Langmut und Sanftmut der Frauen

Margarete Böhmes nordfriesischer Heimatroman „Anna Nissens Traum“ huldigt konventionellen Geschlechtervorstellungen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 2005 gegründete Husumer Frauentheatergruppe 5plus1 erinnert in ihren Stücken seit mehr als einem Jahrzehnt an „vergessene Autorinnen aus der Region Nordfriesland und ihre Werke“ wie Margarete Böhme und Franziska zu Reventlow. Im achten Jahr ihres Bestehens wurde zudem ein gleichnamiger Verein gegründet, der seither einige Romane Böhmes neu herausgebracht hat. Darunter etwa Sarah von Lindholm, Christine Immersen und den Kaufhausroman W.A.G.M.U.S.

Aus Anlass des 150. Geburtstages der Husumer Autorin folgte im Mai 2017 als bislang letzter Roman Anna Nissens Traum, der 1905 unter dem Titel Die grünen Drei erschienen war. Wie alle Werke der Reihe wurde seine Neuausgabe mit erläuternden Fußnoten und einem Nachwort versehen. Die Titeländerung geht nicht auf die Herausgeberinnen zurück, sondern erfolgte bereits zu Lebzeiten der Autorin.

„Die grünen Drei“ werden drei fiktive „Marschbesitzungen“ auf der nordfriesischen Halbinsel Eiderstedt genannt, die zur Handlungszeit „vereint einen mächtigen Komplex“ abgeben würden. Anna Nissen, eine aus ärmlichen Verhältnissen stammende „energische, stahlfeste Frau“ ist vor Jahrzehnten als Haushälterin auf einen der drei reichen Höfe gekommen. Nun, zu Beginn des Romans,  feiert sie silberne Hochzeit mit dem damals jungen und heute noch „arbeitsamen und nüchternen Besitzer“.

Der Lebenstraum der stets auf ihren Vorteil bedachten Protagonistin ist es, die drei Ländereien durch die kluge Verheiratung ihrer beiden Kinder – dem Sohn Jakob und der Tochter Anneline – „unter einen Hut zu bringen“ und somit die „vollständige Verschmelzung“ der grünen Drei zu bewerkstelligen. Jakob und Anneline aber haben, ebenso wie die Söhne und Töchter der anderen beiden Großbauern, durchaus ihre eigenen Wünsche, Pläne und Träume. Aufgrund dieser Konstellation prägen Geldgier und finanzielle Probleme ebenso die Handlung wie diverse Liebeshändel, die mal glücklich, mal unglücklich enden. Die entsprechenden Konflikte innerhalb des vielköpfigen und manchmal etwas unübersichtlichen Figurenkabinetts sind somit vorgezeichnet.

Erzählt werden sie von einer auktorialen Instanz, die keiner bestimmten Figur folgt, das Geschehen dafür aber schon einmal mit einer denkbar fragwürdigen Bemerkung kommentiert. So etwa angesichts eines seine Frau prügelnden notorischen Ehebrechers mit den Worten: „Wenn Frau Karen die Kraft gehabt hätte, die Schwäche ihres Mannes zu übersehen oder sie mit stummer Verachtung zu strafen, hätte niemals ein böses Wort das Wässerchen der Eintracht zwischen dem Ehepaar getrübt.“

Auch die Figuren selbst haben, zumindest hinsichtlich der Geschlechterrollen, meist recht konservative Vorstellungen. Ein Ehebruch männlicherseits wird mit dem Euphemismus „galantes Abenteuer“ fast schon gutgeheißen, während eine junge Ehefrau, deren Mann nicht duldet, dass sie einer Erwerbsarbeit nachgeht, „ganz stolz und selig in ihrer Würde als junge Hausfrau“ aufgeht, „die zum ersten male Gäste an ihrem Tische sieht“. Die männliche Identifikationsfigur des Romans erklärt einer ihn angesichts ihrer ehelichen Probleme um Rat bittenden Frau sogar, sie und ihre Geschlechtsgenossinnen hätten „doch zwei mächtige Waffen, die nie ihre Kraft versagen: Langmut und Sanftmut“, und eine der jungen und sympathischeren Frauenfiguren propagiert ein eheliches Verschmelzungsideal, indem sie sich überzeugt davon zeigt, dass „die unerlässliche Bedingung für eine glückliche Ehe das vollständige Aufgeben der eigenen Identität zugunsten des anderen“ sei. Eine weitere, ebenfalls positiv gezeichnete Figur, der jüdische Geldverleiher Geim Schmuck, der ihm angetragene krumme Geschäfte rundweg ablehnt und dem das finanzielle Wohlergehen eines ehemaligen Schulkameraden ganz entgegen dem auch unter den Bauern des Romans virulenten antisemitischen Klischee vom ‚Wucherjuden‘ mehr am Herzen liegt als ein fetter Gewinn, vergleicht einen schlecht geführten Hof mit einer „liederlichen Weiberwirtschaft, wo Frauensleute mehr mit der Schürze hinten hinaustragen, als der Mann mit Fudern vorn einfährt“. Durchbrochen werden die konservativ bis reaktionär gezeichneten Frauen- und Geschlechterbilder nur selten. Immerhin, eine Frau, die einen Mann im Tennis zu schlagen pflegt, dürfte schon etwas Besonderes sein in den Romanen dieser Zeit.

