Steiger und die Untergetauchten

Norbert Horsts Kriminalroman „Kaltes Land“ handelt vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Norbert Horst schreibt seine Kriminalromane in der Freizeit. So lange ihm sein Job als Kriminalhauptkommissar eine solche lässt. Immerhin sorgen sein Broterwerb und das, was der ihm vor Augen führt, dafür, dass in seinen Büchern die Polizeiarbeit authentisch geschildert wird. Dass Horst seine Geschichten auch noch in einer Sprache erzählt, die präzise benennt, wenige, aber starke Bilder benutzt und alles Überflüssige vermeidet, ist noch etwas nicht ganz so Selbstverständliches in der aktuellen deutschsprachigen Spannungsliteratur.

Beides zusammen, Authentizität und Beherrschung des Handwerks, macht die inzwischen sieben Bücher des 1956 in Bad Oeynhausen geborenen und für seine Werke mehrfach ausgezeichneten Autors ganz wesentlich aus. Auch Kaltes Land ist so spannend wie aktuell und gut geschrieben. Horst lässt seinen neuen Roman hauptsächlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 spielen, also in jener Zeit, als das Flüchtlingsproblem Deutschland vor eine der größten Herausforderungen in seiner neueren Geschichte stellte. Um Flüchtlinge geht es auch im dritten Fall des Dortmunder Kommissars Thomas Adam, den seine Kollegen alle Steiger nennen.

Die Sache erweist sich deshalb als besonders kompliziert, weil Steiger und seine Kollegen es bei der Klärung eines unheimlichen Todesfalls, bei welchem dem Opfer sämtliche inneren Organe herausgenommen wurden, mit Menschen zu tun haben, deren wahre Identität oft im Dunklen liegt. Um nicht sofort wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden, hat man ihnen dazu geraten, ihre Pässe zu vernichten und unter falschen Namen aufzutreten. Das bringt Zeit und stellt ein häufig überfordertes Flüchtlings-Management vor große Probleme.

Während der Dortmunder Polizist und sein Team versuchen, einem Rauschgift- und Organschmuggler-Ring auf die Spur zu kommen, der junge, unbegleitete Flüchtlinge als so genannte „Bodypacker“, also Menschen, die Rauschgift in ihren Körpern über Grenzen transportieren, missbraucht, verfolgt Norbert Horst in einem zweiten Erzählstrang den gefährlichen Weg eines afghanischen Jugendlichen aus seiner Heimat in ein Deutschland, in dem er für sich und seine Familie eine lebenswerte Zukunft sucht. Nachdem sich dieser Arjun unterwegs mit einem gleichaltrigen Mädchen zusammengetan hat, das ebenfalls auf der Flucht ist, geraten die beiden nach ihrer Ankunft in Dortmund just an jene skrupellosen Kriminellen, die gezielt nach schutzlosen Menschen Ausschau halten, um sie für ihre verbrecherischen Zwecke zu benutzen. Schließlich stellen nicht registrierte Flüchtlinge Menschen dar, die, weil keine Behörde sie auf dem Schirm hat, auch niemand vermisst.

Kaltes Land gelingt ein nüchtern-realistischer, so alltagsgesättigter wie  facettenreicher Blick auf das Deutschland unserer Tage – zum einen aus der Sicht eines deutschen Polizisten, zum anderen, indem die Perspektive von zwei mit großen Erwartungen an ihr neues Leben in der Fremde aufgebrochenen afghanischen Jugendlichen eingenommen wird. Die Frage nach dem richtigen Umgang mit Fremden, die plötzlich und in großer Zahl neben und unter uns die Chance für einen Neuanfang suchen, spaltet plötzlich nicht nur, sondern lässt auch unvermutet die Geister einer längst überwunden geglaubten Vergangenheit wieder mitten im Heute auftauchen. Horsts Protagonist muss plötzlich feststellen, dass auch Menschen, denen er bisher vertraute, von einem Moment zum anderen voller Vorurteile und Ressentiments gegenüber den Unbekannten sind.

Doch der Roman lässt keinen Zweifel daran aufkommen, auf welcher Seite sein Held steht. Steiger will, dass alle mit demselben Maß gemessen werden, auch und vor allem jene, die es auf der Suche nach einem besseren Leben zu uns verschlagen hat und die ihm aufgrund ihrer Jugend und Naivität in besonderem Maße schutzbedürftig erscheinen. Mit denen hingegen, die in den Fremden nichts anderes zu sehen vermögen als eine Bedrohung, legt er –  der sich in diesem Buch ganz nebenbei noch mit einem aus der Bahn geratenen Freund und der Frau, die er liebt, auseinanderzusetzen hat – sich an. Auch wenn er dabei seiner Karriere nicht gerade auf die Sprünge hilft. Aber so kennt ihn der Leser bereits aus den beiden vorangegangenen Romanen: gerechtigkeitsliebend, zielstrebig und alles andere als unterwürfig seinen Vorgesetzten gegenüber.

Titelbild

Norbert Horst: Kaltes Land. Kriminalroman.
Goldmann Verlag, München 2017.
400 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783442486175

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