Ein Kommentar zum Kommentar-Tier

Jan Philipp Reemtsma betrachtet Hunde in Bildern

Von Carla SwiderskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carla Swiderski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ausgehend von der Beobachtung, wie viele Hunde in der Malerei doch zu finden seien, macht Jan Philipp Reemtsma sich in Einige Hunde daran, eine ganz subjektive Auswahl an Gemälden und Zeichnungen auf die Figur des Hundes hin abzutasten. Gleich in seiner ersten Anmerkung erklärt er, dass er keinen kunst- oder sozialhistorisch fundierten Abriss zum „Hund in der bildenden Kunst“ geben möchte. Vielmehr stützten sich seine Überlegungen auf „das zufällig in meiner Bibliothek greifbare Material“.

So eingestimmt, begleitet man Reemtsma auf seiner Reise durch Szenerien und Zeiten, ohne viele Einordnungen, Kontextualisierungen oder ausschweifende theoretische Erläuterungen zu erwarten. Allerdings auch ohne zu wissen, wo eigentlich der Startpunkt der Reise liegt und was ihr Ziel sein könnte. Eine klare These oder ein abschließendes Ergebnis gibt es nicht. Dafür bekommt man aber einen Exkurs zur Geschichte der Symbiose von Mensch und Hund sowie viele Denkanregungen zur Betrachtung von Bildern mit Hunden. Man verabschiedet sich mit Reemtsma von der Illusion der einen Wahrheit und spielt lieber verschiedene Interpretationsmöglichkeiten mit ihm durch. Ganz nebenbei verfolgt man die Verbindungslinien zwischen bildender Kunst und Literatur. Denn Reemtsma nutzt beispielsweise Antonio da Correggios Interpretation von der Entführung des Ganymed, um ausführlich auf die literarischen Verarbeitungen des mythischen Stoffes von Lukian von Samosata und Christoph Martin Wieland einzugehen. Auch Arno Schmidt und Johann Wolfgang von Goethe finden ihren Platz zwischen Arbeiten von Otto Dix, Rembrandt und Lucian Freud. Viele Zeichnungen und Gemälde sind als hochwertige Farbabbildungen in dem schmalen Band enthalten, sodass die Bildanalysen ohne großen Aufwand nachvollzogen werden können.

Dabei fällt auf, dass vor allem die zahlreichen Porträts – von Hunden sowie Menschen und Hunden – weitgehend fehlen. Dies liegt daran, dass Reemtsma sich vor allem für die prominent platzierten, doch nicht gleich lesbaren Hundedarstellungen interessiert. Zwar sind die Ausführungen nicht systematisch gegliedert, doch zieht sich eine zentrale Überlegung durch die Betrachtungen: die Funktion des gemalten Hundes als Kommentar-Tier. Hunde sind seiner Beobachtung nach zu uneindeutig, um als Symbol oder Allegorie zu funktionieren. Doch gerade in dieser Mehrdeutigkeit liege der Reiz. Sie erlaube den Hunden die je spezifische Szene zu kommentieren, indem sie den Blick auf bestimmte Details lenkten oder sich auch vom Geschehen abwendeten. Warum nur der Hund als Kommentar-Tier auftreten kann und nicht jedes beliebige andere Tier, liegt aus Reemtsmas Sicht daran, dass er „ein Zwittergänger zwischen Naturwesen und der Möglichkeit, ein klein wenig mehr zu sein“, ist. Diese Position zwischen der menschlichen Welt und der aller anderen Tiere, die der Hund durch die eng miteinander verbundene Evolutionsgeschichte erlangt habe, verleite den Menschen dazu, ihn mit Projektionen zu überladen. So sei er der engste Freund, der zugleich für seine ungehemmten sexuellen Triebe wie seine schamfreie Körperlichkeit verachtet würde.

Wer mehr über den Hund als Kommentar-Tier lesen möchte, sich an reichen Interpretationen und schweifenden Gedanken zur Kunst freuen kann, dem sei zu diesem hübsch gebundenen und illustrierten Band der Insel-Bücherei geraten. Wer sich dem Thema systematisch widmen möchte, dem sei (zusätzlich) Tamsin Pickerals The Dog. 5000 Years of the Dog in Art (2008) empfohlen, bei dem sich auch Reemtsma Inspirationen geholt hat.

Titelbild

Jan Philipp Reemtsma: Einige Hunde.
Insel Verlag, Berlin 2017.
115 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783458194323

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