Die vermeintlich erste Darstellung der Geschichte der NSDAP

Sven Kellerhoffs Studie bietet keine neuen Einsichten

Von Josef SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Extrem marktschreierisch preist der Klappentext das Buch Die NSDAP. Eine Partei und ihre Mitglieder des studierten Historikers und Journalisten Sven Felix Kellerhoff an. Endlich erhalte man Auskunft auf „Fragen, auf die es trotz zahlloser Hitler-Biographien und Darstellungen des Dritten Reiches bislang keine Antworten gab.“ Weit gefehlt! Denn warum so viele Menschen der NSDAP beitraten, was die Partei so attraktiv machte, welche Rolle sie beim Aufstieg Adolf Hitlers zur Macht spielte und wer die Partei finanzierte – all dies ist auf der Grundlage der längst vorliegenden Quellen intensiv bearbeitet worden. Kellerhoffs Buch kann hierzu nichts Neues vorbringen. Es gelingt noch nicht einmal, den aktuellen umfangreichen Forschungsstand, insbesondere die einschlägigen Untersuchungen Jürgen W. Falters, prägnant zu referieren.

Der Autor selbst kommt auf ebenso hohem Ross daher. Er werde als erster „inhaltlich umfassend“ eine Auswertung der sogenannten Abel Papers (andernorts als Abel Collection bezeichnet) leisten, jener 584 erhaltenen Berichte von NSDAP-Mitgliedern, die ihre Motive für den Parteibeitritt im Rahmen des Preisausschreibens des amerikanischen Soziologen Theodore Abel aus dem Jahre 1934 darlegten. Wieder weit gefehlt. Zum einen arbeitete bereits im Jahre 1975 Peter Merkl diesen Bestand detailliert auf, was Kellerhoff gemäß seines Literaturverzeichnisses bekannt sein müsste. Zum anderen aber kann hier von einer systematischen Auswertung überhaupt keine Rede sein. Kellerhoff streut an passenden Stellen lediglich Zitate zu längst bekannten Tatsachen in seinen Darstellungstext ein.

Noch unverständlicher ist jedoch die Behauptung Kellerhoffs „Eine allgemeine Geschichte der Hitler-Partei gibt es bisher nicht“. Den von ihm selbst kommentierten drei älteren Darstellungen wird mit hanebüchenen Begründungen schlichtweg die Existenzbereichtigung abgesprochen. Die Geschichte der NSDAP von Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker von 1981 verwirft Kellerhoff, da die DDR-Historiker „orthodox-marxistischen Geschichtsbildern“ folgten, die Untersuchung lediglich über die „SED-Sicht“ auf den Nationalsozialismus informiere, ansonsten aber „praktisch nutzlos“ sei. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Kellerhoff noch immer im Kalten Krieg des Axel Springer Verlags kämpft, für den er seit Jahren tätig ist. Jeder halbwegs interessierte Leser kann sich nämlich der häufigen, aber leicht erkennbaren ideologischen Einsprengsel entledigen und die mehrfach aufgelegte Untersuchung gewinnbringend lesen.

Die früheste Darstellung, die zweibändige History of the Nazi Party des deutschstämmigen US-Amerikaners Dietrich Orlow von 1969 und 1973, lässt Kellerhoff ebenso wenig gelten, denn „sie wurde niemals übersetzt und erlebte keine Nachauflagen“. Genauso ergeht es der sozialhistorisch ausgerichteten Studie The Nazi Party des Kanadiers Michael Kater von 1983, weil sie in Deutschland „kaum Beachtung“ gefunden habe. Der kritische Leser ringt um Luft, zumal die genannten Darstellungen wissenschaftliche Standards und einen Reichtum an Fakten vorweisen können, von denen Kellerhoffs Buch weit entfernt ist.

Nicht bekannt ist Kellerhoff die 2015 erschienene zweibändige Untersuchung Die Organisation der NSDAP von Christian Zweng, die zwar auf jedweden Darstellungstext verzichtet, aber mit ihren bis ins letzte Detail verästelten Registern zum strukturellen Aufbau der NSDAP und ihrer Untergliederungen eine hilfreiche und unverzichtbare Quelle darstellt.

