In drei Schritten zur Philosophie

Daniel-Pascal Zorn versucht sich mit seiner ,,Einführung in die Philosophie“ an einer Befähigung zum Philosophieren

Von Jan Niklas JokischRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Niklas Jokisch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Endlose philosophiegeschichtliche Abrisse und detaillierte Darstellungen einzelner Philosophen oder philosophischer Schulen sind in der Regel das, was sich hinter Einführungen in die Philosophie verbirgt – nicht jedoch bei Daniel-Pascal Zorn. Denn statt seine Einführung in die Philosophie thematisch aufzubauen, geht er systematisch und methodologisch vor. Sein Ziel ist keine Vermittlung philosophischer Positionen, sondern die Befähigung des Lesers zur Philosophie. Dies geschieht durch das Erlernen der drei fundamentalen philosophischen Vollzugsweisen Lesen, Reden und Schreiben, nach denen seine Einführung strukturiert ist.

Zorn setzt dabei einen geringen Wissensstand voraus. Verwendete Begriffe werden immer kurz erklärt, was nicht nur Missverständnissen vorbeugt, sondern zudem ein philosophisches Vokabular schult, das spätere philosophische Lektüre erleichtert. Ein ähnlicher Effekt wird bei der Verwendung von Philosophen-, Werk- und Strömungsnamen erreicht. Philosophen werden mit einem ihrer Werke oder im Zusammenhang einer gewissen Strömung genannt, was eine erste Zuordnung und somit einen langsamen Einstieg in die Philosophiegeschichte erlaubt. Da Zorn sich dabei weitestgehend mit thematischen Betrachtungen zurückhält, entgeht er der Gefahr einer Trivialisierung philosophischer Positionen, die besonders für philosophische Anfänger oftmals verlockend ist.

Der umfang- und ertragreichste Teil der Einführung ist direkt der erste: Philosophische Lektüre. Zorn entwickelt hier aus einer geschickten Zeitkritik die Probleme, die in einem zeitgenössischen Philosophiestudium vorherrschend sind. Zeitmangel, Ergebnisorientierung und fehlendes Verständnis im Textumgang werden dabei auf gesellschaftliche Veränderungen wie den Bologna-Prozess, die Ökonomisierung der Universitäten und der akademischen Landschaft überhaupt sowie der zunehmenden Reduzierung aller akademischer Disziplinen auf die Methodik der MINT-Fächer zurückgeführt. Gerade hier glänzt der Text durch Aktualität, aber auch, weil er über das hinausgeht, was man von einer Einführung erwartet: Er wird zu einer philosophischen Studie über die Probleme der Philosophie. Diese negative Methodik stellt ein brillantes didaktisches Mittel dar. Statt klare Regeln für die Lektüre zu geben, werden Lektüreschwierigkeiten aufgezeigt, analysiert und dadurch vorgebeugt. Zorn marginalisiert Texte dadurch nicht zu etwas, was mit einer einzigen Lektürestrategie als Allheilmittel zu lösen sei, sondern betont gerade ihre Komplexität und die Tatsache, dass man sich auf jeden Text von neuem einlassen muss.

Der zweite Teil, Philosophisches Gespräch, beschäftigt sich mit der Frage, wie ein philosophischer Diskurs geführt wird und wann er gelungen ist. Dieses Thema ist offensichtlich um einiges anspruchsvoller als das Thema des ersten Teils und kann nicht mit derselben negativen Methodik bearbeitet werden, die sich dennoch wiederfindet. So wird die Unterminierung philosophischer, geistes-, kultur-, und gesellschaftswissenschaftlicher Diskurse thematisiert – ein Problem, mit denen alle Studenten dieser Fachrichtungen früher oder später konfrontiert werden. Und es werden Fallen in der Diskussion und Muster in der Gesprächsführung aufgezeigt, die einen gelungenen philosophischen Diskurs letztlich verhindern.

