Das schöne Stadium der Gleichzeitigkeit

Westdeutsches von Jochen Schimmang

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jahrzehntelang hat Martin Taubert die Staatsgrenze West im niederrheinischen Granderath bewacht. Jetzt ist er 90 und hat „weitgehend jenes schöne Stadium der Gleichzeitigkeit erreicht, das auch ich anstrebe“, beobachtet Korff – offensichtlich seien die „Grenzen zwischen den Stationen der eigenen Lebensgeschichte“ in Martins Alter weitgehend aufgehoben. „Mit Senilität oder gar Demenz hat das nichts zu tun“. Gregor Korff, den Ich-Erzähler von Altes Zollhaus, Staatsgrenze West, kennt man aus Jochen Schimmangs vielgelobtem Roman Das Beste, was wir hatten (2009). In den 1980er-Jahren war er als Politikberater in Bonn tätig. Nachdem die Sache mit der auf ihn angesetzten DDR-Spionin Sonja aufgeflogen war, musste Korff gehen. Doch wohin? Nicht nur, weil ihm ein Thriller mit dem Titel „Das Sonja-Komplott“ eine Menge Geld eingebracht hatte, entschloss sich der im Umfeld der APO-Linken politisch sozialisierte „Nomade“ mit lebenslangem Faible für alles Französische und inniger Liebe zum belgischen Ostende, „meiner spröden, verhärmten Geliebten unter den Städten“, in das Haus an der deutsch-niederländischen Grenze zu ziehen, in dem Martin Taubert jahrzehntelang gearbeitet hatte. Das war vor gut zehn Jahren, und Korff hat lange gebraucht, bis ihn die Granderather als „alten Spinner vom Zollhaus“ akzeptierten. Dort lebt er jetzt.

In dieser scheinbar abgeschiedenen Rand-Welt geschieht einiges: Neuer Schwung kommt in Korffs Alltag, neue Menschen beleben ihn. In seinem früheren Leben aber geschah noch mehr. Schönes Stadium der Gleichzeitigkeit! Vieles von dem, was Jochen Schimmangs liebenswertes Generationenporträt in unaufgeregter, wohltemperierter, angenehm lesbarer Prosa fast beiläufig und manchmal sehr komisch zur Sprache bringt, hat mit Grenzen zu tun: mit den Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, mit denen zwischen Realität und Traum, mit den Grenzen des Vertrauens in andere Personen oder mit den Staatsgrenzen vor und nach 1989/90. Auch mit der Grenze zwischen Leben und Tod – hier hat der legendäre Kinks-Song Days seinen Platz. Thank you, Mr. Schimmang! Um andere Poplegenden geht es auch, um Literatur ebenfalls, ums Kino und ums Reisen. Man würde gerne weiterlesen, über die 189 Seiten hinaus.

Titelbild

Jochen Schimmang: Altes Zollhaus, Staatsgrenze West. Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2017.
192 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783960540359

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