Neues Leben

Daniel Suarezʼ Thriller „Bios“ entwirft eine beängstigende Zukunft, in der es keine Identität mehr geben wird

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Diskussionen um Eingriffe in das biologische Programm des Menschen treiben schon heute die Politik um. Gegen das Versprechen, mit Änderungen des genetischen Codes Leben zu retten oder wenigstens gesünder machen zu können, steht die Furcht, dass die Schäden, die bei solchen Eingriffen entstehen können, ungemeine Ausmaße annehmen. Es scheint sogar möglich, dass Menschen konzeptionell zur Disposition stehen, also vollends entworfen werden können – was zu einem ethischen Desaster führt. Die Entwicklung wird trotz aller Versuche, sie zu kontrollieren, nicht gesteuert werden können. Was menschlicher Erfindungsreichtum vermag, wird auch umgesetzt werden, unabhängig davon, ob damit moralische oder gesetzliche Grenzen überschritten werden, allein deshalb, weil es möglich ist.

Diese Gewissheit grundiert auch Daniel Suarezʼ Thriller Bios, der in einer nicht allzu fernen Zukunft spielt, in der die Grenzen, die für Eingriffe in genetische Codes gezogen werden, immer weiter verschoben werden. Eine Zukunft, in der das große illegale Geschäft nicht mehr Drogen sind, sondern die Genetik.

Die biologische Moderne ist angebrochen, heißt es zu unserer Orientierung. Eingriffe in genetische Codes sind längst zum Standard avanciert – naheliegend streng beschränkt auf die Korrektur von wenigen Krankheiten, die genetisch bedingt sind. Pech hat der, dem das zu teuer ist oder der zu früh geboren wurde, noch bevor es solche Möglichkeiten gab. Wer genügend Geld hat, kann immerhin Schlimmeres vermeiden, wogegen niemand ernsthaft etwas sagen kann.

Aber es gibt eben auch die, die noch mehr Geld haben und für die es keine Grenzen gibt. Für die ist biologisches Design, auch wenn es strengstens verboten ist, nur eine Frage des Geldes. Denn wo es eine Nachfrage gibt, findet sich immer jemand, der sie befriedigt – in diesem Fall eine den chinesischen Triaden nachgebildete Organisation mit dem Namen Huli jing. Deren Chef, ein gewisser Marcus Demang Wyckes, zieht mittlerweile die Aufmerksamkeit einer internationalen Spezialeinheit auf sich. Kenneth Durand ist einer der wichtigsten Mitglieder dieser Einheit, die Jagd auf Wyckes macht.

Eines Tages wird er Opfer eines Überfalls, verschwindet für Wochen von der Bildfläche und erwacht wieder – als Marcus Demang Wyckes. Offensichtlich sind die Huli jing in der Lage, lebende Menschen soweit in andere zu verwandeln, dass sie selbst bei näherer Untersuchung nicht so einfach von ihrem Vorbild zu unterscheiden sind. Das erklärt auch, weshalb die Führungsriege der Huli jing in relativ kurzen Intervallen Mordanschlägen zum Opfer zu fallen scheint. Ein grandioses Ablenkungsmanöver: Anscheinend nehmen die Köpfe des Kartells in regelmäßigen Abständen andere Identitäten an, um für die Behörden nicht greifbar zu werden. Weder Fingerabdrücke, Augenscans oder DNA-Abgleiche können sie überführen, denn alles das ist ja geändert worden. Auch wenn das Bewusstsein der Führungscrew dasselbe bleibt, dingfest zu machen sind ihre Mitglieder nicht mehr. Ohne klare Identität gibt es auch kein Schuldprinzip, an dem die Rechtsverfolgung sich festmachen kann.

Soweit gekommen, kann man sich für zwei Arten entscheiden, Suarezʼ Thriller zu lesen. Entscheidet man sich für den Krimiplot, liegt der Fokus auf einer wilden Verfolgungsjagd quer durch Südostasien, auf der Kenneth Durand versucht, Wyckes aufzuspüren und ihn dazu zu zwingen, ihn wieder in sein wahres Selbst zurück zu verwandeln. Denn obwohl Wyckes eigentlich die Absicht hatte, seinen Doppelgänger umkommen zu lassen und sich so der Polizei auf dem Präsentierteller zu servieren, überlebt Durand und sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass ihn alle Welt für den Kopf der Huli jing hält. Und das ist angesichts dessen, dass er nicht die geringsten Mittel zu seiner Verfügung hat und nur die Beine in die Hand nehmen kann, sehr misslich. Wie er am Ende doch zu diversen Mitteln, Geld, Waffen, Transportmittel kommt, ist eine Sache für sich – und wohl vor allem dem Fortgang der Handlung geschuldet. Allerdings ist es intellektuell ein höchst interessantes Problem, das eben nicht auf das Prinzip David gegen Goliath zu reduzieren ist, sondern in dem zahlreiche Elemente zusammenwirken müssen. Suarez löst dieses Problem auf eine immerhin hinreichend plausible Weise, wenngleich die Fugen noch recht deutlich zu erkennen sind. Spätestens im Showdown

Die andere Linie lässt sich fast vollständig von der Handlung lösen. Sie fokussiert auf das Ambiente, das Suarez entwirft. Diese Welt von 2045 ist nur knapp 30 Jahre von der unsrigen entfernt, sieht aber völlig anders aus. Eben auch wegen der technologischen Sprünge, die Suarez unterstellt: die Energieversorgung, die Antriebstechnologie, das Marketing, die internationale politische Ordnung, um nur einige disparate Themen zu nennen – und selbstverständlich auch die Biotechnologie. Dieser Realitätsentwurf wirkt dabei von ungeheurer Plausibilität, was ihn umso bedrohlicher macht. Die Beliebigkeit, mit der der wohl letzte Rückzugsort subjektiver Stabilität, der Körper, dem Design und damit der Willkür, schließlich sogar der Austauschbarkeit ausgesetzt wird, ist irritierend. Mit einem Mal verschwindet die letzte Barriere, die noch dafür gesorgt hat, dass jemand er selbst bleibt. Was bleibt dann?

In diesem Zusammenhang bietet Suarez allerdings noch eine beinahe ermutigende Szene, den zwergenhaften Genetiker, der auf die Korrektur seiner Abweichung verzichtet, um den durch die Experimente der Huli jing missgebildeten Kindern die Missbildungen zu nehmen. Das ist zwar nichts Rettendes, aber immerhin tröstlich.

Titelbild

Daniel Suarez: Bios. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
542 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783499291333

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