Vielleicht ist alles nur eine Metapher

Christian Lorenz alias Flake beschreibt in seinem zweiten Buch sein Leben als Rammstein-Keyboarder

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist der Mann am Keyboard bei Rammstein. Und bei all der Kraftmeierei, die die Band um Frontmann und Lyriker Till Lindemann betreibt, eigentlich der Außenseiter unter den Kollegen. Einer, der das Publikum mit verrückten Einlagen zum Lachen bringt. Einer, dem gelegentlich aber auch übel mitgespielt wird auf der Konzertbühne. Nun hat Christian Lorenz – vielen besser bekannt unter seinem Spitznamen Flake – sein zweites Buch geschrieben. Nach Der Tastenficker. An was ich mich so erinnern kann (2015), der Autobiografie, die ihren Schwerpunkt in den DDR-Jahren hatte, als Flake bei der Punkband Feeling B und als Gastmusiker bei etlichen anderen Formationen das Keyboard bediente, rückt in Heute hat die Welt Geburtstag die Rammstein-Zeit des inzwischen 51-jährigen Musikers in den Fokus.

Locker plaudernd im Ton – gelegentlich wirken Flakes Erinnerungen wie ein zunächst auf Band gesprochenes und daraufhin abgetipptes und nachkorrigiertes Gedächtnisprotokoll – erzählt er von den Anfängen der Band, der Überzeugung ihrer Musiker, an einem ganz besonderen Projekt beteiligt zu sein, und dem allmählichen Aufstieg von Rammstein zu einem deutschen Exportschlager, der erst einmal mit seinen Texten, der martialisch wummernden Musik und einer gesundheitsgefährdenden Bühnenshow für mancherlei Irritationen sorgte. Bei Flake liest sich das alles nicht ganz so schlimm, wie es für manchen wohl anfänglich ausgesehen haben muss. Mit dem einen oder anderen Rammstein-Musiker hat er schon in früheren Bands zusammengespielt, man kennt einander und weiß, wie man mit den Stärken und Schwächen der anderen umzugehen hat. Auch dass hinter der Rammsteinmusik eine ganze Menge harter Arbeit steckt – nicht zuletzt jene Anstrengungen, die dazu dienten, die Band zunächst erst einmal über die Region hinaus bekanntzumachen ‑, wird deutlich.

Aufgebaut hat der Autor sein Buch als eine Art Rückschau auf die zurückliegenden wilden Jahre. Auf der Gegenwartsebene sehen wir ihn während der Vorbereitungen auf ein Konzert der Band in Budapest, erleben aus seiner Sicht den Ablauf des Abends sowie die Aftershow-Aktivitäten, ehe es weitergeht zum nächsten Auftritt in Zagreb. Von diesen Alltagsimpressionen eines Musikers ausgehend – was sich im Falle Rammstein harmloser anhört, als es gelegentlich ist –, springen Flakes Gedanken immer wieder zurück in die letzten Jahrzehnte. Auf diese Weise leistet das Buch eigentlich zwei Dinge auf einmal: Es nimmt seine Leser mit auf eine Reise in die Geschichte einer der erfolgreichsten deutschen Bands der jüngeren Rockgeschichte und schildert gleichzeitig auf amüsant-unterhaltsame Weise den Alltag eines Musikers und seiner Kollegen. Und das alles, ohne auch nur ein einziges Mal redundant oder gar langweilig zu werden.

Im Gegenteil: Flake hat viel zu erzählen. Und beim Erzählen fallen ihm immer wieder Dinge ein, über die er auch noch das eine oder andere Wort verlieren muss. So dass sich als eines der prägendsten Stilmittel von Heute hat die Welt Geburtstag neben dem durchgehenden Hang des Autors zur Selbstironie alsbald die Abschweifung herausstellt. Was durchaus Gefahren in sich birgt, denn ein Text, der leicht von einem Thema zum nächsten springt, könnte sich auch irgendwann auf der Strecke in Nebensächlichkeiten verlieren. Dieses Gefühl – sich in Gesellschaft einer Plaudertasche zu befinden, deren nicht enden wollender Redestrom Wichtiges und Nebensächliches so miteinander vermengt, dass sich das eine bald nicht mehr vom anderen unterscheiden lässt und man sich mehr und mehr beim Weghören ertappt – kommt nie auf. Der Autor weiß genau, wenn es genug ist, und hat sich mit der Gliederung seines Berichtes auch bestimmte Grenzen gesetzt, in die er immer wieder zurückkehren muss.

So erfährt man en passant nicht nur, dass es Flakes Wunsch seit seiner Kindheit war, Musiker zu werden, sondern auch, dass es in einer Band, deren Songtexte und Auftreten auf der Bühne durchaus Besorgnis erwecken können, in der Regel ausgesprochen friedlich zugeht, ja die harten Männer, wenn sie auf Tournee sind, Postkarten nach Hause schicken, auf denen sogar die richtigen Marken kleben.

Dass Christian Lorenzʼ Blick zurück auf sein Leben in der DDR keiner im Zorn ist, weiß man schon aus seinem Prosadebüt. Nun stößt man, nachdem man oft genug und auf Theodor W. Adorno anspielend gelesen hat, dass ja nicht alles schlecht war im deutschen Osten, bei ihm gar auf den augenzwinkernd den Sachverhalt umkehrenden und die Wendezeit der frühen Neunziger in den Blick nehmenden Satz: „Es war wirklich nicht alles schlecht im Westen.“ Das von früher Gewohnte wird ein paar Seiten später auch für den aktuellen Umgang der Bandmitglieder untereinander in Anspruch genommen, wenn es heißt, dass unter den sechs „gleichberechtigten Komponisten“ nach wie vor eine „Form von Sozialismus“, die „Diktatur der Musiker“, praktiziert wird: „Wie hieß es in der DDR so schön? Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Wir sind einfach mal davon ausgegangen, dass wir alle dieselben Bedürfnisse haben.“ 

Heute hat die Welt Geburtstag ist ein gut zu lesendes Musiker-Selbstporträt, das – vielleicht gar nicht beabsichtigt – auch ein Stück Zeitgeschichte präsentiert. Seinen subjektiven Blick auf sich selbst, die Bandkollegen und die Welt versucht Flake an keiner Stelle zu kaschieren. Auch die Sprache, die der Autor benutzt, wird regelmäßig reflektiert – ein Wort wie „Feierabend“ zum Beispiel gefällt ihm, wogegen er „Meeting“ nur dann einsetzt, wenn ihm wirklich kein anderer Begriff für den Sachverhalt einfällt. Am meisten freilich imponiert, dass der Autor an nicht einer einzigen Stelle auf den knapp 350 Seiten etwas tut, was in ähnlichen Unternehmungen durchaus nicht selten ist: sich auf Kosten anderer zu profilieren. Nicht zuletzt das macht die besondere Qualität von Heute hat die Welt Geburtstag aus.

Titelbild

Flake: Heute hat die Welt Geburtstag.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
364 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783103972634

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch