Romeo trifft Fräuleinwunder

Über Ingrid Nolls Spionage-Krimi „Halali“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Romane von Ingrid Noll sind eine verlässliche Größe im deutschen Krimigenre. Ihren ersten Roman Der Hahn ist tot legte Noll (Jahrgang 1935) 1991 vor. Seitdem veröffentlichte sie in regelmäßigen Abständen Krimis, in denen ihre Heldinnen in allergrößter Normalität so manchen Störenfried aus ihrem Lebensweg räumen.

Halali ist ihr 14. Roman und beschäftigt sich – wie man es als treuer Leser nicht anders erwartet – mit Frauen, die in typisch Nollʼscher Manier unbekümmert meucheln. Schlechtes Gewissen, Reue oder gar Sühne sind Marginalien, denen sich weder die Protagonistinnen noch die Autorin widmen. Was (oder wer) stört, muss eben weg. So einfach ist das in Nolls Welt, in der sich Behaglichkeit und Kaltblütigkeit unnachahmlich mischen.

Halali greift eine reale Facette des Kalten Krieges auf: Die sogenannte „Romeo-Falle“. Zielpersonen dieser nachrichtendienstlichen Spezialität waren junge Frauen, die als Sekretärinnen in Ministerien und Institutionen der Bonner Republik Zugriff auf geheimdienstlich interessantes Material hatten. Der Ostblock setzte auf diese Frauen „Romeos“ an, die ihren Opfern – unter Vorspiegelung einer Liebesbeziehung – relevante Informationen entlockten und die Damen im erfolgreichen Fall als Spioninnen einsetzten.

Eingebunden wird der Spionage-Mord-Plot in eine Rahmenhandlung: Holda, eine rüstige ältere Dame, erinnert sich in Unterhaltungen mit ihrer Enkelin an ihre Jugend. Mitte der 1950er-Jahre verdiente sie sich als junge Stenotypistin im Innenministerium der noch jüngeren Bonner Republik ein bescheidenes Einkommen. Gemeinsam mit ihrer aufgeweckten Freundin Karin erlebt die naive Holda (genannt Holle) vor und nach Dienstschluss ihre Abenteuer.

Noll lässt ihren Roman langsam angehen. Ihre Protagonistin erhält viel Gelegenheit, um über Gegenwart und moderne Zeiten zu räsonieren. In den Gesprächen, die Holda mit ihrer aufmüpfigen Enkelin führt, geht es um die Unterschiede zwischen der Lebenswirklichkeit der „heutigen Jugend“ und derjenigen der verklemmten Adenauer-Zeit. Zwischen dem Alltag der „möblierten Fräulein“ und der Libertinage von Holdas Enkelin tun sich Welten auf.

Der Kniff mit dieser Rahmenhandlung ergibt Sinn: Ohne den Erzählfluss zu unterbrechen können Informationen eingespeist und Erläuterungen abgegeben werden. Nicht zuletzt bleibt Holda Raum, um das zurückliegende Geschehen zu reflektieren. Der wichtigste Effekt des Erzählrahmens (und der retrospektiven Erzählung) ist aber jener: Holda sitzt in plüschiger Behaglichkeit ihrer Enkelin gegenüber. Man isst Sushi und plaudert. Holda und ihre Busenfreundin Karin sind also davongekommen. Ohne Strafverfolgung, ohne ernsthafte Lebenskrise.

Der Geschichte, wie Holda sie erzählt, wirkt authentisch; altmodische Ausdrücke verpassen der Geschichte einen nostalgisch-muffigen 1950er-Jahre-Original-Soundtrack; kurze Dialogfetzen in schönstem Rheinländisch zaubern ein lebendiges Lokalkolorit. Massenweise raucht man „Sargnägel“ und verspeist trendgerecht „Toast Hawaii“. Die männlichen Kollegen sind „Aktenhengste“ oder „Paragraphenreiter“. Und alles, was suspekt ist, kommentiert die Zimmerwirtin mit „Dat kütt mer evanjelisch vür.“

Tatsächlich verläuft so einiges suspekt in Halali: Am Rhein wird eine Wasserleiche herangespült, eine gemeinsame Freundin fällt auf einen Romeo herein, und zwei Morde passieren – nebenbei – auch noch. Aber was sollʼs. Um es in Karins einmalig legerer Art zusammenzufassen: „Tot ist tot, de-ha-ka-pe!“ D-H-K-P? Na, ganz einfach: Da helfen keine Pillen.

Titelbild

Ingrid Noll: Halali. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
320 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783257069969

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