Mit Döblin durch die Metropole Berlin spaziert

Michael Bienert erkundet die literarischen Schauplätze des Verfassers von „Berlin Alexanderplatz“

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alfred Döblin, der von 1911 bis 1933 in Berlin als neurologischer Kassenarzt arbeitete, war der Schöpfer eines neuen Gegenwarts- und Epochenromans und eines neuen historischen Romans. Er ist 1929 sogar als Kandidat für den Nobelpreis im Gespräch gewesen, den dann Thomas Mann erhalten hat. Doch trotz seiner epochenüberspannenden Kraft, trotz seiner unbestrittenen Welthaltigkeit, trotz der investierten hohen Kunstgesinnung blieb sein literarisches Werk, verglichen etwa mit dem Werk der fast gleichaltrigen und gleich langlebigen Thomas Mann und Hermann Hesse, relativ wirkungslos. Wirkungsgeschichtlich ist Döblin der Verfasser einer einzigen Erzählung, Die Ermordung einer Butterblume (1913), und eines einzigen Romans, Berlin Alexanderplatz (1929), geblieben. Seine anderen Werke haben sich nicht in das Gedächtnis der literarischen Öffentlichkeit eingeprägt. Selbst späte Verpflichtungserklärungen wie die von Günter Grass haben daran nichts geändert. Was sind die Gründe dafür? Provinzialität kann es wohl nicht sein. Zudem ist bei dem weltläufigen Döblin sein „provinziellstes“ Buch, eben Berlin Alexanderplatz, sein erfolgreichstes geworden. Vielleicht wäre eine mögliche Antwort: Expressionismus und Erzählung paralysieren sich gegeneinander. Das könnte Döblins Problem gewesen sein.

Schon der erste Erzählband Döblins, Die Ermordung einer Butterblume, wäre ein Beleg dafür. Die Erzählsubstanz fasziniert. Das Alltägliche wird zum Außergewöhnlichen in Spannung gesetzt, zumal in der Titelgeschichte, in der es um den totalen psychischen Zusammenbruch eines gutsituierten, gut gekleideten Herrn im Zwang elementarer Mächte geht, eine moderne, mit den Mitteln der Psychiatrie operierende Variante von E.T.A. Hoffmanns Erzählungen und Büchners Lenz-Fragment. Die außergewöhnliche Konzentration des Blicks aber, das Fixieren des Details – das gilt auch für die anderen Texte des Bandes – zerstört den erzählerischen Fluss. An dessen Stelle tritt das permanente Überspringen der quasi elektrischen Hochspannung von Partikel zu Partikel, also eine gleichbleibende Aufladung des gesamten Erzählraums. Für diese Art des In-Bewegung-Setzens war eine ständige Stoffanreicherung nötig.

Drei große Romane, Epochenromane, zeigen dann die Richtungen an, die Döblin innerhalb des Expressionismus ausschreitet: Der Roman Die drei Sprünge des Wang-lun (1915) reißt die eigene Zeit ins alte China hinein auf. Der Roman Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine (1918) projiziert die Rationalität der Technik bekennerisch ins Irrationale, ein utopischer Roman, mit ohnmachtgesättigter Riesenkraft ins Urtümlich-Epische pervertiert. Der Roman Wallenstein (1920) öffnet das Grauen des Ersten Weltkrieges auf das Grauen des Dreißigjährigen Krieges hin. Dann folgt als Appendix noch die technokratische Utopie Berge, Meere und Giganten (1924), die den Einzelnen total in kollektive Naturprozesse eingliedert und in eine Aufhebung aller Utopie in einen zeit- und hoffnungslosen Endzustand der Menschheit umschlägt.

Doch seit 1924 hat Döblin seine alte Lieblingsidee der „Massenhaftigkeit“ aufgegeben, zugunsten einer Priorität des einzelnen Ichs. Erstmals tritt dieses Ich des Erzählers in Berlin Alexanderplatz hervor, und zwar sehr massiv und ungeniert, so dass dieser Roman als Musterbeispiel eines auktorialen Stils gelten kann. Das „aufhellende“ Schicksal des Protagonisten Franz Biberkopf, eines Proletariers, Totschlägers, Einbrechers und Zuhälters, eines gewöhnlichen und doch nicht gewöhnlichen Menschen, wird von einem Erzähler geschildert, der seiner Hauptgestalt gegenüber keine feste Stellung einnimmt, sondern ständig seinen Standort wechselt, vergleichbar einer Kamera, die einmal Nahaufnahme in Zeitlupe gibt und das andere Mal aus weiter Entfernung Bilder mit verschwimmenden Umrissen. Der Erzähler ist nicht eins mit Biberkopf, sondern er steht ihm kritisch gegenüber „wie einer Versuchsperson“, er will das erzielen, was Brecht als „Verfremdung“ definieren sollte.

Die Fabel des Romans wird durchbrochen, angehalten, begleitet und ständig kommentiert von unzähligen Stimmen und Nebenerzählungen. Sie durchziehen die Fabel horizontal und vertikal, spielen auf einer geographisch allumfassenden Bühne zu jeder Zeit. Ihre Ordnung und Anordnung erfolgt als Assoziation und Montage. Sie vermitteln die Simultaneität von Schauplätzen, vergangenem, gegenwärtigem wie zukünftigem Geschehen.

Aber das sind nicht die Fragen, mit denen sich Michael Bienert als Autor des jetzt erschienenen Sachbuchs Döblins Berlin beschäftigen muss. Für ihn gelten andere Prioritäten: „Kein Zweiter hat sich so zum Sprachrohr der Entwicklung Berlins zur Metropole gemacht, hat sie so genau gekannt und sich intensiv mit ihr verbunden gefühlt“, schreibt Bienert über Döblin. Ja, dieser hat sich in den gut 40 Jahren seines Berlin-Aufenthaltes mit dieser Stadt identifiziert, er hat sie sogar mythologisiert, hat mit Berlin Alexanderplatz dem Berlin der Weimarer Republik ein literarisches Denkmal gesetzt, hat Reisen in exotische Länder – aber eben in Berliner Bibliotheken – unternommen, hat als streitbarer Demokrat an der Entwicklung der Metropole Anteil genommen, bis er 1933 von den Nationalsozialisten zur Emigration gezwungen wurde.

Bienert hat sein Buch Döblins Berlin – vorangegangen sind ihm Kästners Berlin und E.T.A. Hoffmanns Berlin – aus der Sicht des Stadtführers geschrieben; er bezeichnet sich selbst als „literarischer Cicerone“, der seine Leser von Schauplatz zu Schauplatz führt, an die Lebens-, Arbeits- und Schaffensstationen Döblins wie auch an die Ereignisorte seiner Schriften und Prosawerke. Dabei wird immer der Bezug auf das heutige Berlin hergestellt. Die originalen Schauplätze, an denen Döblin gelebt und gewirkt oder die er seinen Werken zugrunde gelegt hat, sind weitgehend verschwunden oder haben sich verändert, und so bleibt Bienert nichts anderes übrig, als darüber zu schreiben, wie diese Orte heute aussehen. Manchmal fühlt sich der Leser etwas enttäuscht, denn es wird ihm das Berlin Döblins versprochen und er bekommt stattdessen eine Beschreibung des heutigen Berlin geliefert. Aber das kann man ja nun wirklich nicht dem Autor anlasten. In jedem Fall aber hat Bienert gründlich recherchiert, er verfügt über erstaunliche Detailkenntnisse, er kennt sich aus in „seinem“ Berlin, in dem er seit 25 Jahren Stadtführungen macht.

Es beginnt mit dem Aufsuchen des Grabes von Alfred Döblin auf dem Dorffriedhof von Housseras, gut 800 km von Berlin entfernt. Der Sohn Wolfgang (Vincent), ein mathematisches Genie, der in der französischen Armee seinen Wehrdienst ableistete, drohte 1944 in deutsche Gefangenschaft zu geraten – er erschoss sich und wurde als unbekannter Soldat in Housseras begraben. Erst vier Jahre später wurde er bei einer Umbettung identifiziert. Als Döblin 1957 im Psychiatrischen Landeskrankenhaus in Emmendingen starb, ließ seine Frau Erna ihn an der Seite Vincents in Housseras beisetzen und nahm sich dann selbst das Leben. So ruhen sie nun alle drei – die Eltern und der Sohn – an diesem fremden Ort.

