Vergnügliches Verwirrspiel um Lügen, Liebe und London

Iris Murdochs Screwball-Komödie „Ein abgetrennter Kopf“ wurde neu übersetzt

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Iris Murdochs Roman Ein abgetrennter Kopf ist ein furioser Liebesreigen – eine Charade aus Betrug, Hoffnung, Lust und Vergebung. Die wirbelnden Liebenden sind: Der 41-jährige Ich-Erzähler, Weinhändler Martin Lynch-Gibbon, seine junge Geliebte Georgie Hands sowie seine ältere Frau Antonia, deren Psychoanalytiker Palmer Anderson, Andersons Schwester Honor Klein und Lynch-Gibbons Bruder, der moderne Bildhauer Alexander. Zunächst glaubt Martin noch, dass Antonia und er lange Zeit das „ebenso hübsche wie kluge Vorzeigepaar“ in London waren, obwohl er selbst im Bett von Georgie Hands liegt. Seine Frau offenbart ihm hernach ihre Liebe zu Palmer Anderson. Anderson begründet die Beziehung zu seiner Patientin mit dem für das Leben notwendigen Prozess des Voranschreitens und verlangt von Martin dessen Treue und Freundschaft. Antonias Leben stünde „viel zu lange still. Es ist Zeit für sie, wieder vorwärtszugehen.“ Dass auch Martin – wie bald bekannt wird – eine Geliebte hat, versteht das neue Paar hingegen überhaupt nicht. Melodramatisch, mit tränenerstickter Stimme und „den Blick zu Boden gerichtet und in der Hand das zerknüllte feuchte Taschentuch“, echauffiert sich Antonia über die Geliebte ihres Mannes: „Wie konntest du mich derart belügen?“

Martin stellt resigniert fest, er sei „ohnehin machtlos“, bleibt stets in der Nähe seiner Frau und bringt dem neuen Liebespaar sogar Wein ans Bett. Honor Klein schüttelt ihn: „Ich frage mich, ob Ihnen eigentlich bewusst ist, welche Belastung Ihr verweichlichtes Auftreten für die beiden ist.“ So beginnt ein Tanz aus Auf- und Hingabe, an dessen Ende nahezu jeder mit jedem eine Liebesbeziehung eingegangen ist. Palmer Anderson begehrt Antonia ebenso wie seine eigene Schwester Honor Klein, von der auch Martin fasziniert ist. Martins Bruder Alexander macht Georgie einen Heiratsantrag, entscheidet sich dann aber doch für Antonia. Dass jeder Mann an erster Stelle Antonia liebt, lässt sie triumphierend lächeln. Sie spricht von ihrem „Liebesnetz“, gegen das sich kein Mann sperren solle. Mehr überraschende Wendungen sind in einem Buch kaum denkbar. Und doch verliert der Leser nicht den Überblick. Dem virtuosen Liebesspiel aus „unsagbar düsterem“ Schmerz, wirren „Hochgefühlen“ und von verspielter Heiterkeit kann er sich kaum entziehen. Es darf herzlich gelacht werden!

Selbstverständlich erscheinen die immer neuen Enthüllungen zunehmend absurder. Bevor sich beim Leser jedoch der Eindruck redundanter Wiederholungen manifestieren kann und die erste Ahnung von Lächerlichkeit aufblitzt, endet das Buch mit einem fulminanten Finale, das schon im ersten Kapitel mit der „Vorahnung einer Strafe“ angekündigt wird.

Wenn sich dann die „unermessliche Londoner Nacht“ über die feuchten Straßen legt, wird der schwere Nebel beinahe greifbar, „der jeden Hall dämpfte oder nahezu ganz verschluckte, so undurchlässig war er“. Es wird getrunken und geraucht. Ständig sucht Martin nach Whisky. Mitunter greift er nach einem Brandy. Seiner Frau macht er „wie immer einen Martini“. Nebel, Whisky, schöne Frauen, impulsive Liebe, geschliffene Dialoge und ein subtiler Humor prägen Iris Murdochs Roman. Diese faszinierend schaurige, heitere und zugleich aufregend intensive Atmosphäre fängt Murdoch in großen poetischen Passagen ein. Sie führt den Leser an den Bahnhof Liverpool Street, an die Themse und in Taxis, die schummrige Lichtkegel auf die Straßen werfen. Es entsteht eine Skizze Großbritanniens, die sich in das Bild verschiedener Schriftsteller in den Nachkriegsjahren fügt. Murdoch schreibt ganz im Stil der Briten Lester Powell und Francis Durbridge; vor allem deren Hörspiele begeistern eine immer größer werdende Fan-Gemeinde. Bei Powell ermittelt der smarte Detektiv Philip Odell, genießt das Leben in Nachtbars und weiß trotz aller Verwicklungen die attraktive Heather McMara treu an seiner Seite. Bei Durbridge heißt der Hobby-Ermittler Paul Temple, unterstützt von seiner ebenfalls attraktiven Ehefrau Steve. Die Radio-Krimis insbesondere der 1950er und 1960er Jahre genießen Kultstatus. Und als Bastian Pastewka im Jahr 2013 mit der Temple-Radio-Serie auf Live-Tournee ging und den Fall Gregory neu aufnahm, befeuerte das die Liebe zu den klassischen Hörspielen.

Sicher auch wegen dieser nostalgischen Zuneigungswelle entschied der Piper Verlag, das Buch neu aufzulegen. Ein abgetrennter Kopf erschien erstmals 1961 in Großbritannien und 1963 in Deutschland unter dem Titel Maskenspiel. Mit der neuen Auflage trifft der Verlag zweifellos nicht nur auf ein vorhandenes Marktpotenzial, sondern mit der Neuübersetzung ist Maria Hummitzsch ein sprachliches Meisterwerk gelungen. Die fesselnden Dialoge im Stile einer Screwball-Kriminalkomödie mussten so aus dem Englischen übertragen werden, dass sie auch im Deutschen den Wortwitz treffen und die Charaktere unverfälscht auftreten dürfen. Einen Großteil seiner Kraft zieht der Roman aus seiner präzisen Sprache. Hummitzsch hat sich dieser Aufgabe mit deutlich spürbarem Respekt gewidmet.

Bis zum Ende darf sich der Leser fragen, wessen Kopf abgetrennt wird. Oder bleibt der Roman ohne Leiche? Welcher Preis muss für die Liebe gezahlt werden? Wird nur wegen Liebesverfehlungen, Abgründigkeiten und Abgedrehtheiten ermittelt? Es bleibt die Erinnerung an starken Whisky und lauwarmen Tee an nasskalten Wintertagen in der Nase. Iris Murdochs Ein abgetrennter Kopf ist eine mit Nachdruck zu empfehlende Lektüre für jeden, der eine Affinität für London hat und der sich graue Regentage mit einem hektisch-heiteren Verwirrspiel versüßen möchte.

Titelbild

Iris Murdoch: Ein abgetrennter Kopf. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Maria Hummitzsch.
Piper Verlag, München 2017.
336 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783492058612

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