Führt die Erzählinstanz eine Figur ein, umreist sie sogleich deren Charakter und ihre äußere Erscheinung durch einige knappe Adjektive. Letzteres nicht nur, wie sonst oft üblich, bei den weiblichen, sondern auch bei den männlichen. Wird die äußere Erscheinung der Figuren im weiteren Verlauf des Romans nicht mehr sehr genau in Augenschein genommen, so werden die Charaktere weiter entwickelt und ausgefeilt. Und die sind wahrhaftig nicht immer sympathisch. Die, man muss sagen, widerlichste Figur des Romans, einer der drei Landbesitzer, etwa schwängert seine minderjährigen Haushälterinnen regelmäßig und jagt sie anschließend mit einem geringen Handgeld oder unter Androhung von Prügel vom Hof. Auch seine Frau schlägt er und löst durch einen starken Hieb auf ihre Brust einen Tumor aus, an dem sie bald darauf stirbt.

Nun sind die Figuren zwar nicht eben strikt schwarz und weiß gemalt – hier die Guten, dort die Bösen –, doch gehen die Charakterisierungen meist deutlich in die eine oder andere Richtung. Nur der Titelfigur und dem erwähnten Ehebrecher werden keine noch so dunklen Grautöne gegönnt.

Dafür entwirft der geradezu visuell zu nennende Roman farbige Bilder der für Nordfriesland eigentümlichen Marschlandschaft mit den für sie typischen jahreszeitlichen Veränderungen, wobei er sich zahlreicher regionaler Ausdrücke und Wendungen bedient, von denen die meisten im Anhang erläutert werden. Auch wird ein Sonnenuntergang schon einmal über eine halbe Seite hinweg beschrieben. Hier erweist sich Böhme nicht selten als Meisterin ihres Fachs. Allerdings schrammen die Stimmungsbilder zuweilen nahe am Kitsch entlang: „Zwischen den Obstbäumen lag eine grüne Dämmerung; aber hier und da flitzte ein Sonnenstrahl durch das dichte Laub und ein Fleckchen Himmelsblau sah wie ein großes helles Auge auf die hübsche Gruppe unter Apfelbaum.“

Auch die Beschreibung des schweren Alltags armer Bauern leidet dann und wann unter idyllisierenden Anklängen: „ein Tag wie der andere, jeder voller schwerer Arbeit, jeder voll der gleichen Mühen, der gleichen Sorge um das tägliche Brot zum Leben, ohne aufregende Zwischenfälle und doch voll innerer Harmonie, stiller Freude und zufriedener Zuversicht.“

Angesichts der genannten Schwächen muss man Anna Nissens Traum zu den nachrangigen Werken der ansonsten so sozialkritischen und wagemutigen Autorin solch unkonventioneller Romane wie W.A.G.M.U.S., Tagebuch einer Verlorenen, Dida Ibsens Geschichte oder Mieze Biedenbachs Erlebnisse zählen. Dem Verdienst, ihn neu herausgebracht zu haben, tut dies keinen Abbruch, wenngleich der vorliegende Roman wohl eher bei dem heimatverbundenen Teil des regionalen Publikums auf positive Resonanz hoffen darf.

Titelbild

Margarete Böhme: Anna Nissens Traum. Roman.
Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2017.
288 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783898768450

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