Downton Abbey über den Wolken

Kerstin Giers „Wolkenschloss“ ist ein Mädchenroman mit Spannung, Herz und Humor

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die strenge Hausdame, die selbst auf die passende Farbe der Haargummis der Zimmermädchen achtet. Die perfektionistische Patissière, für die eine verrutschte Orangenschale in der Glasur reicht, um ein Petit Four für misslungen zu erklären. Und der Bulgare Pavel, der in der Wäscherei arbeitet, „ein riesiger, muskelbepackter, bärtiger Glatzkopf mit Tattoos von Totenköpfen, Schlangen und Drudenfüßen auf den Armen, den man sich gut als Türsteher in einem zwielichtigen, satanischen Nachtclub“ vorstellen könnte, bis er dann beim Bügeln einer Zimmermädchenuniform mit klarem Bariton ein „Ave Maria“ schmettert. Kein Zweifel, das Figurenarsenal in Kerstin Giers Roman Wolkenschloss ist liebenswert-schrullig – und abgesehen von den Tattoos auch ein bisschen aus der Zeit gefallen.

Hauptfigur und Ich-Erzählerin ist die 17-jährige Schulabbrecherin Fanny Funke, die in dem Schweizer Hotel „Wolkenschloss“, das dem Roman seinen Titel gibt, ein Jahrespraktikum absolviert. Die Handlung konzentriert sich jedoch auf die Weihnachtswoche. In diesem Zeitraum ist das „Wolkenschloss“ komplett ausgebucht und neben einem britischen Schauspieler, einem Thriller-Autor und einem amerikanischen Textilmogul mit Familie hat sich auch ein russischer Oligarch mit Frau und Tochter in dem etwas in die Jahre gekommenen Hotel einquartiert. Vor allem aber hilft Ben, der sympathische Sohn des Hotelbesitzers, in den Ferien an der Rezeption aus – und verdreht Fanny prompt den Kopf. Natürlich dürfen ein weiterer gutaussehender junger Mann in passendem Alter nebst potentiellen Nebenbuhlerinnen (in diesem Fall die zwei eingebildeten Töchter des amerikanischen Textilmoguls) nicht fehlen, um für Herzklopfen, kleine Eifersüchteleien und etwas Liebeswirren zu sorgen. Mit dem sagenhaft kostbaren Diamanten, den der inkognito reisende russische Oligarch seiner Frau zum Hochzeitstag geschenkt hat, oder dem mysteriösen bewaffneten Mann in Zimmer 117 ist schließlich auch für ein bisschen Krimi-Flair gesorgt. Nur die Fantasy-Elemente sucht die Leserin in diesem Gier-Roman vergebens, wenn man von einer „verbotenen Katze“, die scheinbar jeden Winkel und jeden Schleichweg des Hotels kennt, einem geheimnisvollen Küchenmädchen und offensichtlichen Märchen-Anspielungen einmal absieht.

Nach den beiden erfolgreichen fantastischen Trilogien um Zeitreisen und Traumwelten, hat Kerstin Gier diesmal einen souverän und locker-leicht erzählten Mädchenroman geschrieben, der eine wohldosierte Mischung aus Spannung, Herz und Humor bietet. Denn auch Fanny hat den für die Heldinnen der Autorin typischen ironischen Blick auf die Welt und ihre Mitmenschen. Dieser versöhnt auch mit dem ansonsten doch stark aufgetragenen nostalgischen Charme des Hotels und seiner Mitarbeiter, für die zum Beispiel geregelte Arbeitszeiten ein Fremdwort zu sein scheinen. Alle Wirrnisse um gestohlenen Schmuck oder mögliche Kindesentführungen sind dabei letztlich zweitrangig, bieten sie doch vor allem den Rahmen für Fannys pointierte Kommentare. Denn auch das macht Giers Romane aus. Sie beschreibt das „Wolkenschloss“ selbst perfekt, wenn sie ein junges Mädchen bei der Ankunft bemerken lässt: „Und man denkt, jeden Moment kommt der Butler aus Downton Abbey um die Ecke geschlurft“. Downton Abbey? Auf jeden Fall. Allerdings mit Instagram-Account.

Titelbild

Kerstin Gier: Wolkenschloss. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
460 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783841440211

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch