Fremd ist das Fremde vor allem in der Fremde

Ann Leckie beendet ihre Radch-Trilogie mit dem Band „Das Imperium“ eher enttäuschend

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Band Das Imperium kommt Ann Leckies futuristische Radch-Trilogie zu ihrem Ende. Der Titel des Romans passt noch weniger zum Inhalt des Buches, als dies bei den beiden vorhergehenden der Fall war. Denn um das wohl eine halbe Galaxis umspannende Imperium der Radchaai geht es in diesem dritten Band allenfalls am Rande. Seine Handlung schließt vielmehr unmittelbar an die des zweiten an und spielt ebenso wie dieser in dem abgelegenen und schwer zugänglichen Athoek-System. Auch das Personal ist bis auf einzelne Ausnahmen das Gleiche und längst eingeführt. Daher dürften auch das Setting und das Figurenkabinett den LeserInnen, die die vorangegangenen Bände nicht kennen, eher fremd bleiben. Alle anderen aber wissen um die Eigenheiten und den jeweiligen Werdegang der Handlungsträgerinnen sowie um die prekäre Machtkonstellation im Imperium, dessen tyrannische Herrscherin Anaander Mianaai seit einiger Zeit an einer Art Schizophrenie leidet und mit sich selbst im Krieg steht.

Wie bisher tritt auch diesmal Breq, ihres Zeichens Flottenkapitänin und ehemalige Hilfseinheit des Raumschiffes Gerechtigkeit der Torren, vor allem aber die Heldin dieses wie der vorangegangen Bände, als Ich-Erzählerin auf. Sie erzählt auf eine abgehackte, ja stakkatoartig wirkende Weise, die sich oft unvollständiger Sätze ohne Subjekt oder Verb bedient, was das Lesevergnügen nicht eben erhöht. Breqs Erzählweise lässt zudem nur wenige Metaphern zu. Diese wenigen aber haben es in sich. So etwa wenn in einer Gefahrensituation „jede verstreichende Sekunde […] von der Gegenwart in die unveränderbare Vergangenheit blutet“. Inkonsequenter Weise wird die Erzählperspektive nicht ganz durchgehalten, wofür offenbar dramaturgische Gründe ausschlaggebend waren.

Ebenso wie im zweiten Teil – und ganz anders als im ersten – geschieht im neuen Band erst einmal herzlich wenig. Nicht zuletzt, weil die ohnehin spärliche Handlung immer wieder durch eines der zahlreichen und manchmal etwas ausufernden Gespräche ausgebremst wird, die zudem durch die umständlichen Höflichkeitsformen und -floskeln der Radchaai geprägt sind. Aber nach einiger Zeit und etlichen Dutzend Seiten nimmt sie langsam Fahrt auf. Zwar wird nun bis auf Weiteres noch immer mehr geredet als gehandelt, doch ist jetzt eine überraschend aufgetauchte Übersetzerin der Presger mit von der Partie, der man keinen Wunsch abschlagen kann. Immerhin halten die für Leser und Icherzählerin Breq gleichermaßen verwirrenden Gespräche mit ihr nun das Interesse an der weiteren Lektüre aufrecht.

Presger sind eine überaus überlegene und gefährliche Spezies, die Menschen einst nach Belieben angriff und nach Lust und Laune möglichst qualvoll tötete. Nun aber ist sie durch einen Vertrag gebunden, dem zufolge letztere „als signifikante Lebewesen behandelt“ werden müssen. In ihrer absoluten Fremdartigkeit wirkt ihre Abgesandte oft komisch. Sie selbst gehört nicht dem Volk der Presger an, sondern wurde auf offenbar biologische Weise zum Zweck der Kommunikation mit den Menschen hergestellt. Ihre Fremdartigkeit betrifft darum nicht etwa ihr Äußeres, denn sie tritt in menschlicher Gestalt auf, doch ihre Handlungen und Wünsche könnten befremdlicher nicht sein, ihre Motive und ihre Denkungsart bleiben dunkle, unlösbare Rätsel. Dabei ist sie stets undurchschaubar und fast so gefährlich wie die Presger selbst, von denen nur einigermaßen sicher zu sein scheint, dass ihre Spezies nicht aus Individuen besteht; jedenfalls nicht in dem Sinne, den wir Menschen kennen. Man brennt darauf, mehr über diese so geheimnisvolle und bedrohliche Lebensform zu erfahren. Aber eben diesen Wunsch darf und kann der Roman nicht erfüllen, denn das würde ihre grundsätzliche Fremdartigkeit, die jedes Verstehen ihrer Handlungen und Motivationen, ihrer Weltsicht und -wahrnehmung ausschließt, notwendigerweise unglaubwürdig machen. Der Übersetzerin der Presger geht es umgekehrt mit den Menschen allerdings keineswegs anders. So konstatiert sie einmal, dass diese „so irritierend seltsame Dinge machen“, „dass es manchmal besser ist, nicht allzu gründlich darüber nachzudenken“.

