Darauf einen Chateau Strunzinger!

Sven Regeners Roman „Wiener Straße“ ist nur vordergründig alter Wein in neuen Schläuchen

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon wieder Frank Lehmann? Schon wieder die 1980er Jahre in Berlin-Kreuzberg? Ist das Ganze nicht nach Herr Lehmann, Der kleine Bruder und dem Bremer Prequel Neue Vahr Süd längst erschöpfend auserzählt? Und hatte das Sven Regener nicht selbst erkannt und seinen letzten, ziemlich großartigen Roman Magical Mystery – nun ja, zumindest etwas – außerhalb dieses Mikrokosmos angesiedelt?

Magical Mystery tat dieser Orts- und größtenteils auch Personalwechsel gut, die grandios scheiternde Techno-Reise zwischen Berlin und Schrankenhusen-Borstel war klug erzählt, das Buch ebenso witzig wie charmant. Der spezifische Regener-Sound blieb, aber er wirkte erfrischend neu, reifer.

Und nun geht der Autor mit seinem neuen Roman wieder zurück in die Wiener Straße. Das Personal? Altbekannt: Frank Lehmann, sein bester Freund Karl, der schwäbische „Einfall“-Wirt Erwin Kächele, dessen Nichte Chrissie. Der Handlungsrahmen? Kaum mehr als die titelgebende Wiener Straße. Und was heißt überhaupt Handlung – die ist kaum vorhanden, lässt sich ohne größere Mühe auf einem Bierdeckel zusammenfassen. Frank Lehmann fängt an, im „Einfall“ zu arbeiten und ein paar Künstler aus dem Dunstkreis bereiten eine Vernissage vor. Das war es eigentlich. Der Rest ist ein Herumreden, ein Kreisen in kleinem Radius.

Aber was für eines: Manche Szenen und Dialoge erinnern an absurdes Improvisationstheater und sind dadurch umso schöner. Die Weinverkostung im Supermarkt, das Ringen um die zur Minigalerie umfunktionierten Kuchentheke des „Einfall“, die Sitzung des ArschArt-Kollektivs oder auch ein Kettensägenkauf im Baumarkt – all das ist großartig erzählt, Regener geht liebevoll und behutsam mit seinen Protagonisten um, mögen die Figuren noch so abstrus daherreden. Nie hat man den Eindruck, es wären bloße Abziehbilder, auch wenn sie wie die ArschArt-Künstler so alberne Namen wie P. Immel oder Kacki tragen. Denn gerade diese punkhafte, proletarische Attitüde, dieser Kunst-kann-jeder-Anspruch macht die Anarchokünstler so sympathisch und lebendig. Und gleichzeitig spielen sie souverän mit den Erwartungen der Gesellschaft, wenn sie für das ZDF-Dokumentarfilmteam eine mustergültige Kunstkommune inszenieren, eine Szene, die alleine schon das Lesen des Romans rechtfertigt.

Und Frank Lehmann? Der spielt im Laufe des Buches eher eine Nebenrolle, Regener hat auch damit so ziemlich alles richtig gemacht.

Titelbild

Sven Regener: Magical Mystery oder. Die Rückkehr des Karl Schmidt.
Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2013.
503 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783869710730

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Sven Regener: Wiener Straße. Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2017.
400 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783869711362

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch