Empathisches Engagement und Antifaschismus

Michael Schwaiger beleuchtet das Schaffen des Journalisten und Autors Leo Lania

Von Mario HuberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Huber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1896 in der Ukraine geborene und in Wien aufgewachsene jüdische Journalist und Schriftsteller Leo Lania, mit bürgerlichem Namen Lazar Herman(n), ist heute nur noch in engeren Germanisten-Kreisen eine Fußnote. Sind Journalismus und Reportage der Weimarer Republik Thema, ist damit häufig nur ein einziger Name verbunden, der des „rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch. Ihm sollte zumindest Lania an die Seite gestellt werden. Jedoch nicht nur als Journalist, sondern auch in anderen, vielfältigen Formen des engagierten Arbeitens zwischen Kunst, Politik und Öffentlichkeit setzte Lania bemerkenswerte Noten. Michael Schwaigers sehr lesenswerte Auseinandersetzung mit einem fast Vergessenen und seinem Schaffen lässt eine Epoche Revue passieren, in der die Grenze zwischen Fakt und Fiktion unter dem Schlagwort „Sachlichkeit“ ausgelotet wurde.

Schwaigers Buch „Hinter der Fassade der Wirklichkeit“. Leben und Werk von Leo Lania, das eine umfangreiche Umarbeitung und Erweiterung seines Dissertationsprojekts darstellt, legt den Fokus auf Lanias Arbeiten der 1920er Jahre. Grob lassen sich drei medial unterschiedlich gelagerte Stationen seines Schaffens umreißen: journalistische Arbeiten, die Beteiligung als Autor und Dramaturg an der Piscator-Bühne sowie erste Versuche im Bereich des deutschen Dokumentarfilms. Gerade Lanias Reportagen der 1920er Jahre sind mit ihrem neusachlichen Anspruch interessante Zeitdokumente, die es wiederzuentdecken gilt. Ob der Prozess um den Putschversuch von Adolf Hitler und Erich Ludendorff (Der Hitler-Ludendorff-Prozess, 1925), illegale Waffenschieberaktionen mit Beteiligung von regierungsnahen Kreisen (Gewehre auf Reisen, 1924) oder die (fiktionalisierte) Nacherzählung von Lanias eigenen Erfahrungen bei der Gründung einer Nachrichtenagentur (Indeta, die Fabrik der Nachrichten, 1927): Immer geht es Lania um die unterschiedlichen Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft sowie der öffentlichen Anteilnahme an diesen Geschehen – und vor allem wie diese beeinflusst und gelenkt werden kann.

Lania, der sich in den frühen 1920er Jahren in der amerikanischen Muckraker-Tradition etwa eines Upton Sinclair sah, verortete das wesentliche Prinzip der Reportage in dieser Schaffensperiode im gesellschaftlichen Allgemeininteresse ohne jegliche Art von ästhetischem Anspruch. Später löste er sich zusehends von dieser Ansicht und die Wichtigkeit auch ästhetischer Fragen rückte in den Vordergrund. So steht hinter Lanias 1928 an der Piscator-Bühne inszeniertem Stück Konjunktur dieselbe Absicht wie hinter seinen Reportagen, nämlich den Einzelnen mit dem sozialen Ganzen in Verbindung zu setzen. Hier wählte er jedoch nicht mehr den Weg der aufzeichnenden Dokumentation, sondern den der bewussten Gestaltung: Ein fast operettenhaftes Handlungsgerüst dient dazu, um aus dem Thema Erdöl eine Komödie zu machen.

Nach dem kurzen Leben der ersten Piscator-Bühne wandte sich Lania dem Film zu. Mit Um’s tägliche Brot / Hunger in Waldenburg schuf Lania als Autor gemeinsam mit dem Regisseur Phil Jutzi 1929 ein experimentelles Zwitterwesen aus Dokumentation und Spielfilm, das sich an Realschauplätzen mit den ärmlichen Bedingungen der Bergarbeiter und Weber auseinandersetzte. Geleitet wurde Lanias Schreiben – ob für Film oder Zeitungen – dabei immer von der Orientierung am Publikum und einer bestimmten Vorstellung von Wirksamkeit, wie er in seiner Autobiografie festhält:

Ich zwang mich, einfach und bildhaft zu schreiben. […] ich lernte, schwierige geistige Probleme und politische Geschehnisse in eine dem ungebildeten Arbeiter verständliche Sprache zu übersetzen, meine Bilder seiner Vorstellungswelt zu entnehmen, ohne flach und vulgär zu werden. Ich lernte, für ein bestimmtes Publikum zu schreiben, mir bei jedem Satz den Mann oder die Frau vorstellend, an die ich das Wort richtete.

