Nicht konform mit dem Literaturbetrieb

Ein Sammelband autobiographischer und literaturkritischer Essays von Klaus Modick

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem im Jahr 2006 gegebenen Interview zählt sich Klaus Modick zu den eingeführten Autoren, die für Verlage kein Risiko darstellen, weil sie schwarze Zahlen schreiben, jedoch keine Bestsellerautoren sind. Ob Modick mit solcher Platzierung im Mittelfeld zufrieden war, muss bezweifelt werden. Sein den Literaturbetrieb aufs Korn nehmender Roman Bestseller (2006), eine Satire auf Genese und Rezeption eines mit fragwürdigen Mitteln herbeigeführten Bucherfolgs, legt nahe, dass er an der Angemessenheit literarischer Wertungen zweifelte. Doch inzwischen kam er mit seinem Roman Konzert ohne Dichter (2015), der die Künstlerkolonie von Worpswede und die dortige Freundschaft zwischen Rilke und dem Maler und Jugendstildesigner Heinrich Vogeler thematisiert, selbst auf die Bestsellerlisten, und er ist gewieft genug, an diesen Erfolg anzuknüpfen, um einen Sammelband von sich zu promoten: Ein Bild und tausend Worte. Die Entstehungsgeschichte von „Konzert ohne Dichte“ und andere Essays. Titel wie Untertitel verweisen auf die Inspirationsquelle des Romans, auf Vogelers ein Hauskonzert darstellendes Gemälde Sommerabend (bekannt auch unter dem Titel Konzert).

Der Sammelband vereinigt 23 hauptsächlich literaturkritische Texte, deren Erstveröffentlichung oft Jahre zurückliegt. Außer zwei autobiographischen Skizzen ist lediglich der titelgebende Essay neu. Er ist wie vieles bei Modick autobiographisch, und die Reminiszenz an Thomas Manns Die Entstehung des Doktor Faustus dürfte absichtsvoll sein. Aus Thomas Manns werkgenetischem Bericht zitiert er mit Bezug auf das eigene Schaffen bereits in den hier nochmals abgedruckten Tagebuchaufzeichnungen „Zur Entstehung der Romane Ins Blaue [1985] und Das Grau der Karolinen [1986]“, und demonstriert damit kein besonders geringes Selbstwertgefühl. Auch stimmt er dem apodiktischen Satz Walter Kempowskis, „Jeder ist sich selbst der Größte“, zu und kann sich natürlich nicht ausnehmen.

Nicht ohne Stolz bringt Modick Familiäres ins Spiel. So erzählt er, wie die – sich allerdings als irrig herausstellende – Vermutung, der mit seinem Großvater bekannte Vogeler sei der Architekt seines Oldenburger Elternhauses gewesen, ihn nach Worpswede geführt habe; und in einem Postskriptum versteckt er die Schlusspointe, sein Großvater habe schon 1922 in der Rezension einer Worpsweder Anthologie den Wunsch geäußert, es müsse der „Roman von Worpswede“ geschrieben werden. Nun hat der Enkel den Wunsch erfüllt.

Modick gehört zu den sich selbst erläuternden Autoren und zieht Parallelen zwischen seinem jüngsten Roman und zwei seiner älteren Romane. Das Grau der Karolinen, ein früher Achtungserfolg, an den er offenbar gern erinnern möchte, erzählt die Geschichte eines Gemäldes und seiner Rezeption und kennt schon den Gegensatz zwischen einem sich menschlich ausgrenzenden Künstler und einem bodenständigeren Kunstschaffenden, der das Nützliche nicht aus dem Auge verliert und die Verbindung zum Handwerk beibehält. Sunset (2012) handelt von der problematischen Freundschaft zwischen dem ‚Genie‘ Bertolt Brecht und dem als Autor und Mensch weniger extravaganten Lion Feuchtwanger. Über diesen hat Modick promoviert; aber auch wenn man das nicht weiß, herrscht Klarheit darüber, auf welcher Seite die Sympathien sind.

Keineswegs Sympathieträger ist im Konzert ohne Dichter der prätentiöse Rilke, als „Mensch ein maßloser Egomane, Schnorrer, Snob und Schürzenjäger, als Dichter ein Genie“. Er gerät fast zur Karikatur. Es nimmt nicht wunder, dass Modick bei Lesungen auf Rilke-Verehrerinnen trifft, die ein solches Bild ihres Idols als Verunglimpfung empfinden. Dabei geht es letztlich nicht um ein historisch zutreffendes oder unzutreffendes Rilke-Bild, vielmehr um den Gegensatz zwischen einem Künstlertum, das alltagsenthoben ist und zur Attitüde verkommt, und einem Künstlertum, das alltagsnah und wahrhaftig bleibt, wie es Vogeler verkörpert. Modick steht dezidiert auf dessen Seite und porträtiert in ihm mitunter sich selbst. Das Detail etwa, dass Vogeler seinen Töchtern am Abend vorliest und sie darüber einschlafen, berichtet Modick auch von sich und seinen Töchtern.

