Blitze, Poesie, Feuer

Zur Erzählung „Seelenruhig“ von Florjan Lipuš

Von Johann HolznerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johann Holzner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ganz verkehrt wäre es nicht, zu sagen, dass Florjan Lipuš, Jahrgang 1937, der international wohl bekannteste Schriftsteller aus den Reihen der Kärntner Slowenen, nach 80 Jahren ohne jegliche Wehmut Bilanz zieht – und zwar in einer offensichtlich stark autobiographisch gefärbten Erzählung, in deren Mittelpunkt ein Einzelgänger steht: „Ein Mensch, der jahraus, jahrein, sommers und winters ein und dieselbe einzige Erde bearbeitet. Ein Wanderer, der von dem steinigen Grund ein und dasselbe einzige Gestein aufliest und sammelt. Ein Schriftsteller, der sein ganzes Leben an ein und demselben einzigen Text schreibt.“ Es wäre nicht falsch, das so festzuhalten, aber es wäre doch arg verkürzt.

Denn Lipuš wählt in Seelenruhig eine Erzählstrategie, die sich vom traditionellen autobiografischen Schreiben weit entfernt. Zum einen, indem er sich nur ganz selten direkt zu Wort meldet und mit dem Leser verständigt. „Wenn wir uns der Sprache bedienen, enthüllen wir mit ihr unseren Kern […], kehren wir das Innerste nach außen.“ Zum andern, indem er nahezu durchgängig den Protagonisten der Erzählung, der sich erinnert und der die Erinnerungen noch einmal neu sortiert, aus größter Nähe und doch konsequent von außen betrachtet:

„Der Schriftsteller schließt sich ein, er öffnet das Fenster und versperrt die Tür zum Nachbarzimmer, damit die Geister dort bleiben und sich nicht auf seinen Bleistift laden […]. Während er notiert, sind seine Finger dicht bei ihm [gemeint ist der Bleistift; JH], vergessen ist alles um sie herum; wie bei einer schweren Geburt gehen aus ihnen manchmal alle die Wassollichdamitlinge, die Kannichtanders, die Taubnüsse und Taugenichtse hervor.“

Dass es aus diesen Fingern nachts hin und wieder blitzt, das nimmt der Erzähler seelenruhig (nicht anders als die von ihm geschaffene Figur) schlicht zur Kenntnis. Aber im Akt der Niederschrift dieser Erinnerungen denkt er dennoch darüber nach – wie auch über das allmähliche Ausbleiben der Blitze im Laufe der Zeit. Ist das Ende der Feuersbrünste von einst womöglich schon gekommen? Die Kindheit, die Schulzeit, die Gier nach Lust, wenigstens nach Befreiung aus der Umklammerung der Blicke wie der Sitten und Gebräuche im Dorf, die Beichtstuhl-Erziehung und vieles mehr – namentlich die Erfahrungen der NS-Zeit – gehen ihm wieder durch den Kopf, nicht zuletzt das Andenken an den Vater, der gerne straft und den Sohn beschuldigt, dass er ungern nur gehorche: Nie sind auf dem Dorf die Seelen so angenommen worden, wie sie es sich erhofft, wie sie es verdient hätten. „Vergewaltigte und verunstaltete Seelen sind eine Besonderheit unserer Gegend.“ Manchmal scheint es, als wären die Grenzen zwischen der Hauptfigur, dem Erzähler und dem Autor völlig aufgehoben, als hätte Lipuš erneut ein Sittenbild aus der Region gegeben, in der er aufgewachsen ist.

Tatsächlich vermittelt auch diese Erzählung ein (Selbst-)Bild der Kärntner Slowenen, in vielem schließt sie an die bekanntesten Bücher von Florjan Lipuš an: Der Zögling Tjaž, Die Verweigerung der Wehmut. Ein (Selbst-)Bild, das indessen auf alles, was seinerzeit dem Kind angetan worden ist, auf das Gerede wie auf die Wortlosigkeit, mit einer Suada antwortet, die jetzt abläuft wie ein Blitzgewitter. Dass die Blitze treffen, dass sie exakt dort einschlagen, wo es endlich brennen soll, dafür sorgen die präzise gesetzten Stilmittel der Erzählung: lexikalische und syntaktische zuallererst, alte Wendungen vor allem, die im Dorf früher allen vertraut gewesen sind und die inzwischen trocken auf Konnotationen verweisen, die unmissverständlich anzeigen, was alles seelische Erkrankungen gefördert hat und was umgekehrt doch auch hätte sein können. Die „Drud“ druckt nicht mehr; der Schriftsteller jedenfalls hat sich ihrem Einflussbereich und allen übrigen Drohgebärden sehr bald entzogen, er hat auch das „Internatskirchenschiff“ hinter sich gelassen und sich schließlich in eine junge Frau verliebt, mit der er, noch Jahrzehnte später, das Leben teilt, glücklich. Von einem „Endspiel“ kann in dieser Erzählung keine Rede sein.

Der Lyriker, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Fabjan Hafner – er hat unter anderem schon Die Verweigerung der Wehmut und Die Beseitigung meines Dorfes ins Deutsche übertragen – hat noch kurz vor seinem Tod ein Nachwort zu dieser Erzählung verfasst. Er stellt darin fest, „dass es sich hier um das schönste, sprachlich kräftigste und dichteste, größte literarische, lyrischste und bildhaft anschaulichste, bewegendste und zugleich zärtlichste Werk dieses Autors handelt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, allenfalls nur die Anmerkung, dass Hafner damit auch der Übersetzung von Johann Strutz das denkbar schönste Zeugnis ausgestellt hat – und dass er ein allseits hochgeschätzter kritischer Geist gewesen ist, also alles andere als ein Freund des Superlativs im Bereich der Literaturkritik.

Titelbild

Florjan Lipuš: Seelenruhig. Erzählung.
Mit einem Nachwort von Fabjan Hafner.
Übersetzt aus dem Slowenischen von Johann Strutz.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2017.
111 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783990270998

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