Die einer Space Opera gemäße Spannung via Action kommt – wenn auch nur in Maßen – erst auf, als eine Inkarnation der in abertausenden Körpern individualisierten multipersonalen Herrscherin der Radchaai in dem abgelegenen Sonnensystem erscheint und ihren Herrschaftsanspruch auch über dieses System mit brachialer Gewalt unterstreichen will. Es ist der Moment, in dem Breq zu den Waffen greift. Genauer gesagt zu einer vernichtenden Presgerwaffe.

Etwas interessanter und spannender als alle Action sind die mit ihr einhergehenden, oder besser gesagt ihr vorhergehenden Reflexionen und Räsonnements etwa darüber, mit welchen Mitteln eine Tyrannei ethischer und erfolgversprechender Weise bekämpft werden darf, kann und sollte. Allerdings tauchen der Roman und sein Personal nie tiefer in die Problematik ein. Ebenso oberflächlich und kurz werden andere ethische und philosophische Themen und Fragen angesprochen. Es lässt sich nicht einmal sagen, dass sich der Roman mit ihnen befasst, er wirft sie nur auf. So etwa, wenn die Autorin einer ihrer Figuren die Überzeugung in den Mund legt, dass zwar jede menschliche Reaktion „zwei Phasen“ habe, nämlich „was jemand empfindet und was jemand tut“, doch am Ende nur letzteres zähle, und so die Verantwortungsethik nicht etwa der Gesinnungsethik entgegensetzt, sondern einer Gefühlsethik.

Ganz zuletzt erlaubt sich der Text einen kleinen selbstreferenziellen Scherz und wartet zudem mit einer einigermaßen überraschenden Wendung auf. Die Überraschung bezieht sich allerdings nicht auf die Peripetie selbst (die abgesehen davon, dass sie eigentlich eher in die Mitte einer Handlung gehört, in diesem Fall vorauszuahnen ist), sondern vielmehr darauf, wie sie ausgelöst wird. Verschenkt wird dabei allerdings zugleich die naheliegende Chance zur Reflexion dessen, was eine Person ausmacht. Presger jedenfalls können mit dem Konzept Person gar nichts anfangen. Ihnen ist es aber auch gleichgültig, weil die Frage, ob einem Wesen dieser Status zuerkannt werden kann oder nicht, keine Rolle dafür spielt, ob es sich bei ihm um signifikantes Leben handelt. Vielleicht wurde eben darum auch auf ein Räsonnement darüber, was eine Person ist, verzichtet. Doch auch der Frage, was denn nun Leben (für die Presger) als signifikant ausweist, wird nicht weiter nachgegangen.

All das, was das Radch-Imperium so interessant macht – die Geschlechterverhältnisse, die Sprache, die multiplen Persönlichkeiten, die fremde Kultur der Radchaai, ihre Eigenheiten und die merkwürdig starren, ja rituellen Gepflogenheiten der interpersonellen Kommunikation – kann den berühmten sense of wonder nicht mehr aufflammen lassen, denn man kennt es schon aus dem ersten Band. Es bleibt nun, da – anders als noch im zweiten Band – keine neuen Aspekte hinzugefügt werden, ohne Reiz. So bietet Leckie diesmal kaum mehr als eben die Space Opera, als die das Buch auf dem Einband beworben wird. Das aber reicht nicht aus, um den einst durch den ersten Band hochgestimmten Erwartungen gerecht zu werden, auch wenn diese mit dem zweiten bereits gedämpft wurden.

Titelbild

Ann Leckie: Das Imperium. Ein Roman aus der fernen Zukunft.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen.
Heyne Verlag, München 2017.
448 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783453317260

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