Zorn geht jedoch im Gegensatz zum vorherigen Teil noch einen Schritt weiter, indem diese negative Methodik anhand einer positiven Bestimmung der Philosophie erfolgt. So versucht er den philosophischen Diskurs gegen den sophistischen abzusichern, aber auch allgemein als besonderen darzustellen. Leider geschieht dies in einer Reihe unsystematischer Kapitel, die zwanghaft versuchen, in einer längst überholten Klassifikation die wissenschaftlichen Disziplinen voneinander abzugrenzen, um der Philosophie darin einen herausragenden Platz einzurichten – es ginge ihr im Gegensatz zu den anderen Wissenschaften nicht nur um empirisches Wissen, sondern um absolute Wahrheit. Zu absoluter Wahrheit gelange die Philosophie dadurch, dass sie ihre Voraussetzungen radikal hinterfrage und nicht einfach unreflektiert annehme, wie dies die Wissenschaften täten. Das erscheint nicht nur rückschrittlich und unreflektiert, sondern geradezu albern. Es sei hier nur kurz an die zahllosen Grundlagen- und Methodendiskurse erinnert, die die Wissenschaften mit sich selbst führen und die nicht selten die bloße Bedingung ihrer Möglichkeit in Frage stellen. Besonders für einen philosophischen Anfänger, der die wissenschaftliche Praxis noch nicht überblicken kann, verzerrt Zorns Darstellung das disziplinäre Spektrum der Wissenschaften gleich zweifach. So wird die Philosophie nicht nur als die einzige wirklich kritische Wissenschaft dargestellt, sondern sie scheint auch auf keinerlei unreflektierten Grundannahmen zu fußen. Dass beide Annahmen falsch sind, muss dann im Studium jedoch in einer schmerzhaften Desillusionierung gelernt werden.

Philosophisches Schreiben, der letzte und kürzeste Teil des Buches, gelingt gerade in seiner Einfachheit und Konkretheit wieder. Die negative Herangehensweise des ersten Teils ist jetzt weitestgehend aufgegeben, was diesem Teil zugutekommt, da er im weitesten Sinne eine Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten ist. Dennoch wirft Zorn auch hier nicht einfach mit Tipps und Regeln um sich. Stattdessen werden die Konventionen wissenschaftlichen Arbeitens aus den Problemen motiviert, zu deren Lösung sie überhaupt eingeführt wurden. Sie erscheinen damit nicht wie arbiträre Regeln – wie der Vorwurf vieler Studenten lautet –, sondern sie werden konkret in ihrer Nützlichkeit für Autor und Leser aufgezeigt.

Zudem werden in Bezug auf die Überlegungen aus Philosophische Lektüre Hilfestellungen für das Schreiben übersichtlicher und einfach nachvollziehbarer Texte gegeben. Dies beginnt beim Anfertigen von Textexzerpten als besondere Form der Lektüre und endet mit unterschiedlichen, konkreten Beispielen philosophischer Arbeitsweisen, die beispielsweise für Hausarbeiten relevant sein können. Obgleich dieser kurze Abriss eine umfangreiche Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten nicht ersetzt, wird diese jedoch vorbereitet und bietet somit ein gutes Fundament für den universitären Einstieg.

Zorns Einführung ist, obgleich solide, keinesfalls fehlerlos. Der gravierendste Fehler passiert ihm dabei gerade in einem der Konzepte seiner negativen Methodik. Zorn zeigt die Schwierigkeiten der Philosophie an ihrer Eigenschaft zu irritieren, also Aspekte unseres Weltbildes, unserer Kultur oder ähnlicher sinnstiftender Instanzen zu hinterfragen und damit in Frage zu stellen. Derartigen Irritationen werde häufig durch einen Sicherheitsreflex begegnet. Die ursprüngliche Irritation werde abgetan und durch unterschiedliche Marginalisierungsstrategien für nichtig erklärt. Obgleich Zorn berechtigt auf diese Problematik hinweist, reflektiert er jedoch nirgends die Schwierigkeiten dieser Konzeption. Ein philosophischer Anfänger, der Zorns Einführung liest, kann dazu verleitet werden, jeder Skepsis gegen seine Thesen direkt mit dem Vorwurf des Sicherheitsreflexes zu begegnen – „Deine Einwände sind nur Selbstschutz, weil du meine Thesen einfach nicht wahrhaben möchtest.“ Dass diese Selbstgefälligkeit nur sehr wenig mit einem gelungen philosophischen Diskurs zu tun hat, wird allerdings besonders in niedrigeren Semestern nur selten erkannt. Zorns Konzept der Irritation kann deshalb aufgrund seiner sporadischen Ausführung zu entschiedenen Problemen für den Leser führen.

Derartige Schwierigkeiten finden sich bei Zorn jedoch nur vereinzelt und sie sind sonst entschieden milder als der hier kurz besprochene Fall. Aus diesem Grund gilt, dass Daniel-Pascal Zorns Einführung in die Philosophie aufgrund ihrer systematischen Ausrichtung und erfrischenden Zeitkritik nichts desto weniger ein gelungenes Einstiegswerk ist, das besonders in Verbindung mit einer guten Philosophiegeschichte das Fundament für ein Philosophiestudium legen kann. Dass man es dabei irgendwann übersteigt und hinter sich lassen muss, ist keine Schwäche des Werks, sondern das Schicksal, das alle Einführungen letztlich teilen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Daniel-Pascal Zorn: Einführung in die Philosophie.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2018.
134 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783465043003

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