Flotter Dreier mit Hündin gefällig?

Bodo Kirchhoff stellt sich eine Kreuzfahrt in die Karibik vor

Von Thomas SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Motto von Bodo Kirchhoffs Buch Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt dient eine Warnung aus Franz Kafkas Erzählung Ein Landarzt: „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen“. Heute klingelt ein Soundbite, um zu verkünden, dass eine neue E-Mail eingetroffen ist. Es stellt sich heraus, dass es bei Bodo Kirchhoff eine veritable Schiffsglocke ist, die eine „Einladung zu einer zweiwöchigen Kreuzfahrt durch die Karibik“ annonciert, bei „freier Verpflegung sowie freien Getränken an jeder Bar“. Da hat der Held seiner Erzählung, offenbar ein alkoholsüchtiger Schriftsteller, schon angebissen. Trotz der aus Film und Fernsehen bekannten Beispiele kann er sich ausrechnen, dass es unwahrscheinlich ist, bei einem spektakulären Schiffsuntergang zugrunde zu gehen. Im Gegenzug möchte ihn Susanne Faber-Eschenbach, die Vertreterin der Reederei Arkadia, an Bord zur Primetime gerne für einige Lesungen verpflichten. Gleißend öffnet sich ihm die Pforte zur Kathedrale des gehobenen Vergnügens schlechthin, dem Kreuzfahrtschiff.

Der Autor darf sich geschmeichelt fühlen, denn Frau Faber-Eschenbach weist sich als Kennerin seines Werks aus. Bei einer Recherche im Netz findet er heraus, dass sie offensichtlich in sein optisches Beuteschema passt, mehr noch: Sie ist „ohne die Fesseln einer Familie“ unterwegs. Teil ihres Pakets ist das Angebot, dass der Autor auf die Reise auch eine Begleitperson mitbringen dürfe. Die Ehefrau des Autors ist vor fünf Jahren „eigene Wege gegangen“, kommt also nicht in Frage. Seine E-Mail, mit der er in einer mehr als hundertseitigen Antwort im Rausch des Schreibens auf die Offerte eingeht, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Er komme mit, wenn Susanne Faber-Eschenbach bereit sei, sich abends in seine Lesungen zu setzen – als „einzige nicht verirrte Zuhörerin“.

Warum sollte man ein solches Angebot annehmen? Bestimmt nicht wegen des Publikums. Touristen auf Kreuzfahrt beurteilt der angesprochene Autor als Leute, die das Bedürfnis antreibt, „unter Gleichen zu sein, durch eine hohe Bordwand und das weite Meer geschützt vor all denen, die andere Sitten und Gebräuche haben“. Der Schriftsteller, um den es hier geht, mag andere Motive haben. Er liest gewöhnlich vor etwa 40 Interessierten in Städten wie Gütersloh, Lüneburg oder in einer kleinen Eifel-Gemeinde. Daraus ergibt sich die Frage, ob er es sich leisten kann, ein solches Angebot auszuschlagen. Was den Schriftsteller pikiert, ist die Tatsache, dass er an Bord gegen die Veranstaltungen zweier Schriftstellerkollegen konkurrieren müsste, die er als niveaulos herabwürdigt, während er sich selbst auf einsamem Höhenkamm mit Franz Kafka und Rainer Maria Rilke wandelnd wähnt. Irritiert registriert er, dass er im Vertragsanhang als „Lieferant“ klassifiziert wird und seine literarischen Ergüsse auf eine Ebene mit dem „Biervorrat“ an Bord gestellt werden. Vordringlich ist für ihn die Frage, ob sein Honorar kompetitiv ist im Vergleich mit der Summe, die seine Künstlerkollegen kassieren.

An Bord eines Kreuzfahrtschiffes gelten andere Gesetze als an Land. Das muss der eingeladene Autor einem seitenlangen Anhang entnehmen. Da der Mensch nur dort ganz bei sich ist, wo er spielt, gibt es an Bord einen „Bauchplatscherwettbewerb“. Besorgt fragt sich der Gastkünstler in spe, ob er etwa auch zur „Mitwirkung aufgerufen“ sei, wenn beispielsweise bei der Crew-Revue die Maschinisten in weißen Röckchen Ballett tanzen. Sein kritisches Interesse gilt dem Schiff der Kreuzfahrtbranche als „schwimmendem Goldesel“. Die Reederei segelt unter Billigflaggen, um sich den Steuerbehörden zu entziehen. Sie speist die Besatzung mit Bagatelllöhnen ab. Die Mitarbeiterin in der Wäscherei erhält 700 Dollar im Monat bei 60 Stunden Wochenarbeitszeit. Der Barkellner kommt auf 1000 Dollar, brutto wohlgemerkt. Der Autor stellt sich vor, dass solche Kellner aussehen wie „indische Filmprinzen“, und kommt der Realität damit aus einem einfachen Grund recht nahe: Das durchschnittliche Monatseinkommen in Indien liegt bei rund 120 Dollar.

Vertragsbestandteil ist ein „Schiffsmanifest“. Konsterniert bekennt der Schriftsteller, dass er nur das Kommunistische Manifest kenne. In der Rubrik „Angaben zur Person“ verlangt man von ihm unter anderem eine vollständige Auflistung aller Ehrungen und Preise. Das wirft beim Rezensenten die Frage auf, wie mit etwaigen Preisen aus der Zeit zu verfahren sei, in der seine Prosa womöglich noch von Marx und Engels inspiriert war. Der Autor setzt sich durch unvorsichtige Äußerungen dem Verdacht aus, er könnte sich als Quertreiber entpuppen, der bereit wäre, „mit Teilen der unterbezahlten Besatzung eine Meuterei anzuzetteln“. In vorauseilendem Gehorsam distanziert er sich. An das „Paradies auf Erden“, das „kommunistische Regime ihren Völkern“ versprechen, so versichert er, könne doch nur glauben, wer „von Dummheit“ geschlagen sei. Politische Umtriebe sind von diesem Schriftsteller nicht zu erwarten.