Dass der Roman Berlin Alexanderplatz nicht den Namen der Hauptfigur trägt, sondern den eines Ortes, muss auch in dem Sinne verstanden werden, dass Berlin nicht Kulisse für das Schicksal Biberkopfs sein soll, sondern dass das Los Biberkopfs dazu dient, von der Existenz der Großstadt zu erzählen, jenes von Eigenleben erfüllten Organismus, den Döblin einen „Korallenstock für das Kollektivwesen Mensch“ nennt. Döblin lässt in seinem Roman die Ströme von Reizen und Spannungen spürbar werden, denen der Großstadtmensch ausgesetzt ist. Er gestaltet die Herausforderung, der sich jedermann gegenübersieht, wenn er bloß durch die Straße einer Großstadt geht und dabei von den Auslagen der Geschäfte und den Plakaten „bearbeitet“ wird. Und er zeigt schließlich, wie die Großstadt die Menschen zum Kollektiv zusammenzwingt, äußerlich fassbar bereits an dem gleichmäßigen Tempo, dem sie sich alle fügen müssen. In Biberkopf wird nicht das Schicksal eines Einzelnen, sondern eines geschildert, der stellvertretend ist für „Millionen Namenlose“.

Diesen Roman hat sich Bienert als Vorbild genommen für seinen eigenen Gang durch die Metropole Berlin, der in der Ackerstraße beginnt, über Moabit, das Tegeler Gefängnis, den Rosenthaler Platz, die Schönhauser Straße, die Dragoner- und Grenadierstraße, die Münzstraße, den Bülowplatz, das Hallesche Tor, den Marstall, die Frankfurter Allee, die Schlachthalle, den Funkturm und die einstige Irrenanstalt in Buch bis zum Alexanderplatz führt. In der Ackerstraße zog es Franz Biberkopf an den Ort seines Verbrechens – des Totschlags seiner Freundin Ida, der ihm vier Jahre Gefängnis einbrachte – zurück, hier vergewaltigt er auch deren Schwester Minna und fühlt sich wieder als ganzer Mann. Bienert vergleicht die Ackerstraße in Berlin Alexanderplatz mit dieser Straße heute, die inzwischen „aufgehübscht“ wurde.

Er begibt sich dann nach Moabit, das mehrfach Schauplatz in Berlin Alexanderplatz ist. Am Rosenthaler Platz steigt Biberkopf 1927 aus der Straßenbahn und ist überfordert von dem Gewimmel, das er hier antrifft. Das Kapitel über den Rosenthaler Platz verbindet Bienert mit Ausführungen über Döblins Handschrift von Berlin Alexanderplatz. In der Schönhauser Straße trifft Bienert den Biberkopf-Darsteller Ben Becker aus der Inszenierung des Maxim-Gorki-Theaters. Die Dragoner- und Grenadierstraße galten damals als Hauptquartier des Berliner Ostjudentums. Hier wird Biberkopf am Tag seiner Haftentlassung von dem Juden Nachum mitgenommen und ihm wird eine Lehre erteilt: „Aber die Hauptsache am Menschen sind seine Augen und Füße. Man muss die Welt sehen können und zu ihr hingehen.“ Erzählen ist dazu der erste vermittelnde Schritt – es entlastet. Bienert knüpft daran Döblins Haltung zum Judentum, das diesem bisher gleichgültig war, nun aber zu einem Wendepunkt in dessen Auseinandersetzung mit seiner eigenen Herkunft wird.

