Zusammenführung aktueller Themen zu einem proletarischen Programm

Luise Meier versucht, den Blick auf Karl Marx zu erneuern und zu schärfen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 200. Geburtstag von Karl Marx ist Anlass für zahlreiche Jubiläums-Publikationen und „Sonntagsreden“. Die Schriftstellerin und Ethnologin Luise Meier (unter anderem Autorin für die Berliner Volksbühne) ist der Ansicht: Karl Marx ist so tot wie lange nicht: „Entweder wird er für triviale Niedergangspredigten in Anspruch genommen oder zur Erstellung neuer Theorien ausgeschlachtet, um den akademischen Markt mit frischen Waren zu versorgen.“ Mit ihrer MRX Maschine – veröffentlicht in der Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ des Berliner Verlags Matthes & Seitz – will sie den Philosophen und dessen Werk einerseits als Zündschnur zur Aufdeckung unserer heutigen Widersprüche gebrauchen, andererseits soll Marx selbst wieder „ausgebuddelt“ werden.

Die 200 Seiten sind jedoch keine Beschreibung der „Maschine“, vielmehr sind sie die „MRX-Maschine“ selbst. Diese folgt dabei nicht dem Impuls, um der Selbsterhaltung willen den Leichtsinn abzustoßen und „Marx“ von „Murx“ zu scheiden. Sie beinhaltet vielmehr die unterschiedlichsten Elemente, von proletarisch bis bürgerlich, von weiblich bis männlich, von kriminell bis impotent oder von ausbeutend bis ausgebeutet. All diese Aspekte zapft die MRX-Maschine an.

In dem Kapitel „Now ! Now Fast Buy Super Sale“ beleuchtet die Autorin die ungeheure Beschleunigung und Effizienz des Warenverkehrs, wobei es nicht um die Schuld oder Verantwortung der individuellen Konsumenten geht. Schließlich stehen wir permanent unter Druck, uns keinen Gewinn entgehen zu lassen. „Die Notwendigkeit, unsere Bedürfnisse durch Lohnarbeit und Konsum zu decken, wird nicht mehr infrage gestellt.“ Meier weist dabei auf den entscheidenden Punkt in Marxʼ Analyse der Warenform hin: die Reduktion der konkret menschlichen Arbeit auf die abstrakt menschliche Arbeit, die sich dann im Geld verdinglicht.

In einem anderen Kapitel, „Nur wer gezählt ist, zählt!“, setzt sich Meier mit der modernen Datenverarbeitung und besonders mit der Datenspeicherung auseinander. Sie werden von den Mächtigen in Staat und Wirtschaft genutzt zur „Regierbarkeit, Beherrschbarkeit und Arbeitswilligkeit der Massen“. So schraubt sich die Ökonomisierung in das Individuum ein. Die Marx’sche Analyse, dass das Bewusstsein der herrschenden Klasse das herrschende Bewusstsein sei, hat nie so sehr zugetroffen wie in der digitalen Welt des Sozialstaates und der Konsumkultur.

Die Geschichtsschreibung des bürgerlichen Staates und der sozialen Marktwirtschaft ist von großen Missverständnissen geprägt, wie Meier in „Daddy-fik(a)tion und Staat“ darlegt. Dabei wird uns heute suggeriert, wir seien der Staat. Kundenbewertungen, Volksbegehren oder Userkommentaren gaukeln uns vor, wir würden mitbestimmen. In Wahrheit wird der politische Kampf aber nur in persönliche Scheinerfolge umgeleitet. Abschließend wird die historische Verkrustung von Mann und Frau analysiert. Ihr Verhältnis zueinander war bisher nur ein gesellschaftlich verordnetes, juristisch und ökonomisch reguliertes Rollenspiel. Noch heute wird versucht, den gesellschaftlichen Status quo durch Naturalisierung zu zementieren.

Obwohl in der Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ erschienen, ist MRX Maschine keine fröhliche Lektüre, sondern verlangt ein erhebliches Maß an Konzentration und Geduld. Neben Fachjargon und neuen Wortfindungen ziehen sich manche Absätze über Seiten. Vielleicht gibt die Autorin daher selbst den Hinweis: „Für die Zeit der Lektüre sind Sie krankgeschrieben.“ Die MRX Maschine wurde mit allen aktuellen Themen gefüttert und will gleichzeitig Analyse, Agitation, Sabotage und Aggression sein.

Titelbild

Luise Meier: MRX Maschine.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018.
208 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783957575487

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