Ich gestehe, ich bin menschlich

Alfonso Hophan geht in seinem ersten Erzählband „Schuld. Ein Geständnis“ einem menschlichen Phänomen auf den Grund

Von Léonie KlotzbücherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Léonie Klotzbücher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schuld ist menschlich. Sollte sie zumindest sein. Manchmal mag man ein Verantwortungsgefühl für Mitmenschen vermissen. Ein Mensch stirbt, Menschenmassen sterben, und man lebt weiter wie bisher. Man hat sich an den Tod gewöhnt, in den Nachrichten ist er zu etwas Alltäglichem geworden. Gerne redet man sich ein, dass das alles keine Rolle für einen persönlich spielt, dass man keine Verantwortung trägt. Genau das denken aber die Protagonisten dieser Erzählungen Alfonso Hophans nicht. Sie geben sich die Schuld am Schicksal anderer Menschen – Menschen, die sie geliebt haben oder vielleicht nicht einmal richtig kannten.

So gesteht in Weißgott, der kürzesten der drei Erzählungen, ein alter Mann, der weiß, dass es mit seiner Diagnose keine Hoffnung mehr gibt, einem Pfarrer seine Schuld. Da hier nur der Protagonist spricht und die Antworten des Pfarrers ausgelassen werden, schlüpft man als Leser in die Rolle des Pfarrers. Man wird mit „Nabend. Schön, dass sie gekommen sind“ begrüßt und hört von da an zu. Die Geschichte hat sich fünfzig Jahre zuvor zugetragen: Der Protagonist verliebt sich in eine Frau, doch es gibt noch einen anderen Mann, der zwischen den beiden steht. Der Erzähler wird von Eifersucht gequält, versucht, seine Verzweiflung in Alkohol zu ertränken, magert ab. „Man ist nicht mehr man selbst,“ wenn man um die Liebe einer Frau kämpft. „Man sagt und tut Dinge, die einem sonst nicht in den Sinn kämen.“ So fasst der Protagonist einen brutalen Entschluss: Er will seinen Konkurrenten beseitigen. Letztendlich wird er an der Ausführung seines Planes gehindert. Durch einen Zufall vielleicht, oder durch Schicksal, durch göttliche Fügung. Doch die Schuldgefühle bleiben an ihm haften. Schließlich hat er seinen Konkurrenten in Gedanken bereits getötet. Nun ist er „allein auf alle Ewigkeit mit seinen eigenen, geheimsten Schuldgefühlen.“

Die zweite Erzählung Der rätselhafte Fall des Alexander Frosch ist zunächst wirklich rätselhaft. Ein fiktiver Herausgeber hat Aufzeichnungen von Gesprächen gefunden und veröffentlicht diese nun. Das gibt der Erzählung etwas erschreckend Reales. Und man möchte als Leser hoffen, dass Hophan sich diese Rahmenerzählung wirklich bloß ausgedacht hat. Alexander stürzt sich aus einem fahrenden Zug in den Tod. Der Protagonist, ein Pendler, begibt sich daraufhin auf die Suche nach Antworten. Sucht einen Schuldigen, einen „Mörder.“ Er möchte Alexanders Leben verstehen, aus einem rein menschlichen Interesse. Der Staatsanwalt speist ihn mit der Begründung ab, dass ein Selbstmord kein richtiger Fall sei, die Mutter denkt mehr an die Schande für die Familie als an ihren Sohn, der Bruder kommt nicht einmal zur Beerdigung.

Es ist da kaum tröstlich, dass wenigstens Alexanders Doktorvater bestürzt ist. Antworten findet der Protagonist keine. Höchstens die Erkenntnis, dass es viele „Mörder“ gibt. Jeder trägt einen Teil der Schuld, jeder ist ein Tropfen, der das Fass schließlich überlaufen lässt. Auch er selbst. Am Ende glaubt der Protagonist, Alexander zu kennen, sein Freund geworden zu sein. Auch beim Leser bleibt dieser Eindruck zurück, man scheint Alexander wirklich gekannt zu haben. Der Protagonist zieht aus dieser Erfahrung radikale Schlüsse sein eigenes Leben betreffend, denn er kann mit seiner Schuld nicht leben. Unweigerlich kommt da der Gedanke auf, dass er sich vielleicht zu viel Verantwortung aufgeladen hat, denn er ist nun nicht mehr dazu in der Lage, sein Leben zu leben.

In Erbschuld findet sich der Protagonist in einem verlassenen Dorf wieder. Seine Tante, die ihn vom Zug abholen wollte, kommt nicht. Er schaut die Straße hinunter, „welche genauso verlassen war, wie er sich fühlte.“ Die Szenerie wirkt schon fast apokalyptisch. Die Uhren in dem Dorf funktionieren nicht, die Standuhr in der Herberge sowie die Kirchturmuhr. Überhaupt scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein. Der Fahrplan am Bahnhof ist neun Jahre alt. Die Zeit ist tot und die Tante wurde von der Zeit erschlagen, wie sich herausstellt.

„Und wer vermochte zu sagen, was noch möglich war, in einer Welt, in der Tante Marie nicht kam?“ Das, was nun geschieht, kann man sich nicht ausmalen, damit rechnet man nicht. Der Protagonist wird durch eine Reihe von Missverständnissen Opfer einer falschen Schuldzuweisung. Als Leser verzweifelt man regelrecht vor so viel Ungerechtigkeit, wenn der Protagonist beschuldigt wird, einen Mord begangen zu haben, den er nicht verübt hat.

Kurze Sätze und alltägliche Sprache erleichtern in allen drei Erzählungen den Zugang zum Geschehen. Hophan, ein junger Schweizer Autor, schreibt wie auch in seinem Debütroman mit einem Blick für das Detail. Das Teeservice aus Porzellan mit Goldrand wird ebenso beschrieben wie die faltige Haut, wo jahrzehntelange Strenge sich eingesessen hat. Dass die Ereignisse teilweise etwas konstruiert und forciert wirken, nimmt den Erzählungen nicht ihre Kraft.

Dieses Buch ist nicht für jeden. Es ist unangenehm, weil es Fragen aufwirft, die sich nicht jeder stellen möchte. Gerade weil der Leser so direkt angesprochen wird, kann er sich nicht entziehen. Wie der fiktive Herausgeber der zweiten Erzählung feststellt, ist die Lektüre nicht per se gefährlich, aber eine gewisse Gefahr geht von ihr aus: die Gefahr, Dinge anders zu sehen. Alexander fragt sich, ob es nicht die Aufgabe der Kunst ist, uns zu besseren Menschen zu machen. Nimmt man die Lektüre ernst, so gibt sie definitiv Anstöße dazu, Lebensweise und Umgang mit anderen Menschen zu überdenken. Nicht jeder möchte über solche grundsätzlichen Fragen wie die in diesen Erzählungen angesprochenen nachdenken, auch wenn Schuldgefühle menschlich sind. Trotzdem muss man stets im Hinterkopf behalten, dass man nur so viel Verantwortung tragen kann, dass man daran nicht zugrunde geht und am Leben scheitert. Für diejenigen, die sich ihre Schuld eingestehen wollen (und können), ist das Buch aber eine unbedingte Empfehlung.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2017 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2017 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Alfonso Hophan: Schuld. Ein Geständnis.
Salis Verlag, Zürich 2017.
350 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783906195629

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