Gestärkt durch die Lehre der Juden geht Biberkopf also in die Menge, allerdings in die Neben- und Ersatzrealität des Kinos in der Münzstraße. Da Döblin den Alexanderplatz-Roman in der Wende von der Stummfilm- zur Tonfilmzeit geschrieben hat, bietet das Bienert die Möglichkeit, nicht nur auf die filmische Montagetechnik des Romans einzugehen, sondern auch auf die veränderte Stellung Döblins zum Film und dessen filmische Bearbeitung des Romans. Der Film von 1931 in großartiger schauspielerischer Besetzung – mit Heinrich George in der Hauptrolle – missrät allerdings zu Genreszenen und Milieuschilderungen, die jeden Maßstab meiden. Er wertet die Nebenerzählungen auf und verkürzt die gesellschaftlichen Verhältnisse aufs Zille-Milljöh.

Den Besuch Biberkopfs bei einer Prostituierten nimmt Bienert zum Anlass für sein Kapitel Bülowplatz, aber nun kann er auch auf Döblins Nebenjob als Theaterkritiker für das Prager Tagblatt eingehen, nicht ohne Döblins vergessenes Stück Die Ehe zu erwähnen. Hatte Döblin selbst abgelehnt, Berlin Alexanderplatz als Stück herauszubringen, so ist es doch seit dem 1980er-Jahren immer wieder erfolgreich inszeniert worden.

„Wir müssen noch ein paar Runden drehen, bevor wir Biberkopf auf dem Alexanderplatz wiedersehen“, lässt Bienert wissen und wendet sich nun der Gegend um das Hallesche Tor im Bezirk Kreuzberg zu. Er kann in diesem Kapitel auf den Alfred-Döblin-Platz, Gedenktafeln für den Autor, die Anlage des Urbankrankenhauses, in dem Döblin ab 1918 als Assistenzarzt, verbunden mit einem Wechsel von der Psychiatrie zur Inneren Medizin, tätig war, sowie auf die spätere Arztpraxis Döblins in der Blücherstraße 18–  das Mietshaus existiert noch – eingehen. Zum literarischen Schauplatz hatte Döblin die Gegend um die Kreuzberger Arztpraxis in seinem ersten Berlin-Roman Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine von 1914 gemacht. Mit dem Exilroman November 1918 wurde dann auch Kreuzberg als historischer Ort politischer Kämpfe in den Anfangsjahren der Weimarer Republik ein weiteres Mal zu einem wichtigen Ereignisort in Döblins Werk. „Da wären wir am Marstall. Das ist nun die Revolution“, zitiert Bienert aus November 1918 und widmet sich nun in diesem Kapitel der literarischen Gestaltung des historischen November-Geschehens. Er vergleicht die Figuren Friedrich Becker in November 1918 und Franz Biberkopf miteinander. Becker fühlt sich mitschuldig am Kadavergehorsam der Deutschen im Krieg. Als er in den Schuldienst zurückkehrt, schlägt ihm blankes Unverständnis entgegen.

Die Suche nach dem Gymnasium, in dem Becker vergeblich versucht, seine Schüler vom richtigen Handeln der Iphigenie zu überzeugen, führt zum Köllnischen Gymnasium, das Döblin 10 Jahre lang besuchte und ihm – wie er 1930 schrieb – „die Schlechtigkeit des gesamten früheren Herrschaftssystems in Reinkultur vor Augen brachte“.

Auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee ruhen die Mutter Döblins und die Schwester Meta, vier weitere Namen von Angehörigen stehen auf dem Grabstein der Mutter, sie wurden in Auschwitz ermordet. Dem ältesten Bruder Ludwig ist die Hauptfigur Karl im Exilroman „Pardon wird nicht gegeben“ nachgebildet. Doch die in diesem Roman geschilderte Großstadt ist nicht Berlin, sondern eine prototypische kapitalistische Industriestadt als Schauplatz eines brutalen Überlebenskampfes.

Bienert recherchiert die Wohnung Frankfurter Allee 340, in die Döblin mit Frau und Kindern 1919 zog, er stattet dem Schlachthof einen Besuch ab, der in Berlin Alexanderplatz ein ganzes Kapitel erhalten hat. „Wie das Vieh durch den Schlachthof getrieben wird, so treibt der Autor seinen Romanhelden Franz Biberkopf durch die Großstadt, bis es im siebten Buch heißt: ‚Hier saust der Hammer, der Hammer gegen Franz Biberkopf’.“ Döblins letzte Berliner Wohnung am Kaiserdamm 28 war eine durchaus vornehme Adresse, doch bewertete Döblin seinen Umzug in den Berliner Westen bald als „katastrophalen Entschluss“. Am 28. Februar 1933, als der Reichstag angezündet wurde, verließ Döblin Berlin und begab sich ins Pariser Exil.

