Back to the roots?

Andrea Hejlskov erzählt in „Wir hier draußen“ von der Entscheidung, in den Wald zu ziehen

Von Nicolai GlasenappRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicolai Glasenapp

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Wunsch nach einer „Rückkehr zu Natur“ scheint in den vergangenen Jahren zu einem Signum der westlichen Gesellschaft geworden zu sein, das als Reaktion auf zivilisatorische und technologische Entwicklungen zu verstehen ist. Das findet beispielsweise in einer veränderten Esskultur Ausdruck, die den Respekt vor nichtmenschlichem Leben einfordert, berührt aber auch die Frage nach der menschlichen Zivilisation und ihrem Lebensraum. Der Traum von einem Leben auf dem Land und dem Ausstieg aus beruflichem Alltag und städtischer Enge trägt nicht selten eskapistische Züge und erhält seine Relevanz gerade durch die Sehnsucht nach alternativen Lebens- und Identitätskonzepten, deren Eignung und Durchführbarkeit erst einmal auf den Prüfstand zu stellen sind. Da erscheint es sinnvoll, sich differenziert und detailliert mit den Voraussetzungen für einen solchen Ausstieg auseinanderzusetzen und sich mit den Geschichten von Menschen zu befassen, die diesen Schritt gewagt haben.

Eine solche Geschichte erzählt Andrea Hejlskov in Wir hier draußen. Eine Familie zieht in den Wald. Grundlage dafür sind die persönlichen Erlebnisse der Autorin, die den Angaben des Buches zufolge seit 2011 mit ihrer Familie in einem südschwedischen Wald lebt und davor als Lehrerin, Geschäftsführerin einer Coaching-Agentur und Consultant tätig war. Während sich der Entschluss zu einem fundamentalen Lebenswandel nurmehr wie ein punktueller Bruch innerhalb einer Biografie liest, wird er in Wir hier draußen als Prozess und Entscheidungsfindung von besonderer Intensität erkennbar, die nicht ohne den erforderlichen Mut für einen Ausstieg aus gewohnten Strukturen, aber auch mit Frustration und Ernüchterung verbunden sind. So scheitert der erste Versuch der Familie, in eine ländliche Gegend zu ziehen, weil die eigenen Erwartungen nicht zu den äußeren Bedingungen und Begleitumständen passen. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Ausgangspunkt der Überlegungen, von der Stadt in die Provinz überzusiedeln, nicht auf romantisierenden Vorstellungen fußt, sondern darauf, nichts zu verlieren zu haben, weil die familiäre und gesundheitliche Situation desolat sind und deshalb eine grundlegende Veränderung erforderlich ist. Der Weg der Auseinandersetzung mit den veränderten Verhältnissen, die ein naturnahes Leben mit der ganzen Familie bedeutet, wird drastisch geschildert; Hejslkov und ihre Familie müssen mehr als nur eine Zerreißprobe bestehen, bis sich so etwas wie ein Gleichgewicht einstellt. Die extreme Veränderung der Lebensumstände führt zu extremen Reaktionen, insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich, sie sind aber zugleich Teil eines wichtigen Reinigungsprozesses, der lange schwelende Konflikte erst an die Oberfläche bringt.

Ein weiterer wesentlicher Teil der Entwicklung, die Wir hier draußen beschreibt, besteht darin, von klischeehaften und einseitigen Vorstellungen Abstand zu nehmen, die mit dem Leben im Wald einhergehen. Fast zwangsläufig kommt es zu Desillusionierungen; insbesondere Heljskov und ihr Partner Jeppe sehen sich immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob der Schritt in die Natur der richtige war, und welche Form der Anpassung an dieses Leben psychisch, emotional oder strukturell vonnöten ist. Eine solche Reflexion, die nur aufgrund der selbstgemachten Erfahrungen zu leisten ist, lässt sie nach und nach Abstand von Extrempositionen nehmen. Alternative Lebensentwürfe und Verschwörungstheorien sind nur ein Teil der Patina, die dabei sukzessive abgetragen wird, das wird anhand von einem ihrer Bekannten, genannt der Kapitän, besonders deutlich. Seine Vorstellungen einer nachhaltigen zivilisatorischen Veränderung sind nicht deckungsgleich mit den Bedürfnissen der Familie von Hejlskov. Es wird deutlich, dass alternative Lebensstile weder Schemata noch Modelle sind, die sich pauschal einfordern oder auf andere übertragen lassen.

Andrea Hejlskovs autobiografischer Einblick in das Leben einer Aussteigerfamilie ist ein wichtiger Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen, die in einem Lebensraumwechsel von Stadt zu Land und der Aufwertung eines naturnahen Lebensstils ein positiv konnotiertes „back to the roots“ begreifen. In der spezifischen Situation ihrer Familie mag die grundlegende Veränderung heilsam gewesen sein, doch an ihren Aufzeichnungen – Hejlskov dokumentierte ihre Erlebnisse auch regelmäßig in einem Internet-Blog – wird auch klar, dass es sich dabei keineswegs um einen Weg für jeden und alle handelt. Positiv an Hejlskovs Darstellung ist, dass sie allen naiven Vorstellungen, die mit einem Ausstieg verbunden sein können, die Grundlage entzieht, indem sie auch die negativen Seiten und die dafür erforderliche Frustrationstoleranz herausstellt. Ihr Text präsentiert sich als Gattungshybrid: Es handelt sich um ein Sachbuch, in dem die autobiografische Komponente – besonders in der Schilderung der familiären Situation – dominiert. Wir hier draussen. Eine Familie zieht in den Wald reiht sich in eine Tradition ein, die nicht zuletzt durch Bücher wie Henry David Thoreaus Walden maßgeblich beeinflusst wurde. In entsprechenden Passagen zum Familienleben hat das Buch allerdings auch seine Längen. Der Umzug von der Stadt auf das Land wird zwar differenziert beleuchtet, doch ist die Beschreibung von einem Hang zur Emotionalisierung geprägt; man kann sich die Frage stellen, ob darin nicht auch Redundanzen liegen, ohne die dem Leser die Essenz des Geschilderten ebenso deutlich geworden wäre. Wer sich sachliche Aufklärung über das zentrale Thema eines Ausstiegs aus der Zivilisation erhofft, dürfte hier nicht vollends befriedigt werden. Daneben dürften alle Sympathisanten ländlicher Idyllen erkennen, dass die Nähe zur Natur kein Allheilmittel ist.

Titelbild

Andrea Hejlskov: Wir hier draußen. Eine Familie zieht in den Wald.
Übersetzt aus dem Dänischen von Roberta Schneider.
Mairisch Verlag, Hamburg 2017.
292 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783938539477

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