Seine Funktion wird im Vertrag als „Edutainer“ umrissen, doch während die Unterhaltung grenzenlos sein darf, wird er in Erziehungsfragen auf den Mittelweg verpflichtet. Er muss sich „Absoluten Verboten“ fügen, die weder „entschieden moralische noch unmoralische Äußerungen“ gestatten. Das bringt ihn in eine Zwickmühle. Um seinen Wert zu erhöhen, verfolgt er die Strategie, sich im Medienrummel als Enfant terrible zu inszenieren. Der Autor kommt aus diesem Grund in seiner Mail an Susanne Faber-Eschenbach immer wieder auf eine Talkshow im Fernsehen zu sprechen, eine Gesprächsrunde zum Thema „Sprache und Sexualität“, an der er teilnehmen durfte. In dieser habe er das „weibliche Organ“ als „Kuckucksuhr“ bezeichnet! Sein Werk bringt er auf die prägnante Formel: „meine Bücher sind sexuell“. Offenbar wird dort das betreffende Organ im richtigen Moment auch mit seinem vulgären Namen genannt, eine Instruktion zur richtigen Benutzung desselben inklusive. Die Texte, die er auf dem Schiff vorlesen möchte, muss er jedoch in Zusammenfassung (500 Zeichen) einer Zensurbehörde vorlegen. Das birgt Konfliktstoff.

Wer geglaubt hat, bei einem Kreuzfahrtschiff handle es sich um eine schwimmende Insel der Venus, wird bei Kirchhoff eines Besseren belehrt. Verboten sind nicht nur das Mitführen von Tieren, sondern auch erotische Avancen aller Art. Dem eingeladenen Schriftsteller wird im Kleingedruckten praktisch untersagt, „alleinreisende Damen“ oder Zimmermädchen zu verführen. „Verbot eins“ lautet, dass „im öffentlichen Bereich“ alle „Liebesbezeugungen“ gegenüber „Crewmitgliedern und zahlenden Gästen wie auch Begleitpersonen und dem Besatzungspersonal grundsätzlich nicht gestattet“ seien. Dabei stellt sich der Autor vor, dass er „die ideale Person für eine Bordaffäre“ wäre, die jedoch „unter die absoluten Verbote“ fiele! In seiner Not denkt er laut darüber nach, ob er nicht die „Dienste eines Escortservice“ in Anspruch nehmen sollte, wenn es um die Wahl einer Begleitperson geht.

Seine eingangs bereits erwähnte Zusage knüpft der Schriftsteller an zwei Bedingungen. Andere Leute bringen aus einer Ehe vielleicht Kinder mit, er aber hat nur eine „Hündin behalten“, die ihn „in jedem Fall begleiten“ müsse, und eben die geliebte „Person, für die es sich lohnte, etwas zu sagen“. Wenn es darauf ankommt, kann der Autor wirklich sehr direkt sein. Das geht aus seinen Ausführungen über eine erotische Begegnung hervor, die sich seinen Angaben zufolge in der entlegenen Ortschaft eines deutschen Mittelgebirges abgespielt hat. Als dort eine feurige Verehrerin bei einer Lesung auftaucht, sagt der Autor frank und frei: „Ich will Sie“. Was folgt, ist eine Nacht „zu dritt“, denn die „Kleine“, sprich: die Hündin, platziert sich im Bett zwischen den beiden. Selbst wenn Susanne Faber-Eschenbach bereit wäre, dem Autor ihre Kuckucksuhr vertraglich zur Benutzung zu überlassen, müsste sie sich auf einen flotten Dreier mit ungewissem Ausgang einstellen.

Eine Antwort der Reederei Arkadia ist leider nicht überliefert. Das wäre eine Schreibaufgabe für einen der Workshops zum Creative Writing, die Bodo Kirchhoff am Gardasee anbietet. Man könnte es aber auch mit Heinrich Zschokke, dem Herausgeber des „aufrichtigen und wohlerfahrenen Schweizerboten“ halten. Der erklärte schon im Januar 1808, dass die „kürzeste Antwort“ gar keine sei. Was Kirchhoffs Erzählung bietet, ist eine literarische Kritik der Kulturindustrie im 21. Jahrhundert. Vor ihr warnt sie die Produzenten von Kunstwerken, indem sie die Gefahr ihres Untergangs heraufbeschwört. Dabei unternimmt sie den Versuch, den Amüsierbetrieb mit den eigenen Waffen zu schlagen. Die Erzählung legt es darauf an, selbst amüsant zu sein. An einer Stelle blitzt eine utopische Alternative zur Kreuzfahrt auf, die sich im Florida- und Antillenstrom im Kreis dreht. Wäre es nicht möglich, dass ein Kapitän Kurs nimmt auf den Flüchtlingsstrom? Die notwendige Durchsage hat der ins Auge gefasste „Sprachlieferant“ seines Unternehmens für ihn bereits vorformuliert: „Liebe Gäste, ab morgen könnte es eng werden im Whirlpool“.

Titelbild

Bodo Kirchhoff: Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2017.
126 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783627002411

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