Wer hat dich, du schöner Wald…

Johannes Zechners Ideengeschichte des deutschen Waldes: von „Waldeinsamkeit“ bis „Hitlereiche“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich beginnt alles mit Gaius Julius Cäsar. In seinem De bello Gallico schildert er um 50 v. Chr. die nahezu undurchdringlichen, weiten Wälder Germaniens. Der zivilisierten (und dekadenten) Gesellschaft Roms berichtet er von den ach so kriegerischen und tapferen Germanenstämmen und ihrem ausgedehnten „Hercynischen Wald“. Auch Tacitus schreibt knapp 150 Jahre später von „grauenerregenden“ Wäldern und von „heiligen Hainen“.

Diese – behauptete – Waldherkunft der Germanen sollte sich in der Folge als „ideengeschichtlich folgenschwer“ erweisen, wie Johannes Zechner in seinem Buch Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte konzise nachweist. Ihm geht es darum, die Benutzung (oder den Missbrauch) des deutschen Walds als „Projektionsfläche für kulturelle und politische Auffassungen“ nachzuzeichnen, wie sie mit Cäsar ihren Ausgang nahm und im Dritten Reich ihren Höhepunkt erreichte.

Zechner geht den Entwicklungen auf den Grund, die aus zunächst romantisierenden, patriotischen und nationalen Bedeutungszuschreibungen schließlich nationalistische, rassistische und sogar antisemitische Argumentationsmuster machten. Dem vorliegenden Buch liegt die Dissertation des Autors zugrunde. Ein umfangreicher Anhang, bestehend aus 100 Seiten Anmerkungsapparat gefolgt von weiteren 100 Seiten Literaturverzeichnis, zeugt vom wissenschaftlichen Anspruch der Arbeit. Schon die Fülle der verwendeten Primärliteratur, die mit Ernst Moritz Arndts Ansichten und Aussichten beginnt und mit Büchern wie Eduard Zentgrafs Wald und Volk (1923) noch kein Ende hat, zeugt von der Bedeutung der Waldideen und -ideologien. Romantisches, Völkisches und Rassistisches aus 150 Jahren silvaner Ideengeschichte hat Zechner für sein Buch gelesen, ausgewertet und eingeordnet – eine Herkulesaufgabe.

Bei der Menge an Quellenmaterial ist erfreulich, dass dennoch ein übersichtliches und nicht überfrachtetes und zudem – was bei einer überarbeiteten Dissertation nicht selbstverständlich ist – gut lesbares Buch entstanden ist.

Zechner geht chronologisch vor. Zunächst widmet er sich der Ideengeschichte von der Romantik bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Untersuchung nimmt ihren Anlauf mit Ludwig Tiecks Wortschöpfung „Waldeinsamkeit“ (1796 im Kunstmärchen Der blonde Eckbert). Bei Tieck ist die Waldlandschaft „emotionale Projektionsfläche“ und „sensualistischer Referenzraum“ für Stimmungen und Bedürfnisse, der Wald ist Gegenwelt zu den Reglements des Alltags und den Bedingungen des Stadtlebens. Die „Waldeinsamkeit“ ist bereits zu Tiecks Zeit ein trügerisches Idyll; Zechner weist sie als „erste literarische Gegenreaktion auf die forstliche Modernisierung“ aus.

Das naiv-emotionale Waldidyll ist nur eine Facette von Josef von Eichendorffs Gedichten. Zechner führt vor Augen, dass Eichendorff in den Zeiten der antinapoleonischen Kriege durchaus Texte mit politischem und sogar militärischem Gehalt verfasst, in denen er Wald und „deutsche Eiche“ als Kontrastbild zur gesellschaftlichen Realität inszeniert.

Einen nationalen Charakter zeigen Ernst Moritz Arndts Wälder. Weg vom romantischen Bild unberührter Natur, favorisiert dieser den ertragreichen Nutzforst. Das steht zwar im Kontrast zum unberührten Vergangenheitswald, der den Brüdern Grimm als Naturideal vorschwebt, jedoch besteht eine gemeinsame Auffassung vom deutschen Wald als Symbol kollektiver, (germanisch-)deutscher Identität.

An dieses Ideenkonstrukt knüpft Wilhelm Heinrich Riehl an, erweitert es jedoch zu einem Gegenbild zum „naturfernen Anderen“. Jenes Andere macht er sowohl innerhalb der modernen Gesellschaft aus als auch bei den europäischen Nachbarn.

Bei den „Walddichtern und Walddenkern“ wilhelminischer und Weimarer Zeit können – ebenso wenig wie für die Zeit des Nationalsozialismus – keine einzelnen Vordenker ausgemacht werden. Zechner sieht hier „epigonale Figuren“ ohne innovative Gedanken am Werk. Er attestiert eine Verschiebung von der „Silvapoesie zur Silvapolitik“, oft aus einem akademisch gebildeten Umfeld heraus formuliert. Die silvapolitischen Grundlagen, die im beginnenden 20. Jahrhundert manifest werden, ermöglichen den Nationalsozialisten eine weltanschauliche Instrumentalisierung des „deutschen Waldes“. So wird das ‚deutsche Volk‘ als „Waldvolk“ verklärt und dem slawischen „Steppenvolk“ wie auch dem jüdischen „Wüstenvolk“ als rassisch überlegen dargestellt.

Zechner zeichnet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Waldvorstellungen und -ideale detailliert nach und ermöglicht so eine gute Übersichtsdarstellung der silvapoetischen Strömungen. Wohltuend bei der Lektüre ist, dass die zunehmend eichenlaubstrotzenden und nationalistischen Entwicklungen von kurzen zeitgenössische Gegenstimmen (von Hoffmann von Fallersleben, Heinrich Heine, Georg Herwegh, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht und Günter Eich) unterbrochen werden, die jedem der neun Kapitel vorausgestellt sind.

Titelbild

Johannes Zechner: Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte zwischen Poesie und Ideologie 1800-1945.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2016.
447 Seiten, 69,95 EUR.
ISBN-13: 9783805349802

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