Mit Blick auf die zeitgenössische (politisch linksgelagerte) Kritik scheint Lania bei Um’s tägliche Brot / Hunger in Waldenburg erfolgreich gewesen zu sein. Jedoch gerade bei den Kommunisten stieß er aufgrund der mangelnden „ideologisch-formale[n] Konsequenz“ auf Ablehnung. Das ist nicht ganz verwunderlich, hat sich doch der früh mit dem Kommunismus sympathisierende Lania eben aus ideologischen Gründen vom Patei-Kommunismus gelöst. Nachdem er von 1919 bis 1921 als Redakteur bei der kommunistischen Zeitung Die Rote Fahne in Wien tätig war, distanzierte er sich zunehmend von der kommunistischen Partei, da diese seiner Ansicht nach zu sehr an „abstrakten Begriffen“ als am tatsächlichen „fühlenden, denkenden und leidenden Menschen“ interessiert war. Dennoch blieb er vielen kommunistischen Aktionen zumindest distanziert und speziell durch seine Orientierung am Leben der Arbeiterschaft verbunden. Ebenfalls hat das schlechte Urteil über Um’s tägliche Brot / Hunger in Waldenburg noch eine zusätzliche, parteipolitische Komponente. Gerade zu dieser Zeit versuchte sich die KPD von linksbürgerlichen und sozialistischen Intellektuellen abzugrenzen und setzte auf „offenen Klassenkampf“ – damit konnte Lanias Film nicht mehr gutgeheißen werden.

Die Darstellung dieser (hier nur ansatzweise vermittelbaren) Pluralität der Ansichten im linken Lager, die durch die intensive Auseinandersetzung mit Lania als engagiertem Autor zu Tage tritt, ist eine der interessanten Nebenleistungen des Buchs. Zudem bringt Schwaiger viele weitere Details, die zusätzliche Kontextualisierung ermöglichen, zum Beispiel die umfangreichen Bekanntschaften des Netzwerkers Lania, seine jahrzehntelange Zusammenarbeit mit der Arbeiter-Zeitung, seine ausgiebige Reisetätigkeit, zumal er bei fast allen wesentlichen Konferenzen der 1920er Jahre als Berichterstatter vor Ort war, oder später sein Engagement für jüdische Organisationen im Exil nach 1932. Insgesamt erscheint die politisch links engagierte Öffentlichkeit der Weimarer Republik auch mit dem Ankerpunkt Lania wieder als das, was sie unter dem Strich war: eine viel zu oft an internen Grabenkämpfen unnötig Energie vergeudende Uneinheitlichkeit, die den Faschisten damit mehr half als schadete.

Als kleiner Kritikpunkt am Buch lässt sich ins Feld führen, dass es ein wenig straffer hätte ausfallen können, zumal Schwaiger oft zuerst ausgiebig zitiert und dann wieder paraphrasiert. Lanias Schreiben ist jedoch, siehe auch sein Literaturkonzept, nicht unbedingt in der Weise komplex, dass eine solche Auseinandersetzung nötig gewesen wäre. Unangenehm fällt dies aber nur in jenen Kapiteln auf, in denen Schwaiger hauptsächlich auf Lanias Autobiografie(n) zurückgreift und weniger die Werkanalysen im Vordergrund stehen. Hier wäre es interessanter gewesen, noch weiter auf die Unterschiede der Textfassungen einzugehen. Lania veröffentlichte eine erste Autobiografie unter dem Titel Today We Are Brothers. Biography of a Generation 1942 im erzwungenen Exil auf Englisch, eine deutsche Ausgabe folgte unter dem Titel Welt im Umbruch. Biographie einer Generation 1954. Insbesondere Lanias Verbindungen zu kommunistisch gesinnten Vereinigungen und Intellektuellen in der Zeit der Weimarer Republik wurden nachweislich von diesem in der während des Kalten Kriegs veröffentlichten deutschen Fassung gestrichen beziehungsweise umformuliert. Es formierte sich anscheinend später in seinem Denken eine nicht nur distanzierte, sondern sogar ablehnende Haltung gegenüber dem Kommunismus respektive Stalinismus. Was überrascht, zumal er, wie ausgeführt, nicht nur an der ersten Piscator-Bühne mitarbeitete, sondern auch Rosa Luxemburg und andere (vorstalinistische) Denker noch in den USA der McCarthy-Ära verteidigte. Inwieweit bei Lanias wiederveröffentlichter Autobiografie ein tatsächlicher Gesinnungswandel oder lediglich eine Orientierung an den aktuellen Diskursen Co-Autor war, wäre interessant zu verfolgen. Leider widmet Schwaiger Lanias Lebensweg nach den 1920ern relativ wenig Aufmerksamkeit.

Die Kritik an Schwaigers Buch soll hier nicht überstrapaziert werden, ist es doch die erste ausgiebige Arbeit über Lania überhaupt. Weitere werden sicher folgen, da auch der umfangreiche Nachlass des Autors noch der intensiven Auseinandersetzung harrt. Schwaigers Buch – und das ist das Wichtigste – macht Lust auf weitere Lektüre zum Thema. Einstweilen gilt es auch, Lanias eigene Texte zu lesen, wie zum Beispiel den (ebenfalls im mandelbaum verlag) neu aufgelegten Roman Land im Zwielicht.

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Michael Schwaiger: »Hinter der Fassade der Wirklichkeit«. Leben und Werk von Leo Lania.
Mandelbaum Verlag, Wien 2017.
461 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783854765455

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