesenswerten Ausführungen von Insa Christiane Hennen ab.

Titelbild

Insa Christiane Hennen: Wittenberg. Schauplatz der Reformation.
Deutscher Kunstverlag, München 2017.
88 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783422024373

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