„Das habe ich letzte Woche zu Helmut Kohl gesagt…“

Der Schriftsteller Antoine Laurain regt den Leser in „Der Hut des Präsidenten“ zu einer Reflexion über die Kräfte der Psyche an

Von Tanja SchabackerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tanja Schabacker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Le fait d’avoir un chapeau sur la tête vous confère une indéniable autorité sur ceux qui n’en ont pas.“ (Tristan Bernard) – „Die Tatsache, einen Hut auf dem Kopf zu haben, verleiht Ihnen eine unbestreitbare Macht über diejenigen, die keinen tragen“ [alle Übersetzungen: TS].

Aber ist es in Antoine Laurains Roman Le chapeau de Mitterrand (deutsch: Der Hut des Präsidenten) wirklich die schwarze Kopfbedeckung, die ihre Träger zu Taten anregt, die sie in ihrem Leben auf nahezu magische Weise weiterbringen?

Die Geschichte des Romans beginnt in einer Brasserie in Paris, in der Daniel Mercier alleine diniert. Frau und Kind sind im Urlaub bei den Schwiegereltern in der Normandie und lassen auf Nachricht warten. Gepackt von dem Gedanken, sich selbst zu finden, verbringt Mercier also einen Abend alleine vor einer Meeresfruchtplatte Royal und fühlt sich an seine Tage als Junggeselle erinnert. Plötzlich erscheint jedoch unerwartete Prominenz in die Brasserie: „Le président“ François Mittérand, der damalige Außenminister Roland Dumas und „un gros trapu à lunettes et cheveux frisés“ („ein großer, stämmiger Mann mit Brille und krausen Haaren“), vielleicht der Sozialist Michel Charasse. Wenig später erfährt man die genaue Zeit des Dîners: November 1986. Mercier ist sichtlich stolz und stellt sich vor, wie er dieses Erlebnis später Freunden und Verwandten erzählen wird. „Je l’ai dit à Helmut Kohl, la semaine dernière…“ („Das habe ich letzte Woche zu Helmut Kohl gesagt…“) ist der Satz, den der Buchhalter der Firma Sogetec jetzt immer im Ohr haben wird, wenn er eine Auster isst. Diese Aussage Mitterrands über seinen deutschen Verbündeten zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.

Viel wichtiger ist jedoch ein anderes Element, das erst an Aufmerksamkeit gewinnt, als das Staatsoberhaupt die Brasserie verlässt: sein schwarzer Zylinder. Diesen vergisst er nämlich, was Mercier – wie könnte es anders sein – nicht entgeht. Er hätte noch genug Zeit, den Präsidenten auf den Verlust aufmerksam zu machen, ebenso könnte er den Kellner informieren. Doch stattdessen nimmt er, geleitet von einem irrationalen Gefühl, den Hut selbst mit: „Il venait de commettre un vol. La dernière fois qu’il avait volé quelque chose remontait à sa plus tendre adolescence […].“ – „Er hatte gerade einen Diebstahl begangen. Das letzte Mal, dass er etwas gestohlen hatte, ging bis in seine früheste Jugend zurück.“

Doch die Aneignung des Zylinders zahlt sich aus: Immer, wenn Mercier den pompösen Zylinder mit den Initialen F.M. auf dem Kopf trägt, verhält er sich mutiger und selbstbewusster, was ihm bald auf der Arbeit eine Beförderung einbringt. Sein Chef bietet ihm eine Stelle als Finanzdirektor in Rouen an, die Daniel annimmt. Den Grund, weswegen sich diese neue Möglichkeit eröffnet, zweifelt er nicht an: Das sei der Hut des Präsidenten.

Natürlich kann diese Glückssträhne nicht ohne Zwischenfälle weitergehen – allerdings sind die Konsequenzen des Besitzens nicht so verheerend wie in Balzacs Roman Das Chagrinleder, in dem ein mysteriöses Leder nach jedem positiven Lebensereignis, das es dem Besitzer zugesteht, von dessen Lebensenergie zehrt.

Mercier vergisst seinen Glücksbringer lediglich auf der Fahrt nach Rouen im Zug, wo er von einer Fanny Marquand gefunden wird. Der Name der Schriftstellerin weist zufällig die gleichen Initialen wie die des Präsidenten François Mitterrand auf – und somit sieht sie den Hut als ihren Besitz an. Seit Jahren ist sie die Maîtresse Edouards, eines verheirateten Mannes, der ihr immer wieder verspricht, seine Familie für sie zu verlassen. Nächtliche Konversationen über den damals beliebten Onlinedienst Minitel enden in für Fanny aussichtslosen und frustrierenden Sextreffs in Hotelzimmern. Der Hut lässt sie endlich den Mut fassen, die Liaison mit Edouard zu beenden.

Durch verschiedene Umstände gerät der Filz noch in weitere Hände; und alle Besitzer können sich über positive Wendungen in ihrem Leben freuen. Letztlich bleibt nur die Frage offen, ob es tatsächlich die magische Wirkung des Hutes ist, die seinen Besitzern diese glücklichen Ereignisse beschert, oder ob dieser Zauber in Wahrheit gar nicht existiert. So könnte Laurains Fiktion also auch eine stinknormale alltägliche Begebenheit sein, bei der das Tragen eines einfachen Hutes lediglich dafür sorgt, dass seine vorübergehenden Eigentümer mehr Selbstvertrauen verspüren, in dem Glauben, der Hut verleihe ihnen bestimmte Fähigkeiten. Wie auch immer man das vierte Werk Antoine Laurains interpretieren mag, es lässt den Leser in eine Erzählung eintauchen, die teils mit Witz, teils ernst, vor allem aber mithilfe eines einfachen Schreibstils in die Welt der Achtziger zurückführt – als eine Chanteuse inconnue Mylène Farmer gerade Berühmtheit erlangt, man wehmütig auf den Tod Daniel Balavoines bei einem Helikopterabsturz zurückschaut, Schauspielerin Joan Colins gerade in der Blüte ihres Erfolges steht und vor allem der Sozialist François Mitterrand der mächtigste Mann Frankreichs ist.

Insgesamt bleibt der Autor seinem Prinzip treu, einen Roman um einen Gegenstand herum aufzubauen – wie schon in Das Bild aus meinem Traum oder Liebe mit zwei Unbekannten. So liefert in Der Hut des Präsidenten ein schwarzer Zylinder das Grundgerüst der Erzählung. Das Konzept eines magischen Gebrauchsgutes ist schon häufig in der Literatur aufgegriffen worden – als zeitgleiches Beispiel sei Benjamin Leberts Mitternachtsweg genannt; berühmtes Beispiel aus dem Realismus ist Das Chagrinleder von Honoré de Balzac. Die Idee von Laurains Roman ist ebenso einfach; dennoch erzielt Laurain mit simplen Mitteln große Wirkung – Hut ab!

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Antoine Laurain: Le chapeau de Mitterand.
Éditions J'ai lu, Paris 2013.
190 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9782290057261

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