Auf Umwegen

Fabian Hischmanns „Das Umgehen der Orte“ erzählt von Beziehungen in Schieflage

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wäre Fabian Hischmanns zweiter Roman Das Umgehen der Orte Gegenstand eines universitären Seminars – möglicherweise zum Thema „Das Literaturinstitut Leipzig und seine Autoren“ – würde man erstmal einen Zeitstrahl anlegen, um herauszufinden, was hier eigentlich wann und unter wessen Beteiligung geschieht. Es tauchen nämlich eine ganze Reihe von Figuren an vielen verschiedenen Orten auf und auch die erzählten Zeitebenen liegen im Damals, im Heute und in der Zukunft. Die einzelnen Episoden, die dabei zwischen den unterschiedlichen Ebenen der Geschichten entstehen, sind durch die Struktur des Textes zwar klar voneinander getrennt, doch wenn man nicht sehr genau aufpasst, ist man spätestens am Ende des Romans genauso verloren wie der Sänger Nick Cave, der noch ein letztes „Mayday“ absetzt, bevor sein Boot aufs Meer hinaustreibt und das finale, rätselhafte Kapitel des Romans abgeschlossen ist.

Zu Beginn scheint alles weit weniger kryptisch: kurze prägnante Sätze und ein klarer, ja fast schon analytischer Blick auf das Geschehen und das Straucheln der Figuren. Zunächst, es ist das Jahr 2004, geht es um Lisa, eine gerade volljährig gewordene junge Frau, die dem Leser aus zwei Gründen in Erinnerung bleibt: Lisa hat kein Kälteempfinden und friert daher nicht, egal wie frostig es auch sein mag. Zudem muss sie den Selbstmord ihres Vaters verwinden – Lisa selbst war es die ihn fand: stranguliert und nackt auf der Toilette. Als nebenan neue Nachbarn einziehen, gibt es in Lisas Leben plötzlich Anne, die in Vielem ihr Gegenteil ist. Der Text lässt nur vermuten, ob Lisa so sein möchte wie Anne oder ob sie in Anne verliebt ist – oder warum eigentlich nicht beides? Die Beziehung zwischen den Schülerinnen ist jedoch nur eine der zwischenmenschlichen Verkettungen im Roman, die sich beinahe alle dadurch auszeichnen, dass es sie nur in Schieflage gibt und dass immer einer mehr oder etwas anderes will als sein Gegenüber. So sind Hischmanns Protagonisten dauerhaft auf der Suche, auf Reisen oder gerade dabei, etwas Neues zu beginnen, jemanden zu verlassen oder aus dem Ersehnten Kunst zu machen, sei es in Form von Fotos, Literatur oder Filmen.

Das Umgehen der Orte ist ein Coming-of-Age Roman, bei dem aus dem Werden nichts wird, der seine Figuren ein stückweit begleitet, sie dann aber auch wieder verlässt, da es den großen Rahmen, der all ihre Schicksale miteinander verbinden könnte oder gar Wege und Perspektiven aufzeigt, einfach nicht gibt. Suchen muss man wohl selbst.

Titelbild

Fabian Hischmann: Das Umgehen der Orte. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2016.
208 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783827012920

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