Kellerhoff verfolgt die Geschichte der NSDAP von der Gründung der Deutschen Arbeiterpartei durch Anton Drexler im Jahre 1919 bis zum Verbot durch die Alliierten und zur Entnazifizierung in den Nachkriegsjahren. Mit Ausnahme der SA und der SS wird wenig von den weiteren Untergliederungen berichtet, dabei waren sie unverzichtbar für die Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche der Bevölkerung. Der Leser erfährt nichts über die öffentlichkeitswirksamen Selbstinszenierungen der NSDAP auf ihren Reichsparteitagen, bei (öffentlichen) Vereidigungen und regelmäßigen Aufmärschen oder über ihre repräsentativen Architekturen wie etwa die sogenannten „Braunen Häuser“ oder die Ehrentempel und die Parteizentrale am Königsplatz in München.

Die Darstellung Kellerhoffs basiert ausschließlich auf längst bekannten Quellen, aus denen der Autor permanent und geradezu aufdringlich Originalzitate in seinen Text einspeist. Es ist unklar, ob dadurch ein höherer Grad an Authentizität oder eine bessere Lesbarkeit erreicht werden soll. Wissenschaftlichen Standards entspricht dies jedenfalls nicht, zumal die Zitate nicht im Sinne einer Quelle als Ausgangspunkt oder als Beleg für Überlegungen dienen, sondern den Plot immer wieder tragen und vorantreiben.

All die genannten Defizite ließen sich noch ertragen, wären dem Autor in seiner Überheblichkeit nicht auch schwere inhaltliche Fehler unterlaufen. Der Reichstagsbrand mit der darauf basierenden Verordnung gilt als das zentrale Ereignis bei der Errichtung der NS-Diktatur. Ihn erledigt Kellerhoff mit einer Fußnote: „Der Reichstagsbrand ist kriminalistisch und historisch aufgeklärt: Verantwortlich war allein der geständige Einzeltäter Marinus van der Lubbe, niemand sonst war beteiligt“. Als Nachweis dient einzig Kellerhoffs eigenes Buch Der Reichstagsbrand von 2008. Ohne weitere Diskussion erhebt Kellerhoff den Anspruch auf den alleinigen Besitz der Wahrheit, Gegner werden als Verschwörungstheoretiker abgekanzelt. Ein Geständnis in NS-Gewahrsam wiegt für ihn stärker als die Tatsache verschiedener Brandherde, die van der Lubbe alleine nicht bedient haben kann. Die ausführliche und einflussreiche Untersuchung des renommierten Historikers Benjamin Carter Hett (Der Reichstagsbrand von 2016 nach der amerikanischen Originalausgabe von 2014) erscheint noch nicht einmal in Kellerhoffs Literaturverzeichnis.

Ebenso geht Kellerhoff mit der Reichspogromnacht um, der das Attentat des jungen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten vom Rath am 7. November 1938 als Vorwand diente. Er meint nämlich, aufgrund eines Tagebucheintrags von Joseph Goebbels selbigen als Initiator der Pogrome identifizieren zu können. Obwohl er die entsprechende Passage ausführlich zitiert, übersieht er, dass Goebbels seine „Anweisungen“ an die Polizei und die Partei erst nach Absprache mit Hitler gab: „Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen, Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu verspüren bekommen. […] Der Führer hat angeordnet, daß 2[5]-30000 Juden sofort zu verhaften sind.“ Die konkrete Verantwortung für die Reichspogromnacht ist also ohne Zweifel Hitler zuzuschreiben, Goebbels war ausführendes Organ. Zu dieser quellengestützten Einschätzung gelangten übrigens auch Peter Longerich und Ian Kershaw.

Zudem scheint Kellerhoff keine Kenntnis von den massiven Ausschreitungen gegen Juden bereits in der Nacht vom 7. auf den 8. November und am Tag des 8. November in Hessen nehmen zu wollen. Goebbels vermerkte sie in seinem Tagebuch, ohne einen Bezug zu sich oder zur Parteiführung herzustellen. Die diesbezüglichen Spezialforschungen (etwa Wolf-Arno Kropats oder Angela Hermanns, die im Literaturverzeichnis Kellerhoffs fehlen) schließen Anordnungen aus Berlin für diese zunächst regional begrenzten Übergriffe gänzlich aus und sehen die Urheberschaft entweder auf Gau- oder Kreisebene oder gar nur bei der lokalen Parteibasis.

Kellerhoffs Buch ist nicht zu empfehlen. Es beweist aber eines: Die Kluft zwischen Wissenschaft und Journalismus ist unüberbrückbar.

Titelbild

Sven Felix Kellerhoff: Die NSDAP. Eine Partei und ihre Mitglieder.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2017.
441 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783608981032

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