Unter dem Titel Die Fahrt ins Blaue hat Döblin 1946 einen literarischen Bericht über die NS-Zwangssterilisationen und Euthanasie-Morde in der ehemaligen Irrenanstalt in Berlin-Buch veröffentlicht. Die wissenschaftlich verbrämte Legitimation hatte der Arzt Karl Höche geliefert, er war der Doktorvater Döblins gewesen, und Döblin hatte nach seiner Promotion eine Anstellung als Assistenzarzt in der damals neu eingerichteten III. Irrenanstalt der Stadt Berlin in Buch gefunden. Die Klinik bot ihm reichlich spannende Fälle, über die der junge Arzt auch publizierte. Im Roman Berlin Alexanderplatz ist das getrennt vom übrigen Klinikgelände gebaute Verwahrungshaus der Schauplatz von Tod und Wiedergeburt des Franz Biberkopf. Nicht die Ärzte, sondern der Tod übernimmt hier die Rolle des Therapeuten –  und Biberkopf darf aus dem Totenreich in die Welt der Lebenden zurückkehren.  

Zuletzt steht Bienert am Alexanderplatz, den Döblin so berühmt gemacht hat und wo heute nichts mehr an den Autor erinnert. „Ruller ruller fahren die Elektrischen“, so tönt der Platz im Buch, „rumm rumm wuchtet vor Aschinger die Dampframme. Sie ist ein Stock hoch und die Schienen haut sie wie nichts in den Boden. Eisige Luft. Februar.“ Döblins Platzschilderung am Anfang des fünften Buches „ist dem Sound der modernen Großstadt abgelauscht, lautmalerisch und rhythmisch gegliedert“, schreibt Bienert.

Als Döblin 1947 noch einmal nach Berlin zurückkehrte, 14 Jahre nach seiner von den Nationalsozialisten erzwungenen Flucht, sah er „Bilder von einer fürchterlichen Verwüstung“. Eine feindliche Atmosphäre schlug ihm im Nachkriegsdeutschland entgegen, ein „Boykott des Schweigens“ legte sich über ihn. Erst nach seiner erneuten Übersiedlung nach Paris kam es zu einer Wiederentdeckung seines Werkes. Die Veröffentlichung des Romans Hamlet oder die lange Nacht nimmt ein Ende wurde 1956 ein letzter großer Erfolg. Einen Tag vor der Zuerkennung des Literaturpreises der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verstarb Döblin nach langer schwerer Krankheit.

Solange sich Döblins Horizont wie in Wadzeks Kampf mit der Dampfmaschine mit dem seiner Helden deckte, kam er über das Registrieren von Symptomen nur wenig heraus. In Berlin Alexanderplatz gelang es ihm, sich mittels mehrerer Hilfskonstruktionen immer wieder über diesen Horizont zu erheben und das Geschehen auch zu werten. Von Fall zu Fall steht Döblin neben oder über seinen Geschöpfen, von Fall zu Fall lässt er den Leser aus deren Sicht den Hexenkessel der Großstadt sehen oder aus seiner – des Autors – gehobenen Warte die Figuren und den Kessel distanziert betrachten. Dieser Wechsel der Perspektive kann auch von Michael Bienert blitzartig vorgenommen werden und vollzieht sich häufig während eines Beschreibungsvorgangs mehrmals. Bienert kann sachlich berichten, er kann aber auch dazwischenrufen, kommentieren, Ereignisse vorwegnehmen oder Fragen beantworten, die Döblins Figuren oder auch die Leser sich während eines Vorganges stellen. Sein Döblins Berlin ist weit mehr als nur ein Sachbuch, es können ihm durchaus literarische Ansprüche zugeschrieben werden.

Titelbild

Michael Bienert: Döblins Berlin. Literarische Schauplätze.
vbb Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2017.
180 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783945256954

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