Der Rausch der Moderne

Zum 150. Todestag von Charles Baudelaire erscheint eine Neuübersetzung der „Blumen des Bösen“ sowie unter dem Titel „Wein & Haschisch“ eine kleine Sammlung von Essays

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 31. August jährte sich der Todestag des wohl bedeutendsten Lyrikers der Moderne, Charles Baudelaire, zum 150. Mal, und was liegt in der heutigen Literaturlandschaft näher, als dieses Jubiläum mit neuen Ausgaben seiner Werke gebührend zu feiern?

Zunächst sei die im Manesse-Verlag erschienene, wunderschöne kleine Auswahl von Baudelaires Essays gepriesen, die in einem, mit einer Weinrebe verzierten, roten Samteinband und dem passenden Titel Wein und Haschisch veröffentlicht wird. Als Liebhaber-Ausgabe zum leider nicht allzu kleinen Preis eignet sich das Bändchen hervorragend, auch weil die sechs Essays einem größeren Publikum weniger bekannt sein dürften als Baudelaires Hauptwerk, Die Blumen des Bösen, und trotzdem einen guten Einblick in die Gedankenwelt des französischen Autors bieten. Texte über die titelgebenden Rauschinduzierer, über Richard Wagner und Gustave Flaubert oder die Ratschläge an junge Literaten belegen ein breites, repräsentatives Spektrum an Themen, denen sich der Dichter essayistisch genähert hat. Philologisch hervorragend aufbereitet ist der Band, übersetzt von Melanie Walz, ebenfalls. Einem manchmal etwas pathetischen Nachwort von Tilman Krause sind noch ausführliche Anmerkungen zu jedem der sechs Essays beigegeben.

Ein weitaus ambitionierteres Projekt stellt die Neuübersetzung der Fleurs du Mal von Simon Werle dar, die ebenfalls dieser Tage bei Rowohlt erscheint. Über diesen wirkungsmächtigen Gedichtzyklus ist schon alles gesagt und geschrieben worden: Über die Magie der Sprache, die Ästhetisierung des Hässlichen und des Bösen, die seinerzeit skandalöse Beschreibung von Erotik und Sexualität. Es war bei seinem Erscheinen 1857 ein Werk, das nicht nur die französische Lyrik, sondern die Literatur überhaupt veränderte, die Regeln der Dichtkunst neu schrieb und letztlich als Gründungsmoment der modernen Lyrik angesehen wird.

So bleibt vor allem etwas über diese Neuübersetzung zu sagen, über deren Sinn und Zweck man sich natürlich streiten kann. Die erste Gesamtübersetzung in die deutsche Sprache erfolgte 1925 durch Terese Robinson; diese sei, worauf Werle aufmerksam macht, „auf Wohlklang bedachter und inhaltlich glättender“ Natur gewesen. Zuvor waren in Zeitschriften, Anthologien oder verschiedenen anderen Publikationsformen lediglich einzelne Gedichte oder gar nur Auszüge übertragen worden, so etwa die Stefan Georges oder Walter Benjamins, die den Dichter, wie dies nun mal der Fall ist bei Übersetzungen, zumal selbst schriftstellerisch tätiger Autoren, in ihrem Sinne deuteten und mitunter auch umdeuteten.

Simon Werle verweist in diesem Zusammenhang auf Thomas Kecks 1991 erschienene Dissertation zu den Übersetzungen der Fleurs du Mal, der über 100 auf die eine oder andere Weise publizierte Übersetzungen – darunter sieben Gesamtausgaben – zählt. Ihm sei die Schwere der Aufgabe bewusst gewesen und er habe sich für einen Zugang entschieden, „der der lebendigen Klanggestalt des Textes (bei ihm) maximal erreichbarer semantischer Treue die Priorität einräumt“. Ein komplexes Unterfangen, eine große Herausforderung, welche der Übersetzer aber im Rahmen der Möglichkeiten, die ihm die Komplexität des Originaltextes bietet, bravourös meistert.

In seinem Nachwort beschreibt er minutiös, wie er an die Arbeit herangegangen ist: Zunächst eine „summarische Kenntnisnahme der wichtigsten Etappen der Übersetzungsgeschichte der Fleurs du Mal“, dann jedoch habe er „in Abstinenz gegenüber vorliegenden Versionen“ die eigene Übersetzung erarbeitet und diese erst später „zum kritischen Vergleich“ herangezogen – wobei sich natürlich die Frage stellt, inwieweit ein Kenner des Textes diese Übersetzungen nicht teilweise im Ohr hat und sich doch leiten lässt. Doch diese eher psychologischen Fragestellungen zur Übersetzertätigkeit sollen keinen Schatten auf das Licht dieser Übertragung werfen, die minutiös und kunstvoll erarbeitet und vor allem mit viel Leidenschaft – und die muss ein Übersetzer, zumal von Lyrik, in heutiger Zeit wohl oder übel mitbringen – durchgeführt wurde. Wer also noch keine deutschsprachige Übersetzung der Fleurs du Mal im Schrank stehen hat, kann dies mit Werles Übertragung nachholen, auch wenn sich Rowohlt vielleicht ein Beispiel an Manesse hätte nehmen sollen, denn optisch wirkt das Buch eher wie ein zeitgenössischer Mystery-Roman denn wie ein Klassiker der Literaturgeschichte.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal. Gedichte.
Mit einem Nachwort von Gert Sautermeister.
Übersetzt aus dem Französischen von Simon Werle.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
322 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783498006778

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Titelbild

Charles Baudelaire: Wein und Haschisch. Essays.
Nachwort von Tilman Krause.
Übersetzt aus dem Französischen von Melanie Walz.
Manesse Verlag, Zürich 2017.
224 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783717524304

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