Mäuschen spielen

Torben Kuhlmann illustriert in „Armstrong“ die großen Schritte der Menschheit aus der Perspektive einer kleinen Maus

Von Larissa StarkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Larissa Stark

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch wirkt abgegriffen, ganz so, als sei es schon vor dem ersten Öffnen durch Generationen von Kinderhänden gegangen. Auf dem Cover trifft uns der Blick einer Maus, doch ganz entgegen üblicher Mäusemanier trägt sie Teile einer Raumfahrtausrüstung mit sich. Hinter ihr türmen sich in einer großen gefliesten Halle allerlei Flugobjekte – neben den riesigen ein sehr kleines, ganz auf die Größe einer Maus angepasst. Die Szene wie aus einem Hollywoodfilm ist, wie schon in den vorangegangenen Büchern Torben Kuhlmanns, liebevoll und äußerst detailreich illustriert. Schickte der Autor und Illustrator in seinem Debüt Lindbergh seinen Mäuseprotagonisten bereits über den Ozean, reist die Maus Armstrong im gleichnamigen Buch sogar bis zum Mond.

Ausgangspunkt von Armstrong. Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond ist ein großer Irrglaube. Der Mond, das ist in der Vorstellung der Mäuse bis jetzt ein riesiger Käse. Etwas anderes wollen sie nicht hören, denn „für Mäuse gibt es nichts Schöneres als Käse.“ Während sich der Protagonist im ersten Bilderbuch aus der Not heraus ein Fluggefährt baut, um in Amerika eine neue, mäusefreundliche Heimat zu finden – und ganz nebenbei einen Jungen namens Charles Lindbergh mit seinem Flug über den Ozean inspiriert –, beginnt das Abenteuer der Maus Armstrong aus dem Bedürfnis heraus, die wahre Beschaffenheit des Monds zu belegen. Es ist die Geschichte eines großen Traums: Mithilfe wissenschaftlicher Beobachtungen, zahlreicher Tüfteleien und Experimente, die schließlich einen spektakulären Flug ermöglichen, gilt es zu beweisen, dass dieser eben doch nur „eine große Steinkugel“ ist.

Dabei durchlebt die Maus im Schnelldurchlauf die Geschichte der Raumfahrt. Sie beginnt mit dem Blick durch ein Teleskop in den Nachthimmel und endet nach Materialtestungen, gescheiterten Konstruktionen, feurigen Startversuchen und der Entwicklung immer neuer Raketen mit einer kleinen Fahne auf dem Mond. Besonders nett sind die Ideen dazu, wie eine Maus wohl ihre erste Raumfahrt organisieren würde, welche Materialien sie verwenden könnte – und nicht zu vergessen: dass sie ganz sicher Käse als Proviant mitnehmen würde. Ohne Schwierigkeiten lassen sich in ihrem Forscherdrang, den zu überwindenden Hindernissen und Widrigkeiten, dem Scheitern, Aufrappeln und Weitermachen Bezüge zur Weltraumforschung ausmachen. Es macht Freude, den ausgelegten Spuren in die Vergangenheit zu folgen und ganz nebenbei etwas dazuzulernen.

In Armstrong werden die Geschichte der Mäuse und die Geschichte der Menschen auf charmante Weise parallelgeführt. So folgt die Maus ihrem Wissensdrang beispielsweise an die Universität. Dort spielt sie Mäuschen, um mehr über das Weltall zu erfahren, und muss feststellen, „dass der Mond viel weiter weg war, als sie vermutet hatte.“ Auch wir dürfen Mäuschen spielen. Erneut verknüpft Kuhlmann geschickt die reale Historie mit der persönlichen Geschichte einer Maus und bietet (nicht nur) kindgerechte Einblicke in die Eroberung des Himmels. Mit einem Augenzwinkern lässt er ein weiteres Mal die Mäuse den Menschen zuvorkommen und stellt damit die Geschichtsschreibung auf den Kopf. Besonders der wissenschaftliche Drang, entgegen aller Zweifel die Wahrheit ans Licht zu bringen, und die Frage, wer auf welcher Grundlage Geschichte schreibt, werden auf diese Weise thematisiert.

Der Fokus liegt dabei klar auf den Bildern. Das Buch zeichnet sich genau wie die Vorgänger durch sein umfassendes Gestaltungskonzept aus, das neben dem Cover und den Illustrationen, in die der Text eingebettet ist, auch Impressum, Widmung, Informationen zum Autor sowie „Eine kurze Geschichte der Raumfahrt“ einschließt. Wer bereits die erste „abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus“ aufmerksam durchblätterte, wird auf dieser Reise zum Mond erkennen, dass im Museum für „Mäuseluftfahrt“ keine beliebige Maus von den Porträts an den Wänden blickt, sondern ein alter Bekannter.

Die Illustrationen sind jedoch mehr als ein interner Verweis zwischen den Büchern. Während viele eine ganze Doppelseite einnehmen, erinnern andere an die Bildabfolge eines Comics oder einer Graphic Novel und bilden den zeitlichen Verlauf des jeweiligen Abenteuers ab. Häufig lässt uns der Illustrator der Maus im wahrsten Sinne des Wortes bei ihrer Arbeit über die Schulter blicken oder breitet Skizzen, Bücher und Manuskripte vor uns aus, die weitere Einblicke in die Geschichte (im doppelten Sinne) gewähren: Auf einer kleinen Notiz an der Pinnwand des amerikanischen Geheimdienstes ist in Anspielung auf den Wettlauf zum Mond die Frage „Soviet Spy?“ zu lesen. Ein anderes Bild zeigt die Maus bei ihrer Studie von Isaac Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica, dessen Titelei originalgetreu dargestellt ist. Durch die Art ihrer Präsentation wirken auch die von der Maus angefertigten Zeichnungen wie historische Quellen, die einem Archiv entnommen wurden – mindestens aber im Museum für „Mäuseluftfahrt“ landen sollten. Andere Illustrationen übersetzen bekannte Fotos in Gemaltes, wobei sie nicht immer strikt dem Original folgen, sondern an einigen Stellen die Geschichte umschreiben und beispielsweise klären, was sich wirklich im Visier von Neil Armstrong spiegelte.

Am Ende lüftet sich das Geheimnis, wie es zur Namensdopplung der beiden unterschiedlichen Weltraumreisenden kam. Bei Kuhlmann inspirieren sich Menschen und Mäuse gegenseitig: Auf den kleinen Schritt der „Mondmaus“ folgt der große Schritt für die Menschheit. Aktuell sind die dazugehörigen Illustrationen neben anderen Werken von ihm in der Ausstellung Armstrong, Lindbergh & Co im Wilhelm Busch Museum in Hannover zu sehen.

Titelbild

Torben Kuhlmann: Armstrong. Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond.
Durchgehend farbig illustriert von Torben Kuhlmann.
NordSüd Verlag, Zürich 2016.
128 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783314103483

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