Rassismus, Selbsthass und Missbrauch

Toni Morrisons „Gott, hilf dem Kind“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie war so schwarz, dass sie mir Angst machte. Mitternachtsschwarz, sudanesisch schwarz. Ich habe eine hellere Haut und gutes Haar, so wie die von uns, die wir die Gelben nennen, und Lula Anns Vater ist genauso. In meiner Familie gibt es niemanden, der auch nur annähernd diese Farbe hat. Teer ist der beste Vergleich, der mir einfällt… man könnte sie für einen Rückfall halten, aber wohin?

Gleich zu Beginn von Gott, hilf dem Kind, dem jüngsten Roman von Toni Morrison, wird mit diesen Zeilen klar, dass sich auch bei diesem Werk alles um Alltagsrassismus, afroamerikanischen Selbsthass und, wie sich später herausstellt, um Kindesmissbrauch dreht. Diese Leitmotive sind seit Morrisons aufsehenerregendem erstem Roman So blaue Augen, der 1970 erschien, ihrer Leserschaft wohlvertraut. Und es bedarf dem großen erzählerischen Können einer verdienten Literaturnobelpreisträgerin, das  immer wieder neu und immer wieder packend zu gestalten.

Wer da in den ersten Zeilen des Buchs spricht, ist „Sweetness“, die Mutter von Lula Ann, der Protagonistin des Romans. Doch dass sie dieses Kind geboren hat, möchte Sweetness am liebsten nicht wahrhaben, zu sehr schämt sie sich für die schwarze Haut der Tochter. Sie ist überzeugt davon, dass möglichst große Assimilation die einzige Chance ist, möglichst wenig mit Rassismus und Ausgrenzung konfrontiert zu werden. Aber dieses Kind macht ihr nun alle Chancen, als Weiße durchzugehen, endgültig zunichte. So begegnet sie der Tochter mit Grausamkeit und Strenge – und entschuldigt ihr Verhalten damit, sie so auf die Härte des Lebens vorzubereiten. Die einzige körperliche Nähe, die das Kind bekommt, sind die Schläge, die es durch Ungehorsam provoziert, um von der Mutter überhaupt wahrgenommen zu werden.

Doch zum Glück ist Lula Ann Bridewell trotz der seelischen Verwahrlosung eine von Morrisons starken Frauenpersönlichkeiten, die sich behaupten wollen. Und so schüttelt Lula Ann mit ihrem alten Namen zumindest äußerlich ihre Vergangenheit ab. Sie geht nach New York, trägt auf Anraten eines Typberaters nur noch reines Weiß, das ihre Schönheit erstrahlen lässt, und nennt sich „Bride“. So wird das einstige Stigma zum Kapital, das sie bewusst strategisch einsetzt, um in der Kosmetikbranche prompt für Furore zu sorgen. Trotz Luxusleben mit Penthouse und Jaguar bleiben aber die Schatten der Vergangenheit: Die Verleugnung durch die eigene Mutter kann sie nicht abschütteln, ebenso wenig das dunkle Geheimnis, jemanden fälschlich des Kindesmissbrauchs beschuldigt und damit ins Gefängnis gebracht zu haben. Das geregelte Leben der Kunstfigur Bride gerät total aus den Fugen, als ihr Lebensgefährte Booker sie verlässt und obendrein die damals verurteilte Lehrerin aus dem Gefängnis entlassen wird. Bride wird immer mehr wieder zur kleinen, ängstlichen Lula Ann. Sie versucht, ihre Schuld wiedergutzumachen, was jedoch in einem Desaster endet. Schließlich merkt sie, dass sie sich auf die Suche machen muss, um zu erfahren, warum Booker fortging – und ob ihre Liebe nicht doch noch zu retten ist.

Nicht nur die Protagonistin selbst, auch Booker und die weiteren Nebenfiguren des Romans sind zutiefst verletzte und beschädigte Seelen. Vor allem das Thema Missbrauch zieht sich wie ein roter Faden durch den Text. Ob das unbedingt notwendig gewesen ist oder eher inflationär daherkommt, muss jeder Leser selbst entscheiden. Doch vor dem Hintergrund der Figuren in Armut, rassistischer Ausgrenzung und zerstörerischer Aggression der Ausgegrenzten untereinander wirken die Missbrauchserfahrung durchaus glaubwürdig und leider keineswegs unrealistisch. Obwohl diese finsteren Episoden aus dem Leben der Nebenfiguren meist nur kurz angerissen werden, wird der Roman phasenweise durch die schier unerträgliche Menge an Leid so düster, dass man das Buch gerne weglegen würde. Doch die Figuren müssen da durch – und der Leser eben auch.

Denn am Ende entwickelt sich das Ganze zu einer Reise sowohl in die eigene Kindheit, in einen befreienden Reinigungsprozess als auch durch die ländlichen Regionen der USA, um den verlorenen Prinzen zurückzugewinnen. Am Ende sind Bride und Booker wieder vereint, zwar verwundet und gezeichnet, aber bereit, das Leben zusammen zu meistern und ihrem Kind, das sie erwarten, eine bessere Zukunft zu gestalten.

Dass das ein wenig wie Grimms Märchen anmutet, nimmt man bei großartigen Autoren wie Morrison gerne in Kauf, die auch vor surrealen Elementen nicht Halt macht. So vollzieht sich Brides Entwicklung zurück zu dem wehrlosen Kind nicht nur metaphorisch, sondern auch körperlich: Ohrlöcher, Schamhaare, Brüste verschwinden nach und nach. Erst nach der seelischen Genesung tritt sie auch äußerlich wieder als Frau in Erscheinung.

Raffiniert ist der Erzählstil, den Morrison in ihrem jüngsten Roman gewählt hat. Zu Beginn kommen alle weiblichen Figuren, einschließlich Bride, in einer Art Wechselgesang zu Wort. Später erzählen zwar die Nebenfiguren weiter aus ihrer Sicht, über die Protagonistin wird aber von einem auktorialen Erzähler in der dritten Person berichtet. Auch in dem Teil, der Booker gewidmet ist, kommt ein auktorialer Erzähler zu Wort, der aber bei ihm wie bei Bride gleichermaßen nur sehr sparsam von seiner Allwissenheit Gebrauch macht. Überhaupt wird vieles in diesem Roman nur skizziert und angerissen und manche Figuren bleiben wie die Vorstudien zu einem Porträt eher angedeutet. Trotz der Knappheit, mitunter sogar Kargheit der Darstellung gelingt es Morrison in ihrem schmalen Band, eine überzeugende, kraftvolle Schilderung dessen, was Gewalt und Angst aus Menschen machten – und wie eng Opfer- und Täterrolle mitunter verbunden sind. Ein hartes Buch, das aber auch Hoffnung weckt. Wir sind zwar Kinder unserer Vergangenheit, doch was wir daraus machen, das bestimmen wir auch selbst.

Titelbild

Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Piltz.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
208 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498045319

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