Romantische Schafe und wohlschmeckende Brennnesseln

Zwei neue, sehr gelungene Bände sind in der Reihe „Naturkunden“ erschienen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Buch über Schafe, und es beginnt mit dem Jäger, dem Wolf und den Hunden – wie passend: Der Schäfer „wollte mir zeigen, wie das funktioniert mit seinen Hütehunden und den neuen Herdenschutzhunden, die er sich angeschafft hatte, weil auch für ihn die sorglose wolffreie Zeit abgelaufen war.“ Eckhard Fuhr, der das schreibt, ist passionierter Jäger, und interessiert sich nicht nur für die Wölfe, die jetzt wieder in Deutschland leben, sondern auch – weil die Wölfe eben fressen, was sie können – für die Schafe. Und für die Schäfer, die mit ihren Tieren leben und arbeiten und „̦atmenʻ mit den Schafen im Rhythmus der Jahreszeiten“.

Angefangen hat seine „Reise zu den Schafen“ aber in der Alten Nationalgalerie in Berlin bei Caspar David Friedrich – der eher Krähen, Schwäne oder Eulen gemalt hat. Nur in seinem Bild „Der einsame Baum“ wimmelt es geradezu von Schafen. 1822 hat er es gemalt, 24 Schafe sind zu sehen, ein Schäfer, eine weite flache Landschaft und eben der titelgebende Baum, eine alte, schwer ramponierte Eiche mit kahler gebrochener Spitze und frischen, grünen Ästen.

In einem hinreißend geschriebenen Buch, stringent und konzis und in einem wunderbaren Plauderton, der sich nie anbiedert, sondern streng bei den atmosphärisch präsentierten Fakten bleibt, schreibt Eckhard Fuhr über die Schafe. Über die Kulturgeschichte, die weit in alle Religionen hineinreicht, in das Alte Testament, in die Opferreligionen der alten Zeiten, die das Schaf und das Lamm als Symbol benutzten – das Lamm Gottes ist wohl hierzulande am bekanntesten. Die griechische Mythologie kennt die Argonauten und das Goldene Vlies. In der neolithischen Revolution, als der Mensch sesshaft wurde, war das Schaf wichtig, sowie natürlich bei der Umgestaltung und Umwidmung der Nutzflächen während der industriellen Revolution. Was hat es nicht alles zu bieten: Wolle, Milch, Fleisch und Dünger. Im Mittelalter war es von Bedeutung, weil es die Dreifelderwirtschaft vorangebracht hat: Durch die Beweidung mit Schafen wurden die abgeernteten Felder gedüngt. Andererseits haben Schafe auch Ackerland zerstört, weshalb der Humanist Thomas Morus von „menschenfressenden Schafen“ sprach und Karl Marx an der englischen Schafwirtschaft seine These von der „ursprünglichen Akkumulation“ erläutern konnte: Die Bauern wurden von ihrem zu Weideflächen umgewidmeten Land vertrieben und so zur „Masse vogelfreier Proletarier“. So vertrieben im schottischen Hochland Gutsherren die ansässigen Bauern, um Platz für die Herden zu schaffen, was als „Highland Clearances“ in Erinnerung geblieben ist. Und die Bauern metzelten zehntausende Tiere. Bei Schafen sieht man sehr deutlich, welche Rolle die Wanderweidewirtschaft gespielt hat, in der der Hirte mit seiner Herde auf manchmal hunderte Kilometer langen Wanderwegen, den Triften, zwischen Winter- und Sommerweide pendelte, auch das ist schon bis in Ötzis Zeiten zurück nachweisbar.

Fuhr streift sehr kenntnisreich alle Gebiete, in denen es um Schafe geht. Er beschäftigt sich mit dem Klonschaf Dolly, liest den Schäferroman, sagt etwas über die Schäferstündchen und die Ökolandwirtschaft, die sich des Schafs wieder neu angenommen hat.

Ein anderer neuer Band in der schönen Reihe „Naturkunden“, von Judith Schalansky herausgegeben, widmet sich den Brennnesseln, liebevoll und ebenso kenntnisreich, obwohl der Autor kein Biologe, sondern Literaturprofessor ist – daneben allerdings auch Kräuterexperte: Ludwig Fischer. Natürlich ist dieses Buch brennnesselgrün eingebunden und hübsch illustriert mit Zeichnungen, Bildern und Stichen.

Brennnesseln sind sehr widerstandsfähig. Sie wachsen im Schatten und in der Sonne, auf praktisch jedem Boden. Und eine einzige weibliche Nesselstaude kann pro Jahr zigtausende Samen erzeugen. Davon ernähren sich die Raupen, die sich im Frühling als bunte Schmetterlinge entpuppen. Brennnesseln schmecken nicht nur gut, sie brennen auch. Als „Nesselhemd“ ist diese Eigenschaft noch heute in der Literatur bekannt: Jeanne d’Arc musste es anziehen, als sie verbrannt wurde, bei Hans Christian Andersen werden elf Prinzen, in Schwäne verwandelt, gerettet, weil ihre Schwester jedem Bruder ein selbst gewobenes Nesselhemd überwirft. Große Blasen an den Händen und blutige Füße trug sie davon. Stimmt natürlich so alles nicht, Fischer klärt auch darüber auf.

Ebenso geht er auf germanische Legenden und römische Mythen ein, listet Bauernregeln auf sowie Sprichwörter, nennt die Etymologie, zitiert Bibelstellen, Gedichte und Poesiealbenprosa. Und weist dem Dramatiker Heiner Müller nach, dass er das Nesselhemd mit dem Nessushemd verwechselte.

Bekannt ist inzwischen aber ebenfalls wieder, dass die Pflanze auch heilende Wirkung hat: sie kann verspannte Muskeln lösen, Gicht und Rheuma lindern oder schmerzende Gelenke befreien. Und Fischer selbst isst ständig Brennnesselsamen, sie, meint er, seien dem teuren Ginseng gleichwertig. Brennnesseljauche hilft gegen Pflanzenschädlinge, Pferde bekommen ein glänzendes Fell, wenn man ihnen Brennnesseln unters Heu gibt.

Und schmecken tun sie auch gut: In Fischers Buch stehen Rezepte für eine Brennnesselsuppe, Gebackene Brennnesselblätter im Teigmantel oder Austernpilz-Brennnessel-Omelette. Aus eigener Erfahrung kann der Rezensent noch Brennnesselrisotto hinzufügen.

Titelbild

Ludwig Fischer: Brennnesseln. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
168 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783957574077

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Eckhard Fuhr: Schafe. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
136 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783957573995

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