Klassenkampf mit Kumpel

Raoul Pecks Verfilmung der ersten gemeinsamen Jahre von Karl Marx und Friedrich Engels lebt von Bromance und Referenzen für geneigte Auskenner-Typen

Von Lea KühnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Kühn

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern!“ Dieser Satz über den Philosophen Ludwig Feuerbach wurde oft zitiert, viel diskutiert und war sinnstiftend für unzählige bewegte Revolutionäre. Glaubt man den Machern des Films Der junge Karl Marx, so ist selbigem jene Erkenntnis ausgerechnet in einem Moment gekommen, nachdem er sich unlängst sturzbetrunken in eine Ecke der Pariser Nacht erbrach.

Ein episches Besäufnis mit Marxens neu gewonnenem Bruder im Geiste, Friedrich Engels, säumt also den Beginn des lebenslangen Zusammenwirkens der beiden bekanntesten Vordenker des Kommunismus. Der junge Marx (August Diehl) – ein kluger, umtriebiger Filou am Rande des finanziellen Ruins, trifft auf Engels (Stefan Konarske), Fabrikantensohn, einen jungen Bourgeois. Nach anfänglichem Argwohn finden sich beide in regem Austausch über ihre Weltanschauung und ihrem gemeinsamen Ziel wieder: Die Abschaffung des Kapitalismus und die Befreiung der Arbeiterklasse. Ihre angriffslustig aufgeworfenen Ideen gleichen buchstäblich politischen Brandsätzen. Es sind dabei allesamt Zitate aus Marx’ und Engels’ Werken, jedoch erscheinen diese Sätze hier fast beiläufig erdacht und darum gleichermaßen oftmals zahnlos.

Dennoch, das Vorhaben des Regisseurs Raoul Peck, das Leben des jungen Marx und seine Genese zum Autor des Kapitals mit seiner fundamentalen Kritik der kapitalistischen Produktionsweise zu zeichnen, gelingt. Zumindest insofern, als sich dieses Werden weder ohne Engels darstellen ließe noch ohne das wache Auge seiner Frau Jenny. Diese ist eine der starken Frauen, die Marx und Engels in ihrem Schaffen begleitet haben und ebenso wie Mary und Lydia Burns eine angemessen große Relevanz im Film hat. Denn auch Engels Anbändeln mit den zwei Burns-Schwestern aus der britischen Arbeiterklasse, beide Näherinnen in den Werken seines Vaters, wird angenehmerweise nicht sensationslustig ins Frivole ausgeschmückt, sondern durch Stefan Konarskes zurückhaltendes, sanftes Schauspiel ernst genommen. Dadurch erscheinen Raoul Pecks Frauenrollen nicht nur als Side-Kick zweier großer Männer, was als eine seltene Figurengestaltung der Frau durchaus erfreulich ist.

Was sich bedauerlicherweise nicht erkennen lässt, ist die Grundintention des Films: Was macht den jungen Marx so interessant, dass man sein Leben verfilmt? Schließlich liegt die anhaltende Popularität der beiden Theoretiker Marx und Engels im Inhalt ihres Werkes begründet; ihre Renaissance, auch in den Feuilletons, steht in Verbindung mit den Fragen, welche die zahlreichen Krisen jüngerer Zeit mit ihren Bankencrashs und -rettungen aufgeworfen hatte. Diese Inhalte sind jedoch zu bruchstückhaft dargestellt, um einen tatsächlichen Eindruck zu erlangen, was der Kern ihrer Theorien ist und warum welche Schlüsse gezogen werden. Zwar hebt der Film eindrucksvoll und aufrührerisch an und zeigt Szenen, die Raum für mehr Inhalt bieten würden – so etwa die Arbeiterinnen, die im Wald Feuerholz sammeln und gnadenlos grausam aus dem Wald herausgeprügelt werden. Der dabei wortlos und in all seiner Brutalität gezeigte Widerspruch ist der des Eigentums: Das Holz gehört ihnen nicht. Es soll eher verrotten als unentgeltlich genutzt werden. Leider werden solche Absurditäten des Kapitalismus nur an Stellen aufgegriffen, an denen es der Fortentwicklung der Beziehungen zwischen den Protagonisten dient. Allerdings wäre ein Biopic mit zwei rauschebärtigen Trotzköpfen, die spröde am Schreibtisch sitzen und regalmeterweise Texte verfassen, wohl nicht allzu sehenswert. So bleibt es oftmals dabei, ein Who-is-Who der politischen und philosophischen Avantgarde des mittleren 19. Jahrhunderts zu veranstalten, große Worte und Titel mehr und minder offensichtlich einzustreuen und damit die intellektuelle Seele des findigen Zuschauers zu streicheln, der dabei dennoch durchaus gut unterhalten wird.

Der junge Karl Marx
Frankreich, Deutschland, Belgien 2017
Regie: Raoul Peck
Drehbuch: Raoul Peck und Pascal Bonitzer 
Darsteller: August Diehl, Stefan Konarske, Vicky Krieps
112 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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