Nicht alle Essays sind so auffallend selbstbezüglich. Offenheit für vieles und auch Entferntes stellt Modick durch Essays über angelsächsische Autoren unter Beweis (Nathaniel Hawthorne, Edgar Allan Poe, Robert Louis Stevenson, W. Somerset Maugham, Thomas Wolfe, J. R. Tolkien). Skeptischer schreibt er über deutsche Autoren. Den Roman Fabian des „bis zur Umtriebigkeit“ vielseitigen Erich Kästners hält er für überschätzt; und Reserviertheit gegenüber dem Diaristen Kempowski klingt ungeachtet aller Ironie bereits im Titel des diesem gewidmeten Aufsatzes an: „Die Dummheit des Erzählers“. Dass er dagegen Wilhelm Raabe unter Berufung auf Fontane als „absolut Nummer eins“ preist, steht vielleicht im Zusammenhang mit der 2011 erfolgten – allerdings nicht zum Ziel führenden – Nominierung Modicks für den Wilhelm-Raabe-Preis. Die Zukunftsträchtigkeit Raabes wird herausgestellt, wenn es heißt, er habe mit Altershausen seine „höchst persönliche Postmoderne avant la lettre“ geschaffen.

Der Erzähler Modick hält sich in mancherlei Hinsicht selbst für postmodern, und die bei ihm positiv konnotierten Begriffe „postmodern“ und „Postmoderne“ finden eine vielfache und relativ frühe Verwendung. Der einschlägige Essay basiert auf einem 1988 gehaltenen Vortrag und trägt die Überschrift „Steine und Bau. Überlegungen zum Roman der Postmoderne“. Die vage Metapher lässt mit Recht vermuten, dass unbedingt Schlüssiges nicht vorgebracht wird. Aber die Vertrautheit mit dem Thema erlaubt es Modick, viele Autoren als Zeugen aufzurufen und eine Fülle fruchtbarer Gesichtspunkte zur Sprache zu bringen. Bei den Autoren steht Umberto Eco mit seinem Roman Im Namen der Rose an der Spitze, bei den Charakteristika der Postmoderne die Freude am Zitat in allen seinen Spielarten.

Während Modick die Postmoderne affirmiert, beurteilt er die vorausgehende deutsche Literatur weniger freundlich. Über die Gruppe 47 schreibt er einen unverhohlen feindseligen Essay: „Der Pfennig unter der Zunge. Die Gruppe 47 und ihr Preis“. Per Zitat wird eine Verbindung hergestellt zwischen dem Preisgeld und einem berühmten Gedicht Günter Eichs, des ersten Preisträgers, indem der letzte Vers von „Ende eines Sommers“ zitiert wird: „unter der Zunge ist der Pfennig zu schmecken“, eine Anspielung auf den altgriechischen Brauch, Toten eine Münze unter die Zunge zu legen. Verknappt und unmetaphorisch heißt das: Der Preis markiert den Beginn eines letalen Prozesses, der aus der Gruppe, die anfangs eine „informelle Austauschplattform zwischen zum Teil sehr unterschiedlich konditionierten Autoren“ gewesen sei, ein von materiellen Interessen geprägtes „Machtkartell“ gemacht habe, eine „nepotistische Public-Relations-Agentur für Autoren“. Als pars toto bekommt die Gruppe den Groll zu spüren, den Modick gegen den Literaturbetrieb insgesamt hegt.

Von einem Außenseitertum Modicks zu sprechen, dürfte übertrieben sein, aber oft trägt er Überlegungen vor, die nicht gang und gäbe sind, am bemerkenswertesten in dem Essay „Bonanza unter Trümmerlandschaft“. Bei „Bonanza“ ist nicht – oder, wenn überhaupt, nur sehr indirekt – an die US-amerikanische Fernsehserie dieses Namens zu denken, die in den 1960er Jahren auch in Deutschland beliebt war, vielmehr an die Bedeutung „ergiebige Goldgrube, Glücksfall“. Der zynische Sinn der Metapher ist: Nationalsozialismus, Weltkrieg und Holocaust liefern die Themen, die von der deutschen Nachkriegsliteratur und z. T. auch noch von der Literatur der deutschen Postmoderne bevorzugt und gewinnbringend ausgebeutet werden. „Wir sind, wie unsere Vorgänger auch, durchaus Profiteure dieser Vergangenheit, literarische Kriegsgewinnler. Vor dem Hintergrund eines relativ erfahrungsarmen, im fünfzigjährigen Frieden des Kalten Kriegs zu Langeweile und Saturiertheit verführten Lebenszusammenhangs reizt diese Vergangenheit als ein ungeheurer Geschichtenfundus, eine Bonanza des Erzählens.“

Modick weiß, dass er in die Nähe von Martin Walsers Friedenspreis-Rede von 1998 gerät, in der von der „Dauerpräsentation unserer Schande“ die Rede ist. Leider geht er auf die autorenpsychologisch vertrackte Situation, eine Sache reizvoll zu finden, die mit obligatorischer Scham verbunden ist, nicht ein. Ein Blick auf sein Werk lässt vermuten, dass er Authentisches dazu hätte sagen können.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Klaus Modick: Ein Bild und tausend Worte. Die Entstehungsgeschichte von „Konzert ohne Dichter“ und andere Essays.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
